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seinen Reisesack, in dem sich die Armbrust befand, am Pferdesattel und schwang sich geschmeidig auf die Stute. Der Wirt stand in der Tür, nickte ihm freundlich lächelnd zu, drehte sich um und ging in die Wirtsstube.

      »Ist die Ratte endlich weg?«, flüsterte seine Frau.

      »Ja, Richtung Lübeck.«

      »Gott sei Dank!«

      »Er hatte Geld.«

      »Das hat er gestohlen. Hast du die kalten Augen gesehen, die Narben, dieses überhebliche Grinsen und wie er mich von oben herab behandelt hat, als sei er ein Herr?«

      »Hier, nimm und scher dich nicht mehr drum.« Der Wirt warf ihr zwei Pfennige zu – das Doppelte dessen, was »die Ratte« eigentlich hätte bezahlen müssen.

      Zwei Stunden vor Lübeck hatte Albert Puster eine Gruppe von Fuhrwerken eingeholt.

      »Gott sei mit Euch, Kutscher. Salz nach Lübeck?«

      »Gott mit Euch. So ist es, und Ihr?«

      »Nach Lübeck. Geschäfte.«

      Zehn Minuten später hatte Albert Puster sein Pferd an das Fuhrwerk gebunden und saß neben dem Kutscher, den sie Langheinrich nannten, auf dem Bock. Es war unauffälliger, die Lübecker Tore in Begleitung einer Lüneburger Salzlieferung zu passieren. Kein Mensch würde sich an ihn erinnern. Viel schwieriger dürfte es werden, die Stadt wieder zu verlassen, nachdem er den Bürgermeister getötet hatte.

      Nachmittags um vier erreichten sie das äußere Mühlentor, das südliche der drei Lübecker Stadttore. Die Fuhrwerke holperten über die Travebrücke, passierten das innere Mühlentor und wurden von einem Wachmann gestoppt. Albert Puster war nervös. Wusste man von seinem Vorhaben?

      »Kutscher, hier herüber zum Wiegen«, rief der Wachmann.

      »Ja, ja, Soldat, ich kenne mich aus, komme jedes Jahr fünfmal nach Lübeck, und das schon seit einer Zeit, in der du noch in die Hosen geschissen hast.« Die Fuhrleute lachten über Langheinrichs Scherz, und der junge Wachmann verschwand mit rotem Kopf in der Wachstube.

      Als der letzte Wagen das Tor passiert hatte, erschien eine Gruppe von vier Wachmännern unter dem Kommando eines blonden Hauptmanns, der sich bei seinen Kollegen in der Wachstube meldete, die ihn fragend anschauten.

      »Die Ablösung kommt zwei Stunden früher als erwartet, Kameraden«, witzelte einer der Männer, die sich mit Würfeln die Zeit vertrieben.

      »Die Wachen werden verdoppelt. Anordnung des Bürgermeisters. Jeder, der die Stadt betritt, soll durchsucht und befragt werden. Jeden Verdächtigen sollen wir festhalten und dem Hauptmann vorführen.«

      »Scheiße.«

      »Verdammte Scheiße.«

      »Und warum?«

      »Sie befürchten einen Mordanschlag auf den Bürgermeister.«

      »Wonach suchen wir denn?«

      »Nach einer Nadel im Heuhaufen.«

      Einer der Spieler schob den Würfelbecher beiseite. »Na dann ans Werk. In einer guten Stunde schließen wir das Tor, und bis dahin bringt ihr mir diesen Satan bei.«

      Die Männer lachten und zogen ihre Mäntel an.

      »Alsdann, habt Dank für den gemütlichen Ritt und macht Euch einen schönen Abend.« Albert Puster legte eine Münze auf den Kutschbock. Der Kutscher setzte ein strahlendes Lächeln auf, als er das Geldstück sah. Die Lüneburger hatten vor dem Zollhaus gehalten. Albert Puster nahm sein Pferd an die Zügel und ging in Richtung Hafen davon.

      »Wer war das?«, wollte einer der Zöllner von Langheinrich wissen.

      »Er arbeitet für einen Nürnberger Kaufmann und will Hering kaufen, und er hat mir ein Loch in den Bauch gefragt, wollte alles über Lübeck wissen und über Euren Bürgermeister. Dabei hat er hier eine Schwester, die mit einem Paternostermacher verheiratet ist.«

      »Die Paternostermacher wohnen aber da drüben.« Der Knecht deutete in die entgegengesetzte Richtung, in die Albert Puster verschwunden war.

