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      Gustavo ist aus Spanien und der erste, der tatsächlich so heißt, wie er angegeben hat. Wenn er es ausspricht, klingt es wie ›Gustabo‹. Seine Mitbewohnerin ist gerade nicht da und so darf ich fast eine Woche in ihrem Hochbett schlafen. Dem wahrscheinlich höchsten Hochbett der Stadt, zu dem eine lange Sprossenwand hinaufführt. »You shouldn’t climb up there when you’re drunk«, warnt mich Gustavo scherzhaft.

      Schnell schüttle ich den Kopf. »I know I’m Scottish but I don’t drink much.«

      »Oh, but a bit you drink, right?«

      Ich nicke. »A bit.« Gustavos Englisch klingt lustig, aber soweit ich verstanden habe, spricht er fast überhaupt kein Deutsch.

      Gustavo ist erst seit einem halben Jahr hier, dennoch hat er ständig Besuch von unterschiedlichen Leuten, die alle Spanisch sprechen. Sie sind total nett zu mir und laden mich ein, mit ihnen in der Küche zu sitzen und zu trinken. Aber nach zwei Sätzen Englisch wechseln sie wieder ins Spanische.

      »I’m sorry«, sage ich, als ich aufstehe, um in mein Zimmer zu gehen.

      »I don’t understand a thing.«

      »Ah, we are sorry!« Bestürzte Gesichter. »But we don’t manage not to speak Spanish. We’re really sorry!«

      »It’s okay«, wehre ich ab. Gustavos Freunde wirken zwar alle sehr sympathisch, aber ich muss sowieso meine Hausaufgaben machen und für die Stundenwiederholung lernen. Da kommt es mir nur gelegen, eine gute Ausrede zu haben.

      »When I get home to Glasgow I will do a Spanish course and next time I come here we can talk«, verspreche ich der Gruppe. »Okay?« »You definitely have to come another time«, sagt Gustavo erfreut. »And if not here then you must come to visit me in Spain, promise?« »Promise«, sage ich und verschwinde Richtung Zimmer mit dem höchsten Hochbett der Stadt.

      Freitagfrüh fliegt Gustavo auf Urlaub nach Bilbao, wo er herkommt. »You can choose«, sagt er. »You can stay until Thursday. Or you stay until Friday but then you have to leave the flat together with me at five o’clock in the morning. I have an early flight.«

      Am Freitagabend kann ich bei OMG it’s me vorbeikommen. Ich bin zu faul, nur für eine Nacht Leute anzuschreiben. Seit HulaHoop bemühe ich mich, wirklich alle Profile genau durchzulesen, und das ist mir gerade zu mühsam.

      Also stehe ich am Freitag um halb fünf auf, damit ich eine halbe Stunde später mit Gustavo das Haus verlassen kann.

      »Sorry«, sagt er. »I’m really sorry you have to get up so early because of me.«

      »No problem«, versichere ich ihm.

      »Where are you going now?«, will er wissen.

      »Not sure. Can I take you to the airport?«

       Flughafen

      Ich begleite Gustavo zum Check-in und zum Eingang zur Security und winke ihm nach, bis ich ihn nicht mehr sehe.

      Tue genau das Gleiche wie die Leute neben mir auch.

      An jedem anderen Freitag müsste ich jetzt in die Schule fahren. Heute nicht, unsere Schule hat uns einen schulautonomen Tag spendiert. An jedem anderen Freitag hätte ich mich darüber gefreut. Hätte lang geschlafen, wäre rüber zu Lukas, irgendwelche Games spielen.

      Diesmal fühlt es sich anders an. Der ganze Tag liegt vor mir und will gefüllt werden. Nur womit?

      In der Schule hätte ich wenigstens etwas zu tun und warm wäre es auch.

      Egal, Jeremy findet sich schon was. Ich spaziere durch das Flughafengebäude und beschließe, mir ein Frühstück zu gönnen. Im Terminal 1 setze ich mich in ein Café und studiere die Karte, in der der Unterschied zwischen den verschiedenen Wiener Kaffeesorten genau erklärt wird. Das meiste davon ist auch für mich neu. Schließlich entscheide ich mich für einen Franziskaner, einen kleinen schwarzen Kaffee mit viel Milch, Schlagobershaube und Schokopulver.

