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Sternschnuppen der Leonidenschwarm hießen. Das wusste Karl: weil diese Sternschnuppen, die da im November so massenhaft fielen, aus dem Sternbild des Löwen ausgingen.

      Während sie zusammen sprachen, bemerkten die Kinder wohl, dass der Hausherr sie wieder ganz anders ansah, als in der vergangenen Nacht, und fingen an, auf seine Verzeihung zu hoffen, und wirklich sagte er nun mit all seiner früheren Freundlichkeit: »Seht, ich weiß eben gar nichts von der Sternkunde, ich habe den Leonidenschwarm für einen Verein oder dergleichen gehalten, mit dem ihr euch nachts herumtreibt. Und so etwas dulde ich nicht in meinem Haus. Aber ich werde euch doch nicht bös sein, wenn ihr nach dem Himmel schaut? Nein, wir sind nun wieder gute Freunde. Sagt nur eurem Vater: die Kündigung gilt nicht!«

      Nach dieser offenen Aussprache herrschte wieder Friede und Eintracht, Freundschaft und Fröhlichkeit im ganzen Haus.

      Als gegen Abend die Kinder von ihren Turnübungen zurückkehrten, trafen sie an der Treppe mit Frau Hartwig zusammen, die eben aus dem Keller einen Vorrat Äpfel herausgeholt hatte. »Ihr kommt mir gerade recht,« sagte sie und gab jedem einen Apfel.

      »Hausfrau,« sagte Frieder, »wir haben miteinander etwas ausgemacht, damit deine Treppe geschont wird, sieh einmal her. Die Schwestern gehen jetzt immer ganz nahe am Geländer und wir Buben müssen ganz dicht an der Wand gehen, dann werden deine Stufen in der Mitte geschont. Sieh, so hinauf und so wieder herunter.« Um recht dicht an der Mauer zu gehen, setzte er einen Fuß vor den andern, verlor das Gleichgewicht und kollerte den ganzen Rest der Treppe hinunter, gerade vor die Füße der erschrockenen Hausfrau.

      Geschadet hat es ihm nichts. Aber als Frau Hartwig in ihre Wohnung zurückkehrte, sagte sie zu sich: »Da ist gar nichts zu machen. Je besser sie's meinen, um so ärger poltert's.«

      4. Kapitel Adventszeit.

      »Wer darf den letzten Novemberzettel vom Block reißen, das dünne Blättchen, das allein noch den Weihnachtsmonat verhüllt?« Die jungen Pfäfflinge standen alle in die eine Ecke gedrängt, wo der Kalender hing, und stritten sich, halb im Spaß, halb im Ernst darum, wer den Dezember aufdecken dürfe. Die Eltern, am Frühstückstisch, sahen auf. »Buben, galant sein!« rief der Vater. Da traten die vier Brüder vom Kampfplatz zurück. Elschen konnte den Kalender noch gar nicht erreichen, so kam das Vorrecht an die Zwillingsschwestern. »Wir machen es miteinander,« sagten sie. Da kam denn der erste Dezember zum Vorschein, und zwar rot, denn es war Sonntag, und kein gewöhnlicher Sonntag, sondern der erste Advent. Die schönste Weihnachtsstimmung stieg auf mit diesem Tag und nicht nur bei den Kindern. Herr Pfäffling stimmte unvermutet und ohne Begleitung an: »Wie soll ich dich empfangen und wie begegnen dir, O aller Welt Verlangen, o meiner Seele Zier!« Alle Kinder sangen mit, erste Stimme, zweite Stimme, je nach Begabung, auch die Mutter, aber sie recht leise, denn sie allein von der ganzen Familie war vollständig unmusikalisch und sang, wie Frieder einmal gesagt hatte etwas anderes als die Melodie.

      Bald darauf war es für diejenigen, die zur Kirche gehen wollten, Zeit sich zu richten. Ein Teil pflegte vormittags zu gehen, einige nachmittags oder in den Kindergottesdienst. Frau Pfäffling wollte heute mit ihrem Mann gehen, unter den Kindern gab es ein Beraten und Flüstern. Als nach einer Weile die Eltern, zum Ausgang gerichtet, an der Treppe standen und sich von den Zurückbleibenden verabschieden wollten, fand sich's, dass es heute gar keine solchen gab, dass alle sieben bereit standen, mitzugehen. Das war noch nie so gewesen. »Wer soll dann aufmachen, wenn geklingelt wird?« fragte Frau Pfäffling bedenklich.

      »Es klingelt fast nie während der Kirchenzeit,« versicherte der Kinderchor.

      »Aber wir können doch nicht zu neunt aufziehen, das ist ja eine ganze Prozession!« wandte Herr Pfäffling ein.

      »Wir gehen drüben, auf der anderen Seite der Straße,« sagten die Buben.

      »Aber Walburg muss wenigstens wissen, dass sie ganz allein zu Hause ist, hole sie schnell, Elschen,« rief Frau Pfäffling. Als das Mädchen die ganze Familie im Begriff sah, auszugehen, wusste sie schon, was man von ihr wollte, und sagte in ihrer ernsthaften Weise: »Ich wünsche gesegnete Andacht«.

