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nach Polen und der Wiederaufbau von Chobielin, dem verfallenen Gutshaus, das meine Eltern gerade erworben hatten, bedeuteten auch so etwas wie eine Reise in der Zeit. Ich war im kommunistischen Polen geboren und dort zur Schule gegangen, doch als ich mit achtzehn fortging, schätzte ich mein Land nicht besonders. Die Jahre des Exils hatten mich vom alltäglichen Kontakt zu Verwandten und Freunden abgeschnitten. Gerade in dem Alter, in dem man die Erinnerungen der eigenen Eltern auf einmal nicht mehr langweilig findet, sondern sich für sie zu interessieren beginnt, wurde ich ihrer beraubt. Ich wollte die Fäden dieser halbversunkenen Geschichte wieder aufnehmen, um zu sehen, wie ich geworden bin, was ich bin.

      In England hatte ich mich daran gewöhnt, für einen Exoten gehalten zu werden, für ein Wesen aus einem seltsamen fernen Land, das derart von Überfällen und Katastrophen geschüttelt war, daß seine Einwohner wohl als leichtsinnig gelten mußten. Die unausgesprochene Unterstellung war, daß etwas mit uns nicht stimmte – mit diesen hoffnungslosen Romantikern, die hoch zu Roß gegen Panzer anzukämpfen pflegen – und daß wir unser Pech deshalb irgendwie verdienten. War da vielleicht etwas dran?

      Ich hoffte, daß die Instandsetzung des Gutshauses mir helfen würde, etwas über seine Geschichte und die seiner Bewohner zu erfahren. Die Geschichte Polens, wie sie in der Schule vermittelt wurde, hatte mich nicht nur wegen der

      Lügen der offiziellen Propaganda frustriert. Das Bild unserer Vergangenheit war nach meinem Empfinden zu grobmaschig, zu distanziert. Es hatte kaum Berührungspunkte mit dem Polen meiner Kindheit – vielleicht, weil so wenig Ereignisse, Menschen und Bauten aus meiner Geburtsstadt in den Geschichtsbüchern Erwähnung fanden. Wenn ich mich statt dessen auf mein Elternhaus und meine Region, im ureigensten Sinne auf meine Heimat konzentrieren würde, könnte ich womöglich die vergangenen Jahrhunderte mit konkreten Personen und realen Orten zum Leben erwecken.

      Meine Freude über die mögliche Rückkehr nach Polen wurde allerdings von dunklen Befürchtungen getrübt. Das Land hatte im letzten halben Jahrhundert zwei totalitäre Regimes erlebt, zunächst das der Nazis, dann das der Kommunisten. Die meisten Menschen sind keine Helden, und meine Familie war wahrscheinlich keine Ausnahme. Was würde ich alles entdecken, wenn ich mich näher mit der Vergangenheit befaßte?

      CHOBIELIN

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      ICH WOLLTE SCHON immer in einem dworek wohnen. Jeder Pole möchte das. Ein im Ausland lebender Engländer träumt vielleicht davon, eines Tages in seine Heimat zurückzukehren und ein georgianisches Pfarrhaus zu beziehen. Ein Amerikaner irischer Herkunft sehnt sich vielleicht nach einem idyllischen weißen Cottage. Ein Deutscher oder ein Franzose möchte sich in seinen alten Tagen vielleicht auf einen kleinen Bauernhof in Bayern oder der Provence zurückziehen. Ein Pole sieht sich hingegen als stolzer Bewohner eines dwór, d.h. eines Gutshauses, oder eines etwas kleineren dworek. Ein typisches dworek ist ein klassizistischer Bau aus dem 18. oder dem Anfang des 19. Jahrhunderts, hält die Mitte zwischen einem aristokratischen Palast und einem florierenden Bauernhof und verfügt über das obligatorische weiße Säulenportal und zumindest einen großen Garten. Es muß nicht besonders vornehm sein – die meisten Häuser seiner Art bestehen aus Holz –, und in England würde ein durchschnittliches dworek gerade noch als geräumiges Cottage durchgehen. Früher war die polnische Landschaft mit ihnen gepflastert.

