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Die Familiensaga der Pfäfflings. Agnes Sapper
Читать онлайн.Название Die Familiensaga der Pfäfflings
Год выпуска 0
isbn 9783955016395
Автор произведения Agnes Sapper
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Ich habe das deinige ein wenig versteckt,« sagte sie zu Wilhelm, als sie wieder herüberkam, »vielleicht übersieht es der Vater.«
Herr Pfäffling kannte seine Kinder viel zu gut, als dass er ihre kleine List mit der guten Durchschnittsnote nicht durchschaut hätte. »Irgend etwas ist sicher nicht in Ordnung,« sagte er sich, »gewiss sind ein paar fatale Dreier da, oder eine schlechte Bemerkung über das Betragen.« Er überblickte die kleine Ausstellung auf seinem Tisch. Da lag zuvorderst Karls Zeugnisheft. Dies hielt sich so ziemlich gleich, jahraus, jahrein, nie vorzüglich, immer gut. Es gab das Bild eines gewissenhaften Schülers, aber nicht eines großen Sprachgelehrten.
Dann Otto. In den meisten Fächern I. So einen konnte man freilich gut brauchen, wenn sich's um eine Durchschnittsnote handelte, der konnte viele Sünden anderer gut machen.
Maries Heftchen zeigte die größte Verschiedenheit in den Noten. Wo die Geschicklichkeit der Hand in Betracht kam und der praktische Sinn, da war sie vorzüglich, in Handarbeit, Schönschreiben, Zeichnen, da tat sie sich hervor, aber bei der rein geistigen Arbeit war selten eine gute Note zu sehen. Und von Anne konnte man das auch nicht erwarten, denn sie war von der Natur ein wenig verkürzt, das Lernen fiel ihr schwer, ohne Maries Hilfe wäre sie wohl nicht mit ihrer Klasse fortgekommen, aber die Lehrer und Lehrerinnen hatten sich längst darein gefunden, bei diesen Zwillingsschwestern das gemeinsame Arbeiten zu gestatten und die Marianne als ein Ganzes zu betrachten. So schlugen sie sich schlecht und recht miteinander durch und unter Annes Noten glänzten doch immer zwei I, durch alle Schuljahre hindurch: im Singen und im Betragen.
Bis jetzt hatte Herr Pfäffling noch nichts Neues oder Besonderes entdecken können und nun hielt er Frieders Zeugnis in der Hand und staunte. Was für gute Noten hatte sich der kleine Kerl diesmal erworben! Fast in jedem Fach besser als früher und in einer Bemerkung des Lehrers waren seine Fortschritte und sein Fleiß besonders anerkannt! Wie kam das nur? Es musste wohl mit der Harmonika zusammenhängen, die ihm früher alle Gedanken, alle freie Zeit in Anspruch genommen hatte! Herr Pfäffling hatte seine Freude daran und es kam ihm der Gedanke, seine Kinder seien vielleicht doch nur durch die besseren Zeugnisse auf den Einfall gekommen, eine Durchschnittsnote herauszurechnen. Wieviel Heftchen hatte er schon gesehen? Fünf, eines fehlte noch, Wilhelms Zeugnis, wo war denn das? Ah, hinter den Büchern, hatte es sich wohl zufällig verschoben? Er warf nur einen Blick hinein und die ungewohnte Form der Zahl IV sprang ihm ins Auge. Also das war's! Mathematik IV. Das war stark. Herr Pfäffling lief im Zimmer hin und her. Wie konnte man nur eine so schlechte Note heimbringen! Und wie feig, sie so zu verstecken, und wie dumm, zu meinen, der Vater ließe sich auf diese Weise überlisten! Schlechtere Noten konnte Rudolf Meier auch nicht heimbringen.
Er nahm das Heftchen noch einmal in die Hand. Im ganzen war das Zeugnis etwas besser als die früheren, also Faulheit oder Leichtsinn war es wohl nicht, aber für die Mathematik fehlte das Verständnis.
Eine Weile war Herr Pfäffling auf und ab gegangen, da hörte er jemand an seiner Türe vorbeigehen und öffnete rasch, um Wilhelm zu rufen. Es war Elschen. Als sie den Vater sah, sprang sie auf ihn zu, sah ihm fragend ins Gesicht und sagte dann betrübt: »Vater, du denkst gar nicht daran, dass morgen Weihnachten ist!« und sie schmiegte sich an ihn und folgte ihm in sein Zimmer. Er zog sie freundlich an sich: »Es ist wahr, Elschen, ich habe nicht daran gedacht, es ist gut, dass du mich erinnerst.«
»Die andern denken auch nicht daran,« klagte die Kleine, »sie reden immer nur von ihren Zeugnissen und freuen sich gar nicht.«
»So?« sagte Herr Pfäffling und wurde nachdenklich, »am Tag vor Weihnachten freuen sie sich nicht? Nun, dann schicke sie mir einmal alle sechs herüber, ich will machen, dass sie sich freuen!«
Wie der Wind fuhr die Kleine durch die Zimmer und brachte ihre Geschwister zusammen. Nun standen sie alle ein wenig ängstlich auf einem Trüppchen dem Vater gegenüber. Es fiel ihm auf, wie sie sich so eng aneinander drückten. Aus diesem Zusammenhalten war auch die Durchschnittsnote hervorgegangen.
