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meine Seele. Wo die Schullehrer versuchten, uns den Kommunismus in die Köpfe zu hämmern, und einen abstrusen Jargon benutzten, gespickt mit Begriffen, die sie selbst kaum verstanden, dort sprachen die Priester ein einfaches Polnisch und Wörter, die eher auf das Herz zielten als auf den Kopf. Die Lehrer verkündeten Theorien, die Priester erzählten Geschichten von Menschen, auch wenn es sich um Menschen handelte, die seit langem tot waren. Die unbeholfenen Bemühungen der Schule waren nichts gegen die bedingungslose Hingabe und die geschickten Methoden meiner Großmutter. Sie löste in mir pawlowsche Reflexe aus, indem sie mir jedesmal ihre Anerkennung spendete – oder eine Tafel Schokolade, zu der Zeit eine seltene Delikatesse –, wenn ich zur Beichte gegangen war oder die gewünschte gute Tat vollbracht hatte.

      An einem Tag im Jahre 1978 stand die Hegemonie der Kirche über meine Seele ein für allemal fest. Ich war in meinem Zimmer und wollte schnell meine Hausaufgaben machen, damit ich später einen Fernsehfilm sehen durfte. Plötzlich hörte ich, wie meine Mutter nebenan einen Schrei ausstieß. Ich eilte ins Wohnzimmer, wo meine Eltern am Schwarzweißfernseher klebten. Wie die meisten Menschen in Polen guckten sie die Abendnachrichten um halb acht. Der Nachrichtensprecher, der Tag für Tag die immergleichen Lügen herunterleierte, war feierlicher gekleidet als sonst und hatte neben sich auf seinem Pult einen Blumenstrauß. Normalerweise las er die Nachrichten mit versteinerter Miene, doch diesmal schien er durch irgend etwas gerührt zu sein. In seiner Stimme klang ein gewisser Stolz durch, daran bestand kein Zweifel, auch wenn sich nicht sagen ließ, ob er echt oder nur geheuchelt war. Jedenfalls wußte ich immer noch nicht, was passiert war, als auf einmal Bilder aus Rom eingespielt wurden, vom Balkon am Petersplatz und dann von einem Geistlichen, der sich an die gigantische Menschenmenge auf dem Platz wandte.

      Der Geistliche verkündete: »Habemus Papam«, und die Menge schwieg. Er schielte auf einen Notizzettel und gab sich Mühe, den Namen des frischgewählten Papstes richtig auszusprechen: »Karol Wojtyła.« Die Menge zögerte einen Moment lang – offenbar überrascht durch die getroffene Wahl –, doch dann entbrannten ein Beifallssturm und ein Blitzlichtgewitter. Nur Sekunden später erschien das wohlvertraute Gesicht des Erzbischofs von Krakau, der die Zuschauer auf dem Platz segnete. Meine Eltern, sogar mein Vater, weinten vor Freude. Bis spät in die Nacht riefen Freunde und Verwandte an, um sich über die großartige Nachricht zu unterhalten.

      Am nächsten Morgen, als ich mit der Buslinie 52 zur Schule fuhr, spürte ich zum ersten Mal die himmelweite Kluft zwischen »uns«, dem Volk, und »ihnen«, den Herrschenden. »Wir« bildeten die Mehrheit der Passagiere auf der normalerweise trostlosen Fahrt; doch diesmal lächelten wir fröhlich, sprachen wildfremde Leute an und tauschten uns über das freudige Ereignis aus. »Sie« waren ein paar finster dreinblickende Gestalten im hinteren Teil des Busses, die an einer Haltestelle vor dem protzigen weißen Hauptquartier der Staatssicherheit ausstiegen.

      Als der Papst im Jahr darauf nach Polen kam, reiste ich zum Flugplatz von Gniezno, um ihn zu sehen. Sein weißer Hubschrauber landete vor den Augen von weit über einer Million Menschen, die ihm begeistert zujubelten. Freiwillige Ordner mit Armbinden in päpstlichem Weiß-Gelb wiesen uns auf unsere Plätze. Die Polizei ließ sich nicht blicken, wahrscheinlich, um keine politischen Demonstrationen zu provozieren, und doch gab es keinerlei Zwischenfälle. Nach der im Freien abgehaltenen Messe marschierte die Menge in die wenige Kilometer entfernte Altstadt von Gniezno. Auf halber Strecke kletterte ich mit meinem Freund Wojtek auf einen Baum. Soweit das Auge blicken konnte, war es schwarz von Menschen. Wir fühlten die enorme Macht der Masse, ohne daß sie bedrohlich gewirkt hätte. Hier waren gänzlich unaufgefordert mehr Menschen zusammengeströmt, als ich je bei den Maiparaden gesehen hatte. Uns wurde zum ersten Mal bewußt, daß »wir« zahlreicher waren als »sie«.

      Später standen wir jubelnd auf dem Platz vor dem Sitz des Erzbischofs und warteten darauf, daß der Papst sich der Menge zeigen würde. Es war ein Treffen mit der Jugend vorgesehen; Schüler- und Studentengruppen spielten Gitarre und sangen Lieder. Dann erschienen zwei Gestalten auf dem Balkon: der Papst und, im purpurroten Gewand eines Kardinals, Primas Wyszyński, der Mann, dem es gelungen war, sogar während der schlimmen Verfolgungen der fünfziger Jahre die Unabhängigkeit der Kirche zu bewahren. Der Papst machte ein fröhliches Gesicht; es war ihm anzusehen, daß er am liebsten zu uns heruntergekommen wäre. Wyszyński war dagegen einer von der alten Schule. Wie ein römischer Kaiser grüßte er mit erhobener Hand die ausgelassene Menge, die augenblicklich verstummte. Was Wyszyński sagte, weiß ich nicht mehr, aber die unerschütterliche Autorität, die er ausstrahlte, hinterließ bei mir einen bleibenden Eindruck.

      Als wir nach Hause kamen und von den riesigen Menschenmengen beim Papstbesuch erzählten, glaubten unsere Eltern, daß wir maßlos übertrieben. Im Fernsehen waren Bilder gezeigt worden, nach denen nur Nonnen und Rentner der Messe in Gniezno beigewohnt hatten. Diesmal gingen die Lügen einfach zu weit. Für Millionen Menschen, die sich sonst kaum Gedanken über die Manipulation der Medien machten, war der Schwindel jetzt unübersehbar. An diesem Tag mit seiner friedlichen Versammlung fühlten Millionen Polen, daß sie zusammen stark waren – ein Gefühl, das sicherlich zur Gründung von Solidarność im Jahr darauf beitrug.

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