      In einem dworek läßt es sich nicht nur einfach angenehm wohnen, es ist ein Lebensstil. Nationen, die noch nie unter einer Besatzungsmacht gelebt haben, können sich wohl kaum vorstellen, welche Aura solche Orte umgibt, an denen einst die nationalen Hoffnungen bewahrt wurden. Im 19. Jahrhundert, als Polen von der europäischen Landkarte verschwand, wurde das Polentum an zwei verschiedenen Orten gehütet: in der Kirche durch die Bauern und im dwór durch den Adel. Im 19. Jahrhundert gingen von diesen Gutshäusern die aussichtslosen Aufstände des polnischen Adels aus; im Gegenzug wurden die Domizile von den zaristischen Machthabern beschlagnahmt. Bis vor wenigen Generationen drehten sich in Polen die populären Romane – die vielleicht am besten die jeweiligen Volksvorstellungen widerspiegeln – immer um ein dworek. Jedes polnische Kind hat in der Schule, sogar in der kommunistischen Zeit, diese Vorstellung von Arkadien kennengelernt, die der Nationaldichter Adam Mickiewicz im Pariser Exil beschrieben hat:

      Vor vielen Jahren lag an dieser Stelle

      Ein Edelhof in einem Birkenhain.

      Die weißen Wände leuchteten so helle

      Durchs dunkle Grün der Pappeln, die in Reihn

      Wie stumme Wächter das Gehöft umstanden.

      Und wenn im Herbst der Sturm zog durch das Land,

      Dann wurde all sein Toben schnell zuschanden:

      Die Pappeln hielten seinem Wüten stand.

      Das Wohnhaus war nicht groß. Die weißen Wände

      Von Holz gefügt. Jedoch das Fundament

      War ringsum fest gemauert. Fleiß’ge Hände,

      Das sah man, waren tätig ohne End.

      Und große Schober standen in der Enge

      Des Hofraums, denn der weite Scheunenraum,

      So groß er war, er faßte doch die Menge

      Des eingebrachten Erntesegens kaum.

      Getreidehocken standen dort in Reihen,

      So dicht, wie Sterne hoch am Himmelszelt.

      Sie zeugten von dem prächtigen Gedeihen

      Des Korns auf dem gepflegten Ackerfeld.

      Und in der Brache wohlgenährte Pferde,

      Sie pflügten, ob es gleich noch früh im Jahr,

      Zur Herbstsaat schon die schwarze, fette Erde

      In schnurgeraden Furchen, die fürwahr

      So sauber waren wie des Gartens Beete.

      Hier herrschte Ordnung, das konnt’ jeder sehn,

      Und Wohlstand, denn die neuesten Geräte

      Sah man in Menge nah dem Hofe stehn.

      Und immer war das große Hoftor offen,

      Als lüd’ es jeden Wanderer zur Rast

      Und spräche: »Freund, du hast es gut getroffen,

      Mickiewicz’ Lobgesang auf das dworek mag zwar auf dem Lehrplan gestanden haben, um die realexistierenden Landhäuser war es im kommunistischen Polen jedoch nicht gerade gut bestellt. Die großen aristokratischen Paläste ließ man nicht einfach verkommen, sondern viele wurden von der katholischen Kirche als Schule oder Altersheim genutzt. Auch den Anwesen und Gutshöfen, die agrarischen oder wissenschaftlichen Instituten übereignet wurden, war ein besseres Schicksal beschieden – das Verwaltungspersonal solcher Einrichtungen war in der Regel kultivierter als die Direktoren der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Etliche Paläste standen als sogenannte Häuser für kreative Begegnungen den linientreuen Schriftstellern und Journalisten zur Verfügung. Die wirklich beeindruckenden Häuser wurden zu Repräsentationszwecken erhalten: Der sozialistische Staat pflegt die Kulturdenkmäler der Nation. Andere erhielten die adrette Bezeichnung »Weiterbildungsanstalten für Parteikader«. Hier konnten die Parteiführer ihren wohlverdienten Urlaub verbringen.

      Das gewöhnliche dworek dagegen, das einst das Herzstück der meisten Dörfer bildete, ist so gut wie ganz aus der polnischen Landschaft verschwunden. Von über zehntausend Gutshäusern, die Polen vor dem Krieg zählte, haben weniger als tausend die kommunistische Herrschaft überstanden, und nur die Hälfte davon in einem mehr oder weniger intakten Zustand. Ihre Zerstörung war, anders als in Rußland, nicht einmal die Folge einer gezielten Kampagne; sie sind durch bloße Ignoranz und Schlamperei

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