      Draußen schien die Wintersonne auf bereifte Dächer, Sonntagsruhe herrschte in der Vorstadt und die Familie, die hier den Weg zur Kirche einschlug, hatte die Adventsstimmung schon im Herzen. Die vier Buben ließen aber, ihrem Versprechen gemäß, die ganze Breite der Frühlingsstraße zwischen sich und den Eltern und Schwestern, bis nach einer Weile Elschen dem Frieder immer dringlicher winkte. Da konnte er nicht länger widerstehen und gesellte sich der kleinen Schwester zu.

      Adventsstimmung, Weihnachtsahnung wehten heute den ganzen Tag durchs Haus. Wenn im November eines der Kinder vom nahen Weihnachtsfest sprechen wollte, hatte die Mutter immer abgewehrt und gesagt: »Das dauert noch lange, lange, davon reden wir noch gar nicht, sonst werden die Kleinen ungeduldig.« So hätte sie auch gestern noch gesagt, aber heute war das etwas ganz anderes, man feierte Advent, Weihnachten war über Nacht ganz nahe gerückt. Im Dämmerstündchen zog Frau Pfäffling Elschen zu sich heran und fragte selbst: »Weißt du denn noch, wie schön der Christbaum war?«

      Sie wusste es wohl noch, und als nun die Geschwister über Weihnachten plauderten, da konnte sie mittun, ja in der Freude auf Weihnachten stand sie nicht hinter den Großen zurück, im Gegenteil, wenn sie mit leuchtenden Augen vom Christkindlein sprach, so war sie die kleine Hauptperson, die allen die Freude erhöhte.

      Bald taten sich in einer Ecke die Geschwister zusammen und berieten flüsternd, was sie den Eltern zu Weihnachten schenken könnten. Es durfte kein Geld kosten, denn Geld hatten sie nicht. Von Geschenken, die Geld kosteten, sprachen sie ganz verächtlich. »Es ist keine Kunst, in einen Laden zu gehen und etwas zu kaufen, aber ohne Geld etwas recht Eigenartiges, Schönes und Nützliches zu bescheren, das ist eine Kunst!« Ja, eine so schwere Kunst ist das, dass sich die Beratung sehr in die Länge zog. Frieder nahm nicht lange daran teil, ihm klang heute immer der Adventschoral im Ohr: »Wie soll ich dich empfangen,« er musste ihn ausstudieren. Er fing an zu spielen, und als er merkte, dass ungnädige Blicke auf seine Ziehharmonika fielen, zog er sich hinaus in die Küche, wo Walburg saß und in ihrem Gesangbuch las. Sie hörte diese Töne, und da sie sich in ihrer Taubheit über alles freute, was bis an ihr Ohr drang, schob sie ihm den Schemel hin, zum Zeichen, dass er sich bei ihr niederlassen sollte. So kam die Adventsstimmung bis in die Küche.

      Am nächsten Tag mussten freilich die Weihnachtsgedanken wieder in den Hintergrund treten, denn in die Schule passten sie nicht. Nur Frieder wollte sie auch dorthin bringen; was Remboldt ihm einmal gesagt, hatte er nicht vergessen, er wollte seine Harmonika mit in die Schule nehmen und dort den Adventschoral vorspielen. Die Mutter hörte es und wunderte sich: Er hatte sich noch nie zeigen oder vordrängen wollen mit seiner Kunst, nun kam ihm doch die Lust, sich hören zu lassen. Sie mochte es ihm nicht verbieten, aber es war ihr fremd an ihrem kleinen, bescheidenen Frieder. So zog er mit seiner großen Harmonika in der Hand, den Schulranzen auf dem Rücken, durch die Frühlingsstraße.

      Freilich, als er sah, welches Aufsehen es bei den Schulkameraden machte, bereute er es fast. Er hatte sein Instrument verbergen wollen bis zu der großen Pause um 10 Uhr, wo die Lehrer ihre Klassenzimmer verließen und die Schüler sich in dem weiten Schulhof zerstreuten. Aber es ging nicht so.

      Der Lehrer war kaum in das Schulzimmer getreten, so riefen ihm auch schon ein paar kecke Bürschchen zu: »Der Pfäffling hat seine Ziehharmonika mitgebracht.« Da verlangte er sie zu sehen und fragte, ob Frieder denn mit dem großen Instrument zurechtkäme. Nun stießen ihn die Kameraden von allen Seiten: »Spiel doch, gelt, du kannst es nicht? Spiel doch etwas vor!« Darauf spielte Frieder seinen Adventschoral, vergaß seine vielen Zuhörer, vergaß die Schulzeit und sagte, nachdem er fertig war: »Jetzt kommt: Wachet auf, ruft uns die Stimme.«

      Der Lehrer ließ ihn gewähren, denn er sah, wie gern ihm alle zuhörten und wie der kleine Musiker ganz und gar bei seinen Liedern war. »Hast du das bei deinem Vater gelernt?« fragte er ihn jetzt. »Nein,« sagte Frieder, »Harmonika muss man nicht lernen, das geht von selbst.«

      »Das geht vielleicht bei euch Pfäfflingen von selbst, aber bei anderen nicht. Was meinst du,« sagte er zu dem, der am nächsten stand, »könntest du das auch?«

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