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Die Familiensaga der Pfäfflings. Agnes Sapper
Читать онлайн.Название Die Familiensaga der Pfäfflings
Год выпуска 0
isbn 9783955016395
Автор произведения Agnes Sapper
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Wilhelm und Otto schliefen trotz allem bald ein, denn sie fühlten sich ein wenig gedeckt dadurch, dass Karl, der große, der Anführer gewesen war. Um so schwerer lag diesem die Sache auf, und er konnte sich nicht vorstellen, wie er am Morgen den Eltern unter die Augen treten sollte. Er fand nur einen kurzen, unruhigen Schlaf.
Frieder hatte von allem, was seine Schlafkameraden erlebt hatten, keine Ahnung. Er wunderte sich aber am Morgen, dass sie alle schwer aus dem Bett kamen, bedrückt und einsilbig waren, und wunderte sich noch mehr, als die Schwestern durch die Türspalte hereinriefen: »War's recht schön heute nacht?« Als er aber gern erfahren hätte, von was die Rede sei, bekam er ungeduldige Antwort: »Sei nur still, du wirst noch genug davon hören.« Sie waren sonst alle flinker als Frieder, heute aber kam dieser zuerst ins Wohnzimmer, wo die Eltern schon mit den Schwestern beim Frühstück waren und von Marie und Anne wussten, dass die Brüder in der Nacht fort gewesen waren. Diese zögerten aber immer noch, zu kommen. Endlich sagte Karl: »Es hilft uns ja doch nichts, einmal muss es gesagt werden, kommt!«
Er ging tapfer voran, Wilhelm und Otto hinter ihm. So traten sie in das Wohnzimmer, wo Herr Pfäffling sich gleich lebhaft nach ihnen umwandte. »Nun,« fragte er, »ist eure Expedition geglückt? Heute nacht um 11 Uhr hat sich der Himmel so schön aufgeklärt, da dachte ich an euch, war aber der Meinung, ihr würdet die Zeit verschlafen. War's denn nun schön?«
Die drei waren so betroffen über die unerwartet freundliche Anrede, dass sie zunächst gar keiner Antwort fähig waren. Frau Pfäffling ahnte gleich Böses. »Ihr seht alle so schlecht aus,« sagte sie, »ist's euch nicht gut? Oder habt ihr den Hausschlüssel verloren?«
»Das nicht.«
»Also, was sonst, redet doch!« rief der Vater. Da trat Karl näher und sagte: »Ich will es ganz erzählen wie es war. Um ein Uhr sind wir hinunter gegangen, ganz leise, ohne Stiefel. Sind auf den Balken gewesen – wie schön es da war, sage ich später. Um halb drei Uhr etwa wollen wir wieder ins Haus, da ist die Türe von innen zugeriegelt.«
»Aber wie abscheulich! wer hat das getan!« riefen die Schwestern wie aus einem Mund.
»Klingeln mochten wir nicht, so gingen wir wieder zurück, wollten auf den Brettern schlafen, aber es war zu kalt. So schlichen wir unter Mariannes Fenster und wollten sie wecken. Wir riefen ihr leise, das hörte die Hausfrau und fragte durch's Fenster, ob wir's seien. Wir sagten, wo wir herkämen und dass wir nicht hereinkönnten. Da riegelte Herr Hartwig die Haustüre auf und ließ uns herein.« Karl hielt inne.
»So habt ihr richtig die Hausleute gestört!« sagte Frau Pfäffling. »Hättet ihr mir doch gesagt, dass ihr in dieser Nacht fort wollt, ich würde euch vorher hinunter geschickt haben, damit sie davon wissen. So aber waren sie wohl ängstlich, als sie etwas hörten und haben deshalb geriegelt. Habt ihr euch recht entschuldigt?«
»Er hat uns dazu gar keine Zeit gelassen.« Sie senkten die Köpfe. Herr Pfäffling sah seine Söhne aufmerksam an. »Kinder, ihr habt noch nicht alles gesagt.«
»Nein.« Da trat eine bange Stille ein, bis Karl sich ermannte und die schlimme Botschaft aussprach: »Der Hausherr lässt dir sagen, auf 1. Januar sei gekündigt.«
Ein Ausruf des Schreckens entfuhr der Mutter, und den Schwestern der Jammerschrei: »O hätten wir doch das Rufen gehört, wären wir doch aufgewacht!« Herr Pfäffling aber sträubte sich, die Nachricht zu glauben. »Es ist doch gar nicht möglich, dass das sein Ernst ist, glaubst du das, Cäcilie? Kann das wirklich sein? Kündigt man, weil man einmal im Schlaf gestört wird? Täten wir das? Mich dürfte man zehnmal wecken und ich dächte noch gar nicht an so etwas. War er denn im Zorn, was hat er denn sonst noch gesagt?«
»Kein Wort weiter, aber das so langsam und deutlich, wie wenn er sich's schon vorher ausgedacht hätte.«
»Und ihr habt euch nicht entschuldigt, habt kein Wort gesagt, um ihn zu begütigen? Ihr Stöpsel! Und warum habt ihr denn nicht lieber geklingelt? Ist unsere Hausglocke zum Schmuck da oder zum Läuten? Die Marianne rufen! Der Einfall! Die schlafen doch wie Murmeltiere!«
Frau Pfäffling unterbrach die immer lebhafteren Ausrufe ihres Mannes: »Es ist gleich Schulzeit und ich meine, wenn es die Buben auch nicht verdient haben, sollten sie doch einen warmen Schluck trinken, ehe sie in die Schule gehen, sieh, wie sie aussehen.«
»Wie die Leintücher,« sagte der Vater, »schnell, setzt euch, frühstückt!«
So waren die drei doch wieder zu Gnaden am Tisch angenommen und konnten wirklich ihr Frühstück brauchen, nach dieser Nacht! Wilhelm und Otto verschlangen ihr Teil mit wahrem Heißhunger, und als sie damit fertig waren, griffen sie noch über zu dem Teil ihres Frieders, der vor Horchen und Staunen noch gar nicht ans Essen gekommen war und sich auch nicht wehrte gegen den Übergriff; so etwas kam hie und da vor und heute fühlte er, dass es so sein müsse.
