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macht, fühlt er sich fast wie im siebten Himmel.«

      Dr. Daniel mußte lachen. »Das glaube ich gern. Stefan müßte es schon ganz bunt treiben, damit Schorsch seinem geliebten Patensohn mal die Leviten lesen würde.«

      Langsam fuhr Dr. Daniel nun in den Parkplatz, der zur Thiersch-Klinik gehörte, und hielt seinen Wagen an. Karina stieg aus und blieb einen Augenblick lang vor dem wuchtigen Bau stehen.

      »Du wirst es nicht glauben, Papa, aber ich freue mich sogar auf die Zeit, die ich hier verbringen werde«, meinte sie.

      »Du wirst jedenfalls viel lernen«, erklärte Dr. Daniel, dann betrat er zusammen mit seiner Tochter die Klinik und steuerte das Büro des Chefarztes an.

      Dabei wurde Karina bewußt, wie sehr sich die Thiersch-Klinik von der Waldsee-Klinik unterschied – und das nicht nur an Größe. Die Flure der Waldsee-Klinik waren hell und freundlich, hier dagegen wirkte alles sehr düster… fast furchteinflößend.

      »Daniel! Was wollen Sie denn hier?«

      Unwillkürlich zuckte Karina zusammen, als die wie immer äußerst barsche Stimme des Professors erklang. Sie hatte den kleinen, untersetzten Mann gar nicht kommen sehen. Dr. Daniel selbst schien dagegen nicht überrascht zu sein, als Professor Thiersch wie aus dem Boden gewachsen plötzlich vor ihm stand.

      »Ich habe meine Tochter herbegleitet«, antwortete Dr. Daniel jetzt.

      Die buschigen Augenbrauen schoben sich über dem Rand der dicken Hornbrille zusammen und verliehen dem Professor ein noch strengeres Aussehen. Karina hatte er bis jetzt keines Blickes gewürdigt, aber das war auch nicht weiter ungewöhnlich.

      »Glauben Sie vielleicht, ich würde Ihr Herzblatt umbringen, wenn es sich allein hier hereinwagen würde?« herrschte er Dr. Daniel an.

      »Nein«, entgegnete dieser gelassen. Der ruppige Ton des Professors konnte ihm längst keine Angst mehr einjagen. Immerhin kannte er ihn nun schon seit mehr als fünfundzwanzig Jahren. Und dann wiederholte er die Worte, die Karina vorhin gesagt hatte. »Ich habe meine Assistenzzeit bei Ihnen ja auch überlebt.«

      Professor Thiersch grummelte etwas Unverständliches, dann sah er Karina an.

      »Ich halte nicht viel von langen Einführungsgesprächen«, erklärte er rundheraus. »Sie werden hier hart arbeiten und viel lernen. Melden Sie sich bei Kreis. Er ist Leitender Oberarzt der Notaufnahme.« Er schwieg kurz und betrachtete Karina dabei sehr kritisch. »Ich sage es Ihnen gleich: Es wird ein Sprung ins kalte Wasser sein, aber wenn Sie die Notaufnahme überstehen, dann überstehen Sie auch alles weitere hier.«

      Karina verabschiedete sich rasch von ihrem Vater, dann machte sie sich auf den Weg zur Notaufnahme. Besorgt blickte Dr. Daniel ihr nach, bevor er sich dem Professor wieder zuwandte.

      »Gleich am ersten Tag in die Notaufnahme…«,begann er, doch sehr viel weiter kam er nicht, denn Professor Thiersch fuhr ihn grob an: »Behalten Sie Ihre Meinung für sich! Ihre Tochter ist ab sofort Assistenzärztin hier, und ich schone meine Ärzte nicht – auch dann nicht, wenn sie Daniel heißen.« Er warf einen demonstrativen Blick auf seine Uhr. »Sie haben Ihre Tochter hier abgeliefert, jetzt können Sie gehen.«

      Dr. Daniel schluckte. Der Gedanke, daß Karina die nächsten zwei Jahre unter der Fuchtel des ungehobelten Professors stehen würde, machte ihm schwer zu schaffen, und da nützte es auch nichts, sich an seine eigenen Assistenzzeit zu erinnern und daran, wieviel er bei Professor Thiersch gelernt hatte. Karina tat ihm jetzt schon leid, und fast wünschte er, sie hätte sich doch nicht für die Thiersch-Klinik entschieden.

      »Ich bin nicht nur wegen meiner Tochter hier«, erwiderte Dr. Daniel nun und zwang sich, seine Gedanken auf die Unterlagen zu konzentrieren, die er in der Hand hielt. »Es geht um einen jungen Mann, der seit heute nacht in der Waldsee-Klinik liegt.«

      Professor Thiersch nickte knapp. »Kommen Sie mit.« Mit kurzen, energischen Schritten ging er voran in sein Büro und setzte sich, hielt es aber nicht für nötig, auch Dr. Daniel einen Platz anzubieten.

