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Käufer die Köstlichkeit vorher auch nur probierten. Jeder wollte etwas von dem besonderen Wein abhaben, und der Preis spielte keine Rolle. Mit dem letzten Wagen war er in Lübeck angekommen. Auch hier hatte sich die bevorstehende Ankunft dieser Rarität schon herumgesprochen. Reinekin wurde in das Haus des Bürgermeisters gebeten. Und während Balthasar Grevenrode den Wein probierte und sich nach dem Preis erkundigte, war sie hereingekommen.

      »Soll ich später wiederkommen?«, hatte sie höflich gefragt.

      »Nein, setz dich zu uns. Ich stelle dir Reinekin Kelmer vor, einen Kaufmann aus Frankfurt, oder sollte ich besser sagen: aus Venedig.«

      Während Reinekin auf die junge Frau starrte, sagte Balthasar Grevenrode: »Meine Tochter hilft mir bei den Geschäften. Sie ist talentiert. Ich habe keine Söhne. Nur dieses eine Kind, und da blieb mir nichts anderes übrig, als einen Kaufmann aus ihr zu machen.« Grevenrode lachte laut, und seine Tochter blickte verlegen zu Boden. Sie war eine Schönheit, groß und schlank, mit braunen Locken, die sich nicht mit Haarnadeln bändigen ließen. Sie berichtete von einem Schiff, das aus Brügge eingelaufen sei, und dass die Preise für Pelze in ganz Flandern gefallen seien und man deshalb die Kogge aus Nowgorod besser nach England schicke.

      »Aber wir brauchen die Tuche aus Brügge«, hatte Grevenrode eingewandt und sie hatte ihm vorgerechnet, dass er an die dreißig lübische Mark mehr gewinnen würde, wenn die Kogge London anlaufen würde, um dort die Pelze zu verkaufen, und dann mit englischer Wolle nach Brügge fahre und von dort die Tuche mitbringe. Balthasar Grevenrode hatte lächelnd genickt. Dann hatte er Reinekin die Fuhre Wein abgekauft.

      »Kommt morgen zum Abendessen, Reinekin, und erzählt uns von Italien.«

      Reinekin hatte die Einladung gerne angenommen, diese und noch viele andere bis zu seiner Abreise nach Frankfurt. Schon damals wusste er, dass seine Zukunft nicht in Frankfurt oder Italien lag, wie es sein Vater geplant hatte, sondern in Lübeck.

      »Kommst du wieder, Reinekin?«, hatte Johanna gefragt.

      »Ja«, hatte er geantwortet und sie zum ersten Mal geküsst.

      Im nächsten Jahr hatte er noch einmal die beschwerliche Reise vom Mittelmeer an die Ostsee auf sich genommen, doch diesmal war er in Lübeck geblieben, hatte sich die Bürgerschaft der Stadt gekauft und das Haus eines Kaufmanns, der auf der Ostsee mit Schiff und Waren untergegangen und dessen Besitz mangels Erben an die Stadt gefallen war. Im Jahr darauf hatte er Johanna Grevenrode, die Tochter des Bürgermeisters, geheiratet.

      »Der Wein hat mir wahrlich Glück gebracht.«

      Die Haustür flog auf und riss Reinekin aus seinen Erinnerungen. Jan und Geseke schossen herein. Sie schleuderten die hölzernen Trippen in eine Ecke und stürzten auf Reinekin und Pietro zu.

      »Papa, Pietro, schaut euch das an: ein Pferd.« Der achtjährige Jan hielt Reinekin eine Holzfigur vor die Nase.

      »Und eine Puppe«, ergänzte seine Tochter, die ein Jahr jünger als ihr Bruder war. »Sogar mit Haaren. Mit richtigen Haaren.«

      »Nein, das stimmt gar nicht. Das sind Pferdehaare, frag Opa.«

      Balthasar Grevenrode tauchte in der Tür auf.

      »Richtige Pferdehaare«, sagte er, trat in die Diele, schloss die Tür hinter sich und schüttelte sich vor Kälte.

      »Papa, das schenken wir morgen der kleinen Johanna zum Geburtstag, und Opa hat mir versprochen, dass ich auch so eine Puppe kriege.«

      »Los, komm in die Kemenate, wir zeigen es Sarah.«

      »Seid bitte leise, Johanna schläft«, rief Reinekin ihnen nach, aber da waren sie schon im Hinterhaus verschwunden.