»Ihr haltet alle fest zusammen,« sagte er, »das ist ganz recht, nur gegen mich dürft ihr euch nicht verbinden, mit List und Verschwiegenheit, das hat ja keinen Sinn! Gegen den Feind verbindet man sich, nicht gegen den Freund. Habt ihr einen treueren Freund als mich? Halte ich nicht immer zu euch? Wir gehören zusammen, zwischen uns darf nichts treten, auch kein Vierer!«
Da löste sich die Gruppe der Geschwister und in der lebhaften, warmen Art, die Wilhelm von seinem Vater geerbt hatte, warf er sich diesem um den Hals und sagte: »Nein, Vater, ich habe dir nichts verschweigen wollen, nur Weihnachten wollte ich abwarten, damit es uns nicht verdorben wird, du bist doch auch mit mir auf die Polizei gegangen, nein, vor dir möchte ich nie etwas verheimlichen!«
»Recht so, Wilhelm,« antwortete Herr Pfäffling, »was käme denn auch Gutes dabei heraus? Es ist viel besser, wenn ich alles erfahre, dann kann ich euch helfen, wie auch jetzt mit dieser schlechten Note. Was machen wir, dass sie das nächste Mal besser ausfällt? Nachhilfestunden kann ich euch nicht geben lassen, die sind unerschwinglich teuer, mit meinen mathematischen Kenntnissen ist es nicht mehr weit her, aber wie wäre es denn mit dir, Karl? Du bist ja ein guter Mathematiker und hast das alles erst voriges Jahr gelernt, du könntest dich darum annehmen. Jede Woche zwei richtige Nachhilfestunden.« Karl schien von diesem Lehrauftrag nicht begeistert. »Ich habe so wenig Zeit,« wandte er ein.
»Das ist wahr, aber du wirst auch keinen bessern Rat wissen und den Vierer müssen wir doch wegbringen, nicht? Gebt einmal den Kalender her. Von jetzt bis Ostern streichen wir fünfundzwanzig oder meinetwegen auch nur zwanzig Tage an für eine Mathematikstunde. Fällt eine aus, so muss sie am nächsten Tag nachgeholt werden. Ich verlasse mich auf euch. Macht das nur recht geschickt, dann werdet ihr sehen, im Osterzeugnis gibt es keinen Vierer mehr.« Die Brüder nahmen den Kalender her, suchten die geeigneten Wochentage aus und ergaben sich in ihr Schicksal, Lehrer und Schüler zu sein.
»So,« sagte Herr Pfäffling, »und jetzt fort mit den Zeugnissen, fort mit den Mathematik-Erinnerungen; Elschen, jetzt ist's bei uns so schön wie in der Sahara, wo es keine Schule gibt! Wer freut sich auf Weihnachten?« Während des lauten, lustigen Antwortens, das nun erklang, und Elschens fröhlichem Jauchzen ging leise die Türe auf, ein Lockenköpfchen erschien und eine zarte Stimme wurde vernommen: »Ich habe schon drei Mal geklopft, Herr Pfäffling, aber Sie haben gar nicht ›herein‹ gerufen.«
Es war Fräulein Vernagelding, die zu ihrer letzten Stunde kam. Noch immer hatte sie Herrn Pfäffling allein im Musikzimmer getroffen, als sie nun unerwartet die Kinder um ihn herum sah, machte sie große, erstaunte Augen und rief: »Nein, wie viele Kinder Sie haben!« aber noch ehe sie langsam diese Worte gesprochen hatte, waren alle sieben schon verschwunden. »Und jetzt sind alle fort! Wie schnell das alles bei Ihnen geht, Herr Pfäffling, ich finde das so reizend!«
Die fliehende Schar suchte die Mutter auf und fand sie in der Küche. Als aber Frau Pfäffling die Kinder kommen hörte, ließ sie sie nicht ein, machte nur einen Spalt der Türe auf und rief: »Niemand darf hereinschauen,« und sie sah dabei so geheimnisvoll, so verheißungsvoll aus, dass das Verbot mit lautem Jubel aufgenommen wurde. Ja, jetzt beherrschte die Weihnachtsfreude das ganze Haus und sogar aus dem Musikzimmer ertönte nicht die Tonleiter, sondern »Stille Nacht, heilige Nacht«. Aber falsch wurde es gespielt, o so falsch!
»Fräulein,« sprach der gepeinigte Musiklehrer, »Sie greifen wieder nur so auf gut Glück, aber Sie haben einmal kein Glück, Sie müssen die Noten spielen, die da stehen.«
»Ach Herr Pfäffling,« bat das Fräulein schmeichelnd, »seien Sie doch nicht so pedantisch! Das ist ja ein Weihnachtslied, dabei kommt es doch nicht so auf jeden Ton an!« Nach diesem Grundsatz spielte sie fröhlich weiter und nun, als der Schlussakkord kommen sollte, hörte sie plötzlich auf und sagte: »Ich habe mir auch erlaubt, Ihnen eine kleine Handarbeit zu machen zum täglichen Gebrauch, Herr Pfäffling.«
»Den Schlussakkord, Fräulein,