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Orchester doch einmal schläft, wachen die goldenen Karyatiden im Wiener Musikverein.

      Ein Rundgang

       Unterwegs in Wien – und in der Geschichte eines Orchesters

      Darf ich zu einem kleinen Stadtrundgang einladen? Innerhalb von nicht mehr als 20 Minuten flanieren wir so an den wichtigsten Zentren philharmonischen Lebens in Wien vorbei.

      Heimat Musikverein

      Beginnen wir auf dem Karlsplatz. Wir lassen die barocke Pracht der Karlskirche, den Resselpark mit dem Brahms-Denkmal und die Technische Universität (vormals k. k. Polytechnisches Institut, wo die Strauß-Brüder Johann und Josef studiert haben) hinter uns. Vor uns liegt das Musikvereinsgebäude des Ringstraßen-Architekten Theophil Hansen, nach dessen Entwürfen auch das Wiener Parlamentsgebäude, die Akademie der Bildenden Künste am Schillerplatz, die Börse am Schottenring und zahlreiche Palais der Hauptstadt entstanden sind. Das Haus der 1812 gegründeten »Gesellschaft der Musikfreunde in Wien« beherbergt auch die Verwaltung der Wiener Philharmoniker (»Kanzlei« wird das Büro in schönem alten Beamtenösterreichisch genannt); im Großen Saal – dem »Goldenen« – des Musikvereins finden seit dessen Eröffnungsjahr 1870 die Philharmonischen Abonnementkonzerte und auch die Neujahrskonzerte des Orchesters statt, die zu dessen Weltgeltung