      »Setz dich, Balthasar. Wie kommt es, dass der Bürgermeister persönlich die Kinder bringt?«

      »Sie müssen ins Bett. Es hat schon zur Nacht geläutet. Und …«, Grevenrode zögerte und schaute die beiden Männer an, »… ich muss mit dir reden.«

      »Va bene, signori, ich wollte ohnehin gerade aufbrechen.«

      »Nein, bleib da. Es ist möglich, dass es auch dich betrifft«, sagte Grevenrode, nahm einen Becher von dem verzierten Messingtablett, das auf dem massiven Eichentisch stand, goss sich ein, trank, schaute Reinekin an und zog die Stirn in Falten. »Immer wenn du so schaust, gibt es Probleme. Was ist – ein Schiff verloren, eine Ladung gestohlen oder Ärger mit den Dänen?«

      »Ich glaube, es ist schlimmer. Vor sechs Wochen ist Heinrich Molteke ertrunken. Ich habe es gestern erfahren. Sie haben ihn tot aus dem Hafenbecken in Danzig gefischt – mit eingeschlagenem Schädel. Vor zwei Wochen ist Hermen Wackerowe, ein Bremer Ratsherr, in einem Wirtshaus in Hamburg tot zusammengebrochen. Er hatte Schaum vorm Mund und ist unter qualvollen Krämpfen gestorben. Hermen war ein ehrenwerter Mann, ein verlässlicher Kaufmann und ein Freund. Man könnte meinen, dass es ein dummer Zufall war, dass Hermen und Molteke fast gleichzeitig und auf merkwürdige Weise starben. Aber es kommt noch dicker: Heute Mittag kam ein Schiff aus Wismar und brachte die Kunde, dass Hildebrand Karbow abends auf der Heimkehr von einer Ratsversammlung hinterrücks mit einer Armbrust ermordet wurde. Der Mörder ist entkommen.«

      »Sie waren alle Geschäftsfreunde von dir. Richtig?«

      »Geschäftsfreunde, ehrenwerte Kaufleute, Ratsherren und Sendboten ihrer Städte bei den Hansetagen. Und alle drei sollten zu den Friedensverhandlungen nach Stralsund entsandt werden.«

      »Und du vermutest, dass der Tod dieser Männer damit im Zusammenhang steht.«

      »So ist es. Molteke, Wackerowe und Karbow wollten zu einem fairen Ausgleich mit den Dänen kommen, und es gibt genügend andere, die genau das nicht wünschen.«

      Reinekin wiegte skeptisch den Kopf.

      »Es geht um Macht, Reinekin, darum, wer das Sagen hat rund um die Ostsee, und es geht um Geld, sehr viel Geld. Die Holsteiner wollen weiter Krieg und der Mecklenburger auch. Sie wollen sich auf Kosten der Dänen bereichern, und Hamburg, Bremen und die Westfalen haben sich ihnen angeschlossen. Sie treiben Handel mit England, Süddeutschland und bis hinunter nach Italien. Was auf dem baltischen Meer passiert, ist ihnen egal.« Allmählich spürte Balthasar Grevenrode die wärmende Kraft des Feuers und schlüpfte aus seinem Pelzmantel.

      »Lübeck hat den größten Teil der Flotte bezahlt. Und dein Wort, Balthasar, das Wort des Lübecker Bürgermeisters, zählt mehr als das des schwedischen Königs.«

      »Unsere Schiffe waren wichtig, um den Sieg zu erringen. Aber jetzt, wo die dänische Flotte zerstört ist und Dänemark schutzlos, genügen ein paar Koggen, um zu plündern und zu rauben. Vor der großen Pest im Jahre 1350 hatte ich zehn, manchmal fünfzehn Schiffe, die nur zwischen Lübeck und Dänemark unterwegs waren. Als König Waldemar vor zehn Jahren Gotland eroberte und Visby besetzte – eine Hansestadt«, Balthasar erhob seine Stimme, um seiner Entrüstung Ausdruck zu geben, »da waren wir gerade wieder dabei, uns dem alten Handelsaustausch anzunähern. Das baltische Meer ist für uns so wichtig wie das Mittelmeer für Venedig. Nur wenn wir hier Frieden haben, werden unsere Städte gedeihen.«

      »Ich kenne keinen Besseren als dich, um einen guten Frieden auszuhandeln.«

      »Ich bin ein alter Mann, und wenn ich stürbe, müsste ein anderer für mich verhandeln. Nach Lage der Dinge wird das Burskup sein, und was das bedeutet, kannst du dir ausmalen. Burskup würde für seinen eigenen Vorteil die Seele seiner Mutter verkaufen.«

      »Henning Brödersen ist ein guter Mann oder der junge Rech.«

      Eine Pause trat ein, bevor der Bürgermeister das Gespräch wieder aufnahm.

      »Sicher hast du Recht«, meinte Balthasar, stand auf, trat näher an das Kaminfeuer und griff zu dem Argument, das er sich bis zuletzt aufgespart hatte und das er nur ungern anführte.

      »Es geht auch um dich. Ich will, dass du mich begleitest, weil ich möchte, dass du dich wieder mit etwas anderem beschäftigst als mit unnützen Selbstvorwürfen. Niemandem ist damit gedient, wenn du dich ständig bei den Franziskanern herumtreibst und dich zurückziehst. Johanna ist jetzt seit fast

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