Herr Pfäffling umkreiste noch eine Weile den Tisch in heftiger Erregung, so dass es seiner Frau schier schwindelte, endlich atmete er tief auf, seufzte: »O Marstadt, Marstadt!« und verließ das Zimmer, um sich zum täglichen Gang nach der Musikschule zu richten. Rascher noch als sonst eilte er durch den untern Hausflur, er hatte keine Lust, den Hausherrn zu begegnen. Aber da wäre gar keine Gefahr gewesen, auch der Schreiner wünschte keine Begegnung und wartete ab, bis alle Glieder der Familie Pfäffling auf dem Schulweg waren, ehe auch er das Haus verließ.
So gab es zwei Männer im Haus, die sich mieden, aber es gab auch zwei Frauen, die sich suchten. Frau Hartwig tat das Herz weh bei dem Gedanken an die Sorge, die der Familie Pfäffling auferlegt wurde, jetzt bei Beginn des Winters und nach der eben erlebten Enttäuschung durch die Direktorstelle. Und es kränkte sie, dass ihr Mann mit Recht von der leichtsinnigen Gesellschaft da droben sprechen konnte. Sie hatte so viel von der Familie gehalten, ja, sie spürte es erst jetzt recht deutlich, eine wahre Liebe hatte sie für sie alle empfunden, ganz anders als je für frühere Mietleute. Sie musste das alles mit Frau Pfäffling besprechen. Aber ihr Mann war dagegen, dass sie hinaufging.
Frau Pfäffling ihrerseits war ganz irre geworden an den Hausleuten. Sie hatte so viel Vertrauen in sie gehabt und sie hochgeachtet wegen des echten christlichen Sinnes, den sie jederzeit bewährt hatten. Wie stimmte dazu die Lieblosigkeit, die Kinder in die kalte Nacht hinauszuschließen und dann noch zu kündigen, und das alles bloß wegen einer gestörten Nachtruhe! Sie musste sich das erklären lassen von Frau Hartwig, aber mit ihr allein wollte sie sprechen. So strebten die beiden Frauen zusammen, und wo ein Wille ist, findet sich bald ein Weg.
Im obersten Stock des Hauses war ein Revier, das beide Familien benützten. Das war der große Bodenraum, wo die Seile gezogen waren zum Wäschetrocknen und die Mange stand, zum Mangen und Rollen des Weißzeugs. Die Hausfrau war mit einem kleinen Korb Wäsche hinaufgegangen, fing an, das Rad zu drehen und zu mangen.
Frau Pfäffling konnte das unten gut hören. Nicht lange, so stieg auch sie hinauf. Vom Drehen des Rades war bald nichts mehr zu hören.
Nach einer guten Weile kamen die beiden Frauen fröhlichen Sinnes miteinander herunter, zwischen ihnen gab es kein Missverständnis mehr und sie waren der guten Zuversicht, dass sich auch die beiden Männer miteinander verständigen würden.
Frau Hartwig sagte an diesem Mittag zu ihrem Mann: »Hat dir nicht gestern Remboldt erzählt von den vielen Sternschnuppen, die er auf der Wache gesehen hat?«
»Ja, du warst ja dabei.«
»Weißt du, wie man diese Sternschnuppen heißt? Ich habe es heute zum ersten Mal gehört, die heißt man ›den Leonidenschwarm‹.« Weiter sagte Frau Hartwig gar nichts. Aber sie beobachtete, wie dieses Wort ihrem Mann zu denken gab. Sie wusste ja, dass mit dem richtigen Verständnis des Wortes sein ganzer Zorn gegen die Familie Pfäffling schwinden musste. Sie wollte ihm gar nicht zureden, sein eigenes Gefühl würde ihn treiben, zu tun, was recht war.
Am Nachmittag faßte er