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Die Familiensaga der Pfäfflings. Agnes Sapper
Читать онлайн.Название Die Familiensaga der Pfäfflings
Год выпуска 0
isbn 9783955016395
Автор произведения Agnes Sapper
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Ja, aber dort friert man nicht so, da weiß man sich besser zu schützen. Alle Fahrgelegenheiten sind heizbar, alles ist mit Pelzen belegt und Sie sehen auch jedermann in Pelze gehüllt auf der Straße. Warum tragen Sie keinen Pelz bei solcher Kälte?« fragte die Generalin, indem sie einen Blick auf Herrn Pfäfflings Kleidung warf. Ihm war der Gedanke an einen Pelzrock noch nie gekommen. »Da gibt es noch vieles, vieles Nötigere anzuschaffen, ehe ein Pelzrock für mich an die Reihe käme,« sagte er, »ich kann übrigens sehr rasch gehen und werde warm vom Lauf, meine Hände sind nicht steif, wir können gleich spielen.«
Am Schluss der Stunde erzählten die jungen Herren von dem Ball im Hotel. »Es war sehr hübsch,« sagten sie, »wir durften auch tanzen, der Sohn des Besitzers, der viel jünger ist als wir, hat auch getanzt. Er ist übrigens jetzt nicht mehr hier.«
»Ja,« sagte der General, »der Hotelier ist einsichtsvoller, als ich gedacht hätte. Er sagte zu mir: ›Hier in diesem Hotelleben arbeitet der Junge nicht, er kommandiert nur. Er soll fort von hier, in ein richtiges Familienleben hinein.‹«
Herr Pfäffling erkannte diese Worte als seine eigenen. »Der Mann hat recht,« fuhr der General fort, »wenn die Verhältnisse im Haus ungünstig sind, ist es besser, ein Kind wegzugeben, und wenn sie im ganzen Land ungünstig sind, so wie bei uns in Russland, so ist es wohl auch besser, die Kinder in einem andern Land aufwachsen zu lassen. In Russland haben wir ganz traurige Zustände, die jungen Leute, die dort aufwachsen, sehen nichts als Verderbnis überall, Unredlichkeit und Bestechung sogar schon in den Schulen. Unsere eigenen Söhne haben von dieser verdorbenen Luft schon mehr eingeatmet, als ihnen gut war. Meine Frau und ich haben uns entschlossen, sie in einer deutschen Erziehungsanstalt zurückzulassen, wenn wir nach Russland zurückkehren, was wohl in der nächsten Zeit sein muss. Wir stehen gegenwärtig über diese Angelegenheit in Briefwechsel mit einer Berliner Anstalt.«
Noch nie hatte der General so eingehend und offen mit dem Musiklehrer gesprochen. Die Generalin sah ernst und sorgenvoll aus, die Söhne standen beiseite mit niedergeschlagenen Augen. Herr Pfäffling fühlte, dass diese reichen, hochgebildeten und begabten Leute auch ihren schweren, heimlichen Kummer zu tragen hatten, und er sagte mit warmer Teilnahme: »Jeder einzelne leidet mit, wenn sein Vaterland so schlimme Zeiten durchmacht, wie das Ihrige. Möchte das neue Jahr für Russland bessere Zustände bringen!«
Als Herr Pfäffling kurz darauf die Treppe herunter ging, traf er unvermutet mit Herrn Rudolf Meier sen. zusammen, der heraufkam. Einen Augenblick zögerten beide. Sie hatten ein gemeinsames Interesse, über das zu sprechen ihnen nahelag. Aber an Herrn Meier wäre es gewesen, die Sprache darauf zu bringen, wenn er nicht mehr zürnte. Er tat es nicht. Mit dem höflichen aber kühlen Gruß des Gastwirts ging er vorüber, gewohnheitsmäßig die Worte sprechend: »Sehr kalt heute!«
»Ja, 20 Grad,« entgegnete Herr Pfäffling, und dann gingen sie auseinander.
Daheim angekommen, hörte Herr Pfäffling Frieders Violine. Wie der kleine Kerl sie schon zu streichen verstand! Ob er wohl einmal ein Künstler, ein echter, wahrer, gottbegnadeter Künstler würde? Aber wie war denn das? Hatte Frieder nicht schon gespielt, lange, ehe sein Vater sich auf den Weg zum Zentralhotel gemacht hatte? Spielte er wohl seitdem ununterbrochen? Er ging dem Geigenspiel nach. Aus der Küche erklang es. Neben Walburg, die da bügelte, stand der eifrige, kleine Musiker, ein herzgewinnender Anblick. Aber Herr Pfäffling ließ sich dadurch nicht bestechen. »Frieder, wie lange hast du schon gespielt?« fragte er.
