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gut, dann verzichten wir eben auf Bezugsscheine«, sagte mein Vater. Es war ihm egal, auch wenn er für den Rest seines Lebens Schweine und Hühner aufziehen müßte.

      So erwarben wir schließlich ein kaputtes Haus mit einigen Hektar Land in der Nähe einer Großstadt für weniger als tausend Pfund. Um genau zu sein, kostete uns die Übertragungsurkunde 6 849 899 Złoty, zu einer Zeit, als der inoffizielle Wechselkurs des Dollars 5500 Złoty betrug. Anfang 1989, als der Kaufvertrag geschlossen und das Geld überwiesen wurde, war das keine geringe Summe. Das durchschnittliche Monatseinkommen der Polen lag bei etwas mehr als 100 000 Złoty. Wir haben sicherlich zuviel bezahlt, nämlich den Gegenwert von einigen polnischen Autos, und das, obwohl das Kultusministerium damals empfahl, vergleichbare Objekte in ähnlich schlechtem Zustand für den symbolischen Betrag von einem Złoty zu veräußern. Dabei wurde der tatsächliche Wert von Chobielin durch den Umstand geschmälert, daß immer noch eine Familie ehemaliger Hofbediensteter dort wohnte. Theoretisch oblag es den Behörden, ihnen eine Ersatzwohnung zu stellen. In der Praxis konnte man jedoch nichts gegen Hausbesetzer ausrichten, und so wurde uns allmählich klar, daß wir ihnen, um sie zum Auszug zu bewegen, am Ende eine Wohnung kaufen mußten.

      Es hätte noch Jahre dauern können, bis ich endlich eine Chance bekommen hätte, Chobielin selbst zu besichtigen. Mit meinem Asylgesuch in Großbritannien hatte ich gegen das kommunistische Gesetz verstoßen, und so war mir die Einreise nach Polen unmöglich geworden. Im Februar 1989 beobachtete ich den Rückzug der Sowjetarmee aus Kabul, und trotzdem schien es mir bis zum Ende des Kriegs, den ich dem »Reich des Bösen« persönlich erklärt hatte, noch ein langer Weg zu sein. Schließlich bedurfte es aber nur noch eines kurzen Endspurts. Bereits im August saß ich auf den Zuschauerrängen des polnischen Parlaments und erlebte die Inauguration des ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten Polens seit dem Krieg. Genau wie die Afghanen hatten wir endlich triumphiert, doch im Gegensatz zu ihnen war es mir vergönnt, die Früchte des Sieges zu kosten.

      Ein paar Wochen nach meiner Rückkehr aus Angola sprach ich in London mit einem polnischen Konsul. Derselbe Herr hatte mir einige Jahre zuvor erklärt, daß die Regierung es begrüßen würde, wenn eine unerwünschte Person wie ich ihre polnische Staatsbürgerschaft aufgäbe. Diesmal war er jedoch höchst zuvorkommend: »Paszporcik będzie w try miga« – »Wir werden ihnen in null Komma nichts einen hübschen kleinen Paß ausstellen«.

      Vierzehn Tage später war ich in Westberlin und passierte die Mauer Richtung Osten. Im Morgengrauen erreichten mein Vater und ich die polnische Grenze. Zum ersten Mal erblickte ich Polen als Erwachsener. In einem Dorf sahen wir im Vorbeifahren, wie eine in Weiß gekleidete Frau die Fensterläden eines Geschäfts öffnete. Davor hatte sich schon eine fröstelnde Warteschlange gebildet. In einem anderen Ort machte ein Polizist in seinem Wagen ein Nickerchen, das müde Haupt gegen die Kopfstütze gelehnt, ohne Interesse für die Radaranlage, die am Straßenrand postiert war. Er regte sich überhaupt nicht, obwohl wir mit Sicherheit das Tempolimit überschritten hatten. Milchfahrer fuhren mit ihren Fuhrwerken an den Bauernhöfen vorbei und luden mit gekrümmtem Rücken die auf Holzgestellen bereitstehenden Milchkannen auf. Wild dreinschauende Männer, die immer noch oder schon wieder betrunken waren, torkelten über die Straße.

      Während der Fahrt versuchte ich mir vorzustellen, wie die Landschaft vor dem modernen architektonischen Durcheinander ausgesehen hatte. In einem Dorf verrieten nur noch eine zerbrochene Steintafel und ein Engelsflügel aus Gips, die aus dem Laub hervorschauten, was der kleine Hügel neben der Straße einmal gewesen war: ein deutscher Friedhof. Auf einem Hof ruhte der Neubau einer asbestbeschichteten Scheune auf Grundmauern aus Granit, die der einstige Eigentümer für die Ewigkeit errichtet hatte. Ab und zu ließ ich meinen Blick über kleine Straßen mit Kopfsteinpflaster gleiten, die von der Hauptstraße ins Gestrüpp führten, und manchmal erspähte ich dabei das ramponierte Portal eines noch erhaltenen Gutshauses oder auch nur einen Haufen Steine, wo einst ein solches Haus gestanden hatte.