      Danach streife wieder durch das Flughafengelände, aber irgendwann wird das langweilig. Mit einem Seufzer lasse ich mich auf eine der Sitzgelegenheiten sinken, so richtig bequem sind die jedoch nicht. Ich könnte wieder nach Wien reinfahren, überlege ich. Aber dann wohin? Wenn es warm wäre, könnte ich mich in einen Park legen, aber obwohl die Sonne scheint, merkt man der Luft an, dass es Ende Oktober ist. Ich sehe auf die Uhr. Noch sieben Stunden, bis ich zu OMG it’s me kann.

      Ich merke, wie ich langsam grantig werde. Ich bin müde und meine linke Schulter tut weh, vermutlich vom langen Rucksackschleppen. Was für eine blöde Idee, die Nacht auf heute noch bei Gustavo zu bleiben. Das habe ich jetzt davon, dass ich zu faul war, mir einen host für eine Nacht zu organisieren. Ich schaue auf die Uhr. Noch immer sieben Stunden, die Zeit zieht sich wie in der schlimmsten Schulstunde nicht.

      So soll es nicht sein, so war das nicht gedacht. Jeremy soll Spaß haben in dieser fremden Stadt und nicht blöd herumwarten an Orten wie diesen.

      Ein kleines Kind stellt sich vor mich und sieht mich mit offenem Mund und großen Augen an. Genervt drehe ich mich weg. Nur weil es süß schauen kann, braucht es nicht zu glauben, dass ich jetzt lächle.

      Aber plötzlich ist mein Grant wie weggeblasen und es hat nichts mit dem Kind zu tun. Sondern damit, dass ich eine Idee habe, wo ich den Nachmittag verbringen könnte. An einem Ort, der mich an meine Kindheit erinnert. Wo es Betten gibt, in die ich mich legen kann. Und Fleischbällchen. Und Kartoffelpüree. Und Mandeltorte.

       Sverigestraße

      Eineinhalb Stunden später sperre ich meinen Rucksack in das Schließfach beim Ikea-Eingang und strecke mich. Tut gut, dieses schwere Ding endlich los zu sein. Ich gehe die Stiege hinauf und lächle. Sofas ohne Ende. Aber ich kann mich nicht einfach aufs erstbeste werfen und laut zu schnarchen beginnen. An einem Freitag wie heute laufen hier zu viele Leute rum.

      Langsam schlendere ich durch die Abteilungen und versuche, eine versteckte Liegegelegenheit auszumachen. Die meisten Betten und Sofas stehen in der Mitte des Raums und eine Jungfamilie nach der anderen schmeißt sich auf sie, um zu testen, ob sie bequem genug sind. Nichts für mich.

      Die Pfeile auf dem Boden leiten mich durch die Abteilungen. Immer wieder kann man durch Türen in kleine Wohneinheiten gehen.

      Unser Zuhause auf 35 m2.

      Bett, Fernseher, Küche, Bad. Alles. Klar, wenn man so hohe Räume hat wie Ikea, kann man einfach alles in die Höhe schachteln und kommt locker mit wenig Grundfläche aus.

      Ich schlendere weiter.

      Unser Zuhause auf 25 m2.

      Auch hier geht sich alles aus. Mit Hochbett allerdings. Das sehe ich mir genauer an. Kann ja sein, dass ich es kaufen will. Die Sprossen der Leiter sind mit einem Plastikschild verhängt.

      Da sich in der Decke Stromleitungen befinden, bitten wir dich, dein Kind nicht im oberen Bett spielen zu lassen.

      Ich will nicht spielen, ich will schlafen. Das Schild gilt also nicht für mich.

      Eine Matratze ist da. Die unterste Sprosse ist nicht vom Schild verdeckt und wenn ich mich draufstelle, kann ich sehen, dass auf der Matratze sogar Bettwäsche liegt.

      Ich blicke mich um. Im Moment will niemand wissen, wie man toll auf 25 Quadratmetern wohnen kann. Soll ich …?

      Einfach nicht nachdenken. Einfach machen. Mit einem Ruck hieve ich mich hinauf und rolle mich auf die Seite. Wenn ich mich ganz an die Wand lege, sieht mich von unten bestimmt niemand. Sicherheitshalber schichte ich die Bettdecke so neben mir auf, dass sie einen Sichtschutz bildet.

      Mein Herz klopft wie wahnsinnig, aber es beruhigt sich nach und nach. Nur wenige Leute gehen in der 25 m2-Box ein und aus. Niemand von ihnen scheint sich dafür

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