»Nicht lange, Vater.«
»Nicht immerfort, seitdem du aus meinem Zimmer die Geige geholt hast? Sage mir das genau?«
»Immerfort seitdem,« antwortete Frieder und fügte etwas unsicher hinzu: »Aber das ist doch noch nicht lang her?«
»Das ist über zwei Stunden her, Frieder, und hast du nicht auch schon heute nach Tisch gespielt? Und sind deine Schulaufgaben gemacht? Ei, Frieder, da stehst du und kannst nicht antworten! Nimm dich in acht, sonst kommst du noch ganz um die Geige! Gib sie her, in der Woche bekommst du sie nimmer!« Herr Pfäffling streckte die Hand aus nach der Violine. Der Kleine hielt sie fest. Der Vater sah das mit Erstaunen. Konnte Frieder widerstreben? Hatte je eines der Kinder sich seinem Befehl widersetzt? Aber nein, es war nur ein Augenblick gewesen, dann reichte er schuldbewusst die geliebte Violine dem Vater hin und ergab sich.
Herr Pfäffling ging hinaus mit dem Instrument. Walburg hatte nicht verstanden, was gesprochen worden war, aber gesehen hatte sie und sie sah auch jetzt, wie sich langsam ihres Lieblings Augen mit dicken Tränen füllten. Sie stellte ihr Bügeleisen ab, zog den Kleinen an sich und fragte: »Darfst du denn nicht spielen?«
»Nicht länger als zwei Stunden im Tag,« rief Frieder in kläglichem Ton.
»Sei nur zufrieden,« tröstete sie ihn, »ich sehe dir jetzt immer auf die Uhr.« Frieder zog traurig ab; jede Stunde sehnte er sich nach seiner Violine, und nun war sie ihm für eine ganze Woche genommen!
Aber auch Herr Pfäffling war nicht in seiner gewohnten fröhlichen Stimmung. Ihm war es leid, dass der Unterricht in der russischen Familie zu Ende gehen sollte, eine große Freude und eine bedeutende Einnahme fiel damit für ihn weg, und dazu kam nun, dass er auf dem Tisch im Musikzimmer eine Neujahrsrechnung vorfand, die, nachdem er sie geöffnet und einen Blick auf die Summe geworfen hatte, ihn hinübertrieb in das Familienzimmer zu seiner Frau.
»Cäcilie,« rief er schon unter der Türe, und als er die Kinder allein fand, fragte er ungeduldig:
»Wo ist denn die Mutter schon wieder?«
»Sie ist draußen und bügelt.«
»So ruft sie herein, schnell, Marianne!«
Die Mädchen gingen eiligst hinaus: »Mutter, der Vater fragt nach dir.« Frau Pfäffling bügelte eben einen Kragen. »Sagt nur dem Vater, ich komme gleich; ich muss nur den Kragen erst steif haben.«
»Wir wollen lieber erst mit dir hineingehen,« sagten die Schwestern und in diesem Augenblick ertönte ein lautes »Cäcilie«.
Daraufhin wurde der halb gebügelte Kragen im Stich gelassen. Frau Pfäffling kam in das Zimmer und sah ihren Mann mit einer Rechnung in der Hand. »Ist denn das nicht eine ganz unnötige Komödie mit der ewigen Bügellei,« fragte Herr Pfäffling, »die Kinder wären doch ebenso glücklich in ungebügelte Hemden!« Auf diese gereizte Frage antwortete Frau Pfäffling bloß wieder mit einer Frage: »Ist das die Doktorrechnung? Sie kann doch nicht sehr hoch sein?«
»Sechzig Mark! Hättest du das für möglich gehalten?«
»Unmöglich! Sechzig Mark? Zeige doch nur! Die kleine Ohrenoperation von Anne im vorigen Sommer fünfzig Mark?!« Bei diesem Ausruf sahen alle Geschwister auf Anne, und diese fing bitterlich an zu weinen. Die Tränen besänftigten aber den Vater. Er ging zu der Schluchzenden. »Sei still, du armer Wurm,« sagte er, »du kannst nichts dafür. Hast so viel Schmerzen aushalten müssen, und das soll noch so viel Geld kosten! Aber sei nur getrost, geholfen hat dir der Arzt doch, und wir wollen froh sein, dass du nicht so taub geworden bist wie Walburg. Hörst du jetzt wieder ganz gut, auch in der Schule?«
»Ja,« schluchzte das Kind.
»Nun also, sei nur zufrieden, das Geld bringt man schon auf, man hat ja noch das Honorar zu erwarten für die Russenstunden und andere Rechnungen, als die vom Arzt, stehen nicht aus; nicht wahr, Cäcilie, es ist doch immer alles gleich bezahlt worden?«
»Freilich,« entgegnete sie, »aber ich kann es gar nicht fassen, dass diese Ohrenbehandlung förmlich als Operation aufgeführt und angerechnet wird. Ich war damals nicht dabei, Marianne ist immer ohne mich beim Arzt gewesen und so schlimm haben sie es nie geschildert.« Da sahen sich die Schwestern ernsthaft an und sagten: »Ja, einmal war's schlimm!«
Als Frau Pfäffling nach einer Weile wieder beim Bügeln stand, war ihr der Kummer über die sechzig Mark noch anzusehen, während Herr Pfäffling schon wieder guten Muts in sein Musikzimmer zurückkehrte und sich sagte: »Es ist doch viel, wenn man es dahin bringt, dass die Doktorrechnung die einzige an Neujahr