      Drei Stunden hinter der Grenze erreichten wir unsere Heimatgegend in der Nähe meiner Geburtsstadt Bydgoszcz. An der Bushaltestelle von Jarużyn, einer von Unkraut überwucherten, mit obszönen Sprüchen bekritzelten Betonhütte, bogen wir von der Hauptstraße ab. Die letzten Kilometer legten wir auf einer unbefestigten Straße zurück, über Schlaglöcher ruckelnd und in eine dichte Staubwolke gehüllt. Wir näherten uns Chobielin.

      Der Grundriß des alten Gutshofes war noch erkennbar. Wir fuhren an der Schmiede mit ihrem schiefhängenden Dach vorbei. Vor einer Ansammlung von Scheunen und Häuschen – den alten Wirtschaftsgebäuden – winkten uns Kinder mit schwarz verschmierten Gesichtern zu. Plötzlich wurden sie aber scheu, steckten sich den Daumen in den Mund und schauten weg. Dann fuhren wir wieder in den Schatten auf eine lange Allee von hohen Kastanien, die wie ein abgenutztes Gebiß hier und da Lücken aufwies. Steine, die früher einmal ein Kopfsteinpflaster gebildet hatten, schlugen unter meinen Füßen an die Aufhängung des Wagens. Wir befanden uns auf der Zufahrt zum eigentlichen Gutshaus.

      Von einem kleinen Hügel aus konnten wir den Park sehen. Knorrige Eichen und Ulmen in sanften Grüntönen erhoben sich inmitten eines leuchtenden, mit Klatschmohn gesprenkelten Maisfelds – wie alte Männer inmitten ihrer blonden Enkel. Bald darauf brummten wir durch einen dunklen Tunnel aus Bäumen, deren Kronen zusammengewachsen waren. Wir mußten anhalten, um Felsbrocken und Äste aus dem Weg zu räumen. Am Ende des Tunnels drang Licht durch das Blätterwerk. Wir traten hinaus ins helle Tageslicht, und da lag, etwa hundert Meter enfernt auf einer Anhöhe zwischen Park und Fluß, eine malerische Ruine.

      In den grellen Strahlen der Morgensonne hob sich deutlich ein spitzes Dach mit Pfannen in der Farbe reifer Orangen gegen den Hintergrund sattgrüner Baumwipfel ab. Die Mauern bestanden aus verwitterten Ziegelsteinen von altmodischer Größe, die nur noch zum Teil von grauem Putz überzogen waren. Vier quadratische Säulen, an denen ebenfalls der Putz bröckelte, stützten einen geländerlosen Balkon, aus dem ein wildes Gestrüpp hervorwuchs. Links vom Portal waren die Fensterscheiben zerbrochen, und Vögel flogen ein und aus, doch auf der rechten Seite hingen noch Vorhänge. Darüber waren einige Dachziegelreihen durch Zinkplatten ersetzt worden. Aus dem Schornstein stieg Rauch auf, und es roch nach Heizkohle. Die Ruine war also noch immer bewohnt.

      Der Blick auf das Haus wurde von etlichen Holzschuppen verstellt, die an die Außenmauern und an die Überreste des Eingangstors angebaut waren. Zudem hatte jemand das ursprüngliche Gutshaus um einen eckigen Seitenflügel im Stil eines herrschaftlichen Stadthauses erweitert, so daß das Gebäude wie eine riesige Dampflokomotive aussah.

      Das Grundstück vor dem Haus war mit Müll übersät. Glasscherben knirschten unter meinen Schuhen, als ich mir zwischen rostenden landwirtschaftlichen Geräten, Faßdauben, einem Trog, einem Metalleimer ohne Boden, Drahtstücken, alten Reifen und Trümmern des alten Zauns einen Weg auf das Haus zu bahnte.

      In diesem Moment schlüpften zwei kleine Köter durch ein Loch in der Balkontür hinaus und fingen wütend zu kläffen an. Eine aufgescheuchte Gänseschar floh gackernd in eine der Hütten am Zaun.

      Durch den Lärm alarmiert, erschien eine Bäuerin mit einer Teigrolle in der Hand im Portal. Sie trug eine Schürze und war fast ebenso breit wie groß. Die grimmige Entschlossenheit in ihrem Gesicht wich einem verkniffenen Lächeln, als sie sah, warum die Hunde anschlugen und die Gänse verschreckt waren.

      »Dzień dobry panie Sikorski«, grüßte sie meinen Vater, als wir näherkamen.

      »Dzień dobry pani Erlichowa«, erwiderte er. »Dies ist mein Sohn.« Er sah mich an. »Er ist eben erst aus England zurückgekommen. Er wollte als erstes hierherfahren.«

      Nachdem sie mich mit einem kurzen, strengen Blick von Kopf bis Fuß gemustert hatte, sagte sie: »Witamy młodego pana dziedzica.« Willkommen, junger Herr. Auf ihrem dicklichen Gesicht bildete sich ein breites, etwas übertriebenes Lächeln. War es der Ausdruck einer gewissen Unterwürfigkeit, oder machte sie sich über mich lustig? Es war schwer zu sagen.

      Bei meinem ersten Besuch in Chobielin, am ersten Tag meiner Rückkehr nach Polen, war ich mir nicht sicher, wie ich auf korrekte Art und Weise Zutritt zu meinem eigenen Haus erbitten sollte. Es war vielleicht mein Haus, aber es war Frau Erlichs Heim.

      »Darf ich?«

      »Aber

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