      »Der Patient leidet an akuter lymphoblastischer Leukämie«, führte Dr. Daniel aus und reichte dem Professor die Unterlagen, die Dr. Scheibler gewissenhaft zusammengestellt hatte.

      Professor Thiersch blätterte die dünne Akte durch, während Dr. Daniel schweigend zusah. Er wußte aus langjähriger Erfahrung, daß der Professor beim Aktenstudium nicht gestört werden wollte.

      »Sieht böse aus«, urteilte er schließlich und blickte auf, dann lehnte er sich zurück. »Eigentlich habe ich nicht mal eine Luftmatratze frei geschweige denn ein Bett, aber in diesem Fall… ich fürchte, es eilt ganz gewaltig.«

      Dr. Daniel nickte. »Dieser Meinung ist Dr. Scheibler auch. Deshalb hat er die nötigen Untersuchungen noch in der Nacht und heute früh durchgeführt.«

      »Um den beneide ich Sie, Daniel«, knurrte Professor Thiersch.

      Dr. Daniel mußte ein wenig schmunzeln und konnte sich dabei eine Bemerkung nicht verkneifen. »Sie hatten die Chance, Herr Professor. Hätten Sie Dr. Scheibler zum zweiten Oberarzt gemacht, anstatt ihn aus der Klinik zu werfen…«

      »Werden Sie bloß nicht unverschämt, Daniel!« fiel Professor Thiersch ihm grob ins Wort. »Damals hatte ich meine Gründe, und später haben Scheibler und ich den ganzen Unfrieden aus der Welt geschafft, allerdings war er zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr dazu zu bewegen, von

      der Waldsee-Klinik zurück zur Thiersch-Klinik zu wechseln, wo-für ich auch Verständnis hatte und habe.« Er hob den Zeigefinger. »Sie haben da einen erstklassigen Arzt, das wissen Sie hoffentlich.«

      »Und ob ich das weiß«, bekräftigte Dr. Daniel, dann wies er auf die Akten, die noch immer vor dem Professor lagen. »Kann Dr. Scheibler den Mann heute noch bringen?«

      Professor Thiersch nickte knapp. »Wird sich nicht vermeiden lassen, schließlich wollen wir ihm helfen, und da zählt jeder Tag.« Er stand auf. »Jetzt verschwinden Sie endlich. Sie haben meine knapp bemessene Zeit schon lange genug strapaziert.«

      Dr. Daniel kam dieser Aufforderung sofort nach und verabschiedete sich. Für einen Moment war er versucht, in die Notaufnahme zu gehen, um zu sehen, wie es Karina ging, doch dann ließ er es schweren Herzens bleiben. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, er würde Karina wie ein rohes Ei behandeln. Dabei gestand er sich nur ungern ein, daß er sich um seinen Sohn in einer vergleichbaren Situation nur halb so viele Sorgen gemacht hätte.

      »Väter und Töchter«, murmelte er sich selbst zu. »Irgendwie ist ihr Verhältnis zueinander doch etwas Besonderes, auch wenn man es nicht wahrhaben will.«

      *

      Dieter Krause hatte sein Versprechen gehalten und war zur Waldsee-Klinik gefahren. Er kam um die Mittagszeit an und heuchelte nun Betroffenheit.

      Annemarie war bei seinem Eintreffen noch bei Franz in der Intensivstation gewesen, doch eine Schwester hatte sie herausgeholt. Wäre Franz wach gewesen, hätte Annemarie ihn nicht allein gelassen, doch er war schon eine halbe Stunde zuvor völlig erschöpft eingeschlafen.

      Als Annemarie auf den Flur trat, bemerkte Dieter sofort die dunklen Schatten unter ihren Augen, doch nicht einmal das rührte ihn. Die tröstende Geste, mit der er einen Arm um ihre Schultern legte, war ebenso Fassade wie alles andere an ihm.

      Zusammen gingen sie in die Eingangshalle, und Annemarie erzählte ihm – immer wieder von heftigem Schluchzen unterbrochen – von der schicksalsschweren Diagnose des Oberarztes.

      »Das ist ja schrecklich«, urteilte Dieter scheinheilig. »Der arme Franz.«

      Er wollte noch etwas sagen, doch da kam ein junger, gutaussehender Arzt durch die Eingangshalle auf ihn und Annemarie zu. Die junge Frau lief ihm sofort entgegen.

      »Herr Doktor, ist etwas mit Franzl?« fragte sie ängstlich.

      »Keine Sorge, Fräulein Demel«, entgegnete der Arzt. »Franz schläft noch.« Er sah auf die Uhr. »In zehn Minuten werden wir uns auf den Weg nach München machen. Professor Thiersch erwartet uns schon, und ich denke,

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