      »Genug geschwätzt. Bringen wir das Salz auf den Hof, und danach gehen wir einen saufen.«

      Albert Puster führte unterdessen sein Pferd an der Stadtmauer entlang zum Hafenviertel. Hier hatte er vor acht Jahren schon einmal übernachtet, bevor es gegen die Dänen ging. Heute besaß er genügend Geld, um sich in jedem Wirtshaus einzuquartieren, selbst in der »Ratsschenke«, aber das wäre zu auffällig gewesen. Die Stute gab er in einem Mietstall ab und bat den Pferdeknecht, nach einem geeigneten Käufer für das Tier Ausschau zu halten. Dann machte er sich auf die Suche nach dem Haus der jungen Hure, bei der er vor sechs Jahren gewohnt hatte.

      Nur wenige Gassen des Hafenviertels waren gepflastert. Die meisten waren schlammige Wege, auf denen die Menschen ständig auf der Suche nach einem Pfad zwischen den zahlreichen Pfützen und dem Kot von Pferden, Ochsen, Schweinen und anderem Viehzeug waren. Die Häuser, die sich hier aneinander reihten, waren kaum mehr als Bretterbuden. Es stank nach Urin und Fisch und nach nahezu allen anderen Gerüchen, die von Verrottung und Verwesung ausgehen. Zwei Schweine trotteten langsam über die Straße. Albert Puster klopfte an die Tür einer windschiefen Holzhütte. Eine Frau mittleren Alters mit einem Kleinkind auf dem Arm öffnete. Fast hätte er sie nicht wieder erkannt. Ihre Reaktion zeigte ihm aber, dass sie es sein musste. Die Frau erschrak, als sie den Mann mit den Narben sah, und wollte die Tür sofort wieder schließen. Albert Puster hatte inzwischen eine Silbermünze aus seiner Tasche gezogen, die er mit dem Geschick eines Spielers über die Fingerrücken laufen ließ. Die Frau hielt inne, ein Grinsen offenbarte die Tatsache, dass sie schon die Hälfte ihrer Zähne eingebüßt hatte. Sie öffnete die Tür, und Albert Puster betrat einen niedrigen dunklen Raum, in dem es nach dem Rauch eines Herdfeuers roch.

      KAPITEL 4

      »Papa, du musst nicht traurig sein. Mama ist doch im Himmel. Stimmt doch, oder?« Geseke schaute erst ihren Vater an, dann Onkel Pietro, Bruder Benedikt und schließlich ihren Großvater.

      Reinekin musste seinen Schmerz hinunterschlucken, und Tränen traten ihm in die Augen.

      »Aber freilich ist deine Mama im Himmel. Sie ist bei Gott, den Heiligen und den Engeln, und sie schaut auf dich herab und freut sich über dich«, sagte der Franziskaner.

      »Und sie freut sich noch mehr, wenn du endlich ins Bett gehst. Jan und Johanna schlafen schon längst«, ergänzte Balthasar Grevenrode.

      »Ich bleibe bei Papa.« Die Siebenjährige kuschelte auf dem Schoß von Reinekin und schlang die Arme um seinen Nacken.

      »Komm, ich bringe dich ins Bett.«

      »Aber nur wenn ich bei dir schlafen darf.«

      »Du kannst ausnahmsweise in Mamas Bett schlafen, aber ich muss noch mit Opa und Pater Benedikt reden. Komm, geh ins Bett.«

      »Nur wenn du mich hochbringst.«

      »Na gut.«

      Einem Kuss für Balthasar Grevenrode und einem weiteren für Pietro folgte eine Verbeugung vor dem Prior von St. Katharinen, und dann ließ sich Geseke von ihrem Vater aus dem Zimmer tragen.

      »Sie sieht aus wie ihre Mutter«, sagte der Franziskaner.

      »Und sie feilscht wie ihre Mutter«, fügte der Bürgermeister stolz hinzu.

      »Gibt es etwas Neues von den Wachen?«, wollte Pietro wissen.

      »Nein, aber ich habe Boten geschickt nach Stralsund, um Wulflam zu warnen, und nach Bremen, Danzig und Wismar, weil ich wissen will, ob sie etwas über die Todesumstände unserer Freunde herausbekommen haben.«

      »Und Eure eigene Sicherheit?«

      »Keine Sorge, ich tue keinen Schritt mehr, ohne dass mich die Wache begleitet.«

      »Wie viele Wachen habt Ihr?«

      »Vier.«

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