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Münze aus dem Beutel und gab sie der Bäuerin. »Das sollte für die Einkäufe im nächsten Monat reichen. Behandele die Frau wie deine beste Kundin. Ich will keine Beschwerden hören.«

      Die Bäuerin machte einen Knicks. »Sehr wohl. Habt Dank«, sagte sie und zog davon.

      Seitz von Rosenberg hatte ihr einen Schilling in die Hand gedrückt. Das waren zwölf Pfennige! »Ich stehe tief in Eurer Schuld«, sagte Figen mit gesenktem Kopf und schob eine Haarsträhne unter die Bundhaube. Wie sollte sie das nur zurückzahlen?

      Seitz winkte ab. »Schon vergessen.«

      »Ich zahle es Euch zurück.« Konnte er so leicht auf einen Schilling verzichten? Wie wohlhabend musste er sein?

      »Keine Eile.«

      Sie betrachtete ihn verstohlen. Das lange braune Haar hatte er zu einem Zopf zusammengebunden. Seine Muskeln waren durch den Stoff der Tunika gut zu erkennen, und er überragte sie um Haupteslänge.

      Er trat näher und neigte den Kopf zu ihr hinunter. Sie spürte seinen Atem an ihrem Hals. Ein wohliger Schauer lief ihr über den Rücken. »Man sagt, Luther arbeitet an einer deutschen Übersetzung des Neuen Testaments. Sobald ich es habe, wird es erneut eine Versammlung geben. Ihr werdet doch kommen, oder?« Er trat zurück. Seine Augen glühten vor Begeisterung.

      Es war ungewöhnlich, dass ein Bürger eine Magd mit solcher Höflichkeit anredete, und Figen fühlte sich jedes Mal geschmeichelt. »Wenn ich davon erfahre, werde ich es sicherlich einrichten können«, antwortete sie.

      »Daran soll es nicht scheitern. Ich werde Euch eine Nachricht zukommen lassen oder Euch selbst unterrichten.«

      Sie hätte sich in seinen braunen Augen verlieren können, dabei wusste sie, dass es nicht gut war, diesem Mann ihr Herz zu schenken. Er war der Sohn des Laternenmachers, eines angesehenen Bürgers, und sie eine Magd.

      Vor vier Jahren hatte man ihm ketzerische Äußerungen vorgeworfen. Er war zu Peitschenhieben verurteilt und aus der Stadt gejagt worden. Doch seit ein paar Monaten hielt er sich wieder in Köln auf. Sie hätte ihn gern gefragt, wie er es geschafft hatte, nun innerhalb der Stadtmauern geduldet zu werden, doch es geziemte sich in ihrer Stellung nicht, solche Fragen zu äußern.

      Kuntz sprang herbei, legte den Apfelbutzen in ihren Korb, schlenderte an den Ständen entlang und blieb vor dem der Garnmacherin stehen. Er betrachtete das kölnische Garn, den blau gefärbten Zwirn, für den Köln weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt war.

      »Wie geht es Eurem Herrn?«, fragte Seitz von Rosenberg heiter.

      Figen schluckte. Was sollte sie auf diese Frage antworten? Sie ließ den Korb von einer Hand in die andere gleiten.

      »Was bin ich nur für ein Tölpel?« Seitz nahm ihr den Korb ab, bevor sie etwas einwenden konnte. »Das ist viel zu schwer. Wenn Ihr es erlaubt, werde ich Euch den Korb nach Hause tragen.«

      »Aber der Weg ist weit«, wandte sie ein.

      »Dann erst recht«, gab er zurück.

      Sie sammelten Kuntz ein und machten sich auf den Weg. Der Junge lief ein paar Schritte voraus und sprang von einer Matschpfütze in die andere. Seine Kleidung war bereits schmutzig. Wenigstens konnte Figen den Spritzern ausweichen.

      Sie dachte fieberhaft nach, was sie auf Seitz’ Frage antworten sollte, und entschied sich für eine Andeutung. »Bechtolt vermisst seine Tochter.«

      Seitz von Rosenberg brummte zustimmend.

      Figen hatte ihm nicht erzählt, dass sie mit Jonata in Briefkontakt stand. Auch wenn er auf geheimen Versammlungen Texte von Luther vorlas und Figens Gesinnung teilte, wollte sie nicht preisgeben, wo sich ihre Freundin aufhielt. Sie würde sich nie verzeihen, wenn sie Jonata durch eine unbedachte Bemerkung in Gefahr brächte, zumal sie ihr geschworen hatte, zu schweigen.

      »Bechtolt hat keine Ahnung, wo sich seine Tochter aufhält«, sagte sie, was noch nicht einmal eine Lüge war. Ihr Herr fragte sich jeden Tag, wo seine Tochter geblieben war.

      Seitz nickte. »Ein Jammer und ein großer Verlust für die Stadt – genauso wie bei dem Drucker Simon von Werden. Keiner der hiesigen Drucker traut sich mehr, Luthers Schriften zu vervielfältigen, wir sind auf die fahrenden Buchführer angewiesen. Und Mathes Roht ist viel zu selten in der Stadt.«

      Figen nickte. »Er wollte bald wieder hier sein.« Der Buchführer Mathes Roht war der Einzige, der Jonatas Aufenthaltsort ebenfalls kannte und ihre Briefe übergab. Jedes Mal wenn er in der Stadt war, besuchte er Figen und brachte Kunde aus Sachsen mit. Figen vermisste ihre Freundin – wie gern würde sie diese wieder in die Arme schließen. Mit ihr könnte sie ihre Sorgen teilen und auf Beistand hoffen.

      »Ihr kauft also auch Schriften bei ihm? Könnt Ihr denn lesen?«, fragte Seitz.

      »Ja. Jonata hat es mir beigebracht.«

      Seitz machte ein überraschtes Gesicht.

      Figen drückte den Rücken durch. »Jeder sollte die Chance bekommen, die geschriebenen und gedruckten Worte zu lesen, und nicht darauf angewiesen sein, dass die Pfaffen es einem vorpredigen. Sogar die Frauen.« Sie biss sich auf die Unterlippe. Hatte sie zu vorschnell ihre Meinung geäußert?

      Doch anstatt Ablehnung zu ernten, hörte sie Seitz herzhaft lachen. »Gewiss hat es Vorteile, wenn die Frauen den Kindern geistliche Texte vorlesen oder die Geschäftsbücher führen können. Aber es gibt kaum Möglichkeiten für sie, das Lesen zu lernen.«

      »Die Beginen führen doch eine Mädchenschule«, sagte sie.

      »Das tun sie, ja.« Er lachte bitter auf. »Meine älteste Schwester war dort. Die neue Beginenmutter lässt ihre Schützlinge lieber im Garten schuften, als sie die Buchstaben zu lehren. Viele Bürger beschweren sich.«

      »Dann muss sie zur Vernunft gebracht werden.«

      Seitz von Rosenberg schnaubte. »Das wird schwierig sein.«

      »Oder jemand anders muss eine Mädchenschule eröffnen.«

      Er zuckte mit den Schultern. »Tja, und wer? Bestimmt nicht die Pfaffen.«

      Köln war für seine gute Bildung im ganzen Lande bekannt. Es gab die Klosterschulen, die Lese- und Schreibschulen, Lateinschulen, das Gymnasium und die Universität. Fürsten und Kaufleute hatten schon lange den Wert der Bildung erkannt. Und seit einiger Zeit schickten auch die Bürgersleute ihre Kinder zur Schule, doch viele andere hatten das Nachsehen – erst recht Mädchen und Frauen.

      In den letzten Wochen hatte immer wieder ein Gedanke von Figen Besitz ergriffen: Sie wollte ihre Fähigkeit gern an andere Mädchen weitergeben, doch sie wusste nicht, wie sie es angehen sollte.

      »Meine Schwestern sollen auch das Lesen lernen – nur wie? Ich kann es nicht allen beibringen.«

      »Wie viele habt Ihr denn?«

      Er grinste. »Sechs.«

      Figen sah zum Himmel. Dicke Wolken schoben sich über die Stadt. War es an der Zeit, ihren Gedanken zu offenbaren? Wenn die Bürger von der Beginenschule enttäuscht waren und es keine andere Möglichkeit für die Mädchen dieser Stadt gab, das Lesen zu lernen, dann war es womöglich ein Wink Gottes. Schließlich waren die Garnmacherinnen, Goldspinnerinnen und Seidenweberinnen darauf angewiesen, dass ihre Lehrmädchen lesen und schreiben lernten. Sie unterrichteten ihre Zöglinge selbst, aber viel Zeit hatten die Meisterinnen dafür nicht. Es gab keine Männer in den Gewerken, und irgendwer musste die Geschäftsbücher führen.

      Der Gedanke nahm Gestalt an wie ein Stein unter der Hand eines Bildhauers. Die Schenke in Bechtolts Haus stand leer, dort gab es genug Tische und Bänke. War das eine Möglichkeit, um für ihren Unterhalt zu sorgen, bis Bechtolt aus seiner Lethargie erwachte?

      Als sie ihr Haus erreichten, hielt Seitz ihr den Korb hin. Dankend nahm sie ihn an. »Wie kann ich es Euch vergelten?«

      »Indem Ihr zur nächsten Versammlung erscheint.« Er lächelte sie breit an.

      Hitze stieg Figen ins Gesicht. Sie

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