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lasst mich doch in Ruhe.

      Ich gehe die weiteren Suchergebnisse durch, die Google mir auflistet. Eines spannender als das andere. Ich schaue gar nicht genau hin.

      Mein Haus ist dein Haus. Ha! Loswerden willst du mich. Ich störe hier doch nur.

      Die Buchstaben von Google werden heute von bunten Tieren in die Luft gehoben. Google ist immer fröhlich.

      mein haus ist dein haus du arsch, gebe ich ein.

      mein haus ist dein haus.

      Wieder überfliege ich die Suchergebnisse. Lauter sinnloses Zeug.

      Doch an einem bleibe ich hängen.

       IYH – It’s Your Home – find places to stay all around the world

      Places to stay. Bingo. Das ist, wonach ich suche.

       Do you love meeting people from other cultures? Do you love travelling? Do you love helping other people? Then this is the place for you to be!

      Andere Kulturen sind mir im Moment ziemlich egal, trotzdem lese ich weiter.

      Places to stay, denke ich.

      Das sagen unsere Mitglieder, steht da. Jemand namens Cricket aus Taiwan schreibt:

      IYH is an amazing network. It’s a place where people don’t just offer you a place to stay but also open their hearts.

      Und dann:

      1. Schritt: Account zulegen

      2. Schritt: Profil vervollständigen

      3. Schritt: Foto hochladen

      4. Schritt: andere Mitglieder kontaktieren

      Der Account geht schnell und unkompliziert. Aber: Wer bin ich? Ich kann schlecht als Jakob in meiner eigenen Stadt Urlaub machen. Die würden mich doch fragen, ob ich spinne.

      Wer könnte ich also sein? Und woher?

      Eine Stunde später habe ich ein vollständiges Profil von mir. Nickname: Jay. Jay wie J. J. Wie Jake oder John oder Jeremy. Jeremy ist gut. Mit Jeremy kann ich mich anfreunden. Jeremy also. Aus Glasgow. Über Google Maps kann ich mir sogar ein Haus aussuchen. Liberton Street, gleich neben der Carntyne Primary School. Hübsches Haus, hübscher Garten. Unser Nachbar mäht sicher gerade den Rasen.

      Erste Frage: Warum ist Jeremy in Wien?

      Urlaub, was sonst. Aber nicht so mit Hotel und Sightseeing und nach zwei Wochen wieder heim. Nein, Jeremy hat Größeres vor. Ist gerade mit der Schule fertig, hat ein bisschen gejobbt und will jetzt erst mal rumreisen. Hat in Hamburg Halt gemacht und danach in München. Jetzt sind ein paar Tage Wien dran und dann will er weiter in den Süden. Balkan und so. Balkan klingt immer gut. Klingt nach Sehnsucht und Schnaps und Soundtrack von Shantel.

      Ich merke, wie sich meine Laune hebt. Es macht Spaß, mir jemanden wie Jeremy auszudenken. Einen, der nicht bloß ein zweidimensionaler Avatar bleibt, sondern real in 3D hier vom Sessel aufstehen und in die Welt hinausgehen wird. Mit meiner rechten Hand ergreife ich meine linke und schüttle sie. »Hallo Jeremy«, sage ich.

      Zweite Frage: Warum spricht er deutsch?

      In Glasgow gibt’s sicher eine deutsche Schule. Wenn ich ab und zu englische Wörter einwerfe, nimmt man mir das schon ab. Ist nur die Frage, ob mein Englisch gut genug ist, falls es mal drauf ankommt. Den Akzent krieg ich hin.

      Vielleicht bin ich übergeschnappt. Aber ich glaube, es könnte funktionieren.

      Ich fühle mich aufgeregt wie ein kleines Kind vor Weihnachten. Ich bin nicht mehr Jakob, der nicht mehr weiterweiß. Ich bin Jeremy. Jeremy der schottische Tourist, der ganz genau weiß, was er will. Jeremy macht das. Der lässt sich nicht unterkriegen.

       blueballoon, 28, Programmierer, Motto: to enjoy every day

      Klingt doch gut. Ich drücke auf Nachricht an blueballoon senden.

      Hey blueballoon, ich bin Jeremy aus Glasgow und gerade auf meiner ersten Reise nach Wien. Ich bin erst vor kurzem auf IYH gestoßen und habe deshalb leider noch keine Bewertungen oder Freunde. Wenn ich trotzdem eine Nacht (oder ein paar Nächte) in deinem Haus verbringen könnte, wäre das toll! Ich komme morgen Nachmittag an.

       Vielen Dank, Jeremy

      Ist das okay so? Nicht zu förmlich? Ich habe keine Ahnung, wie man solche Anfragen schreibt. Soll ich das so abschicken? Wenn es schiefgeht, habe ich zumindest noch einen Tag Zeit, mir was anderes zu überlegen. Andere Leute anzuschreiben. Mal sehen, wie blueballoon auf mein Mail reagiert. Schließlich gibt sein Profil an, dass er Anfragen zu 100% beantwortet und sicher einen Schlafplatz hat. Also ja, abschicken.

      Tatsächlich, zwei Stunden später habe ich eine Nachricht von blueballoon in meinem Posteingang.

       hallo jeremy, ich hab grad IYH-gäste, ich muss sie noch fragen, wie lange sie bleiben wollen. wenn sie morgen schon fahren, kannst du gerne kommen! melde mich, sobald ich etwas weiß. andi

      blueballoon heißt also Andi.

      Den Rest des Tages lümmle ich in der Wohnung herum. Mein Vater arbeitet offensichtlich lange, wenn er denn tatsächlich arbeitet und nicht einfach vor mir geflüchtet ist. Alle zehn Minuten checke ich meine Inbox. Und siehe da, am Abend ist die nächste Nachricht da. Von blueballoon-Andi.

      you are very welcome!, steht da. wann wirst du ankommen? soll ich dich vom flughafen oder bahnhof abholen?

      Ich bin perplex. Der Typ will gar nicht wissen, wie lange ich vorhabe zu bleiben. Mein eigener Vater will mich so schnell wie möglich loswerden – dieser Typ kennt mich nicht mal und würde mich sogar abholen!?! Und ich muss nichts zahlen, um in seiner Wohnung zu wohnen!

      Aber dann wird mir mulmig. Das ist doch nicht normal, wildfremde Leute einfach vom Flughafen abzuholen. Hat der nichts Besseres zu tun?

      Vielleicht ist Andi gar kein Programmierer, sondern ein Massenmörder? Vielleicht lockt er unschuldige Menschen in seine Wohnung, um dort grausame Spielchen mit ihnen zu treiben? Vielleicht stapeln sich in seinem Keller die Leichen gutgläubiger Touristen?

      Ich gehe noch mal auf blueballoons Profil zurück. 137 Freunde. Mitglied seit 2006. Eine nicht enden wollende Reihe an Bewertungen auf Deutsch und Englisch.

      andi ist ein wunderbarer mensch … er hat uns vom bahnhof abgeholt … man muss ihn einfach mögen … er weiß wirklich, worum es bei IYH geht … der tag mit andi war der beste meiner ganzen reise

      Okay, wenn die das alle sagen, muss er einigermaßen in Ordnung sein. Ich habe wohl zu viele Gruselfilme gesehen. Wahrscheinlich ist er ein harmloser Typ ohne Freunde, der IYH dazu nutzt, sein Sozialleben aufzupeppen. Außerdem will ich nur dort schlafen. Ich will keine Stadtführung oder sonst ein Drumherum. Ich will eine Matratze, eine Dusche und ein Dach. Das scheint er zu haben.

      Aber was soll ich antworten? Wo soll er mich abholen? Schließlich komme ich nirgendwo an, sondern bin bereits hier, und das seit 17 Jahren.

      Doch so darf ich gar nicht denken. In IYH gibt es keinen Jakob. Jeremy wird am Sonntag ankommen und alles wird neu sein.

       Hey Andi, danke, das ist super! Ich bin gerade in München und habe eine Mitfahrgelegenheit mit dem Auto nach Wien – da kann ich bis zu dir fahren (oder zumindest in deine Nähe). Wann wir genau ankommen, weiß ich nicht, vermutlich irgendwann am Nachmittag. Kann ich mich einfach melden, wenn wir eine Stunde vor Wien sind?

       Bis morgen, Jeremy

      Wieder frage ich mich, ob das okay ist so. Ich will nicht unhöflich sein, andererseits will ich auch nicht zu förmlich schreiben. Das könnte steif und spießig wirken und ich bin jetzt ein cooler Traveller. Aber zu flapsig geht auch nicht, schließlich kenne ich den Typen nicht und ich will unbedingt in seine Wohnung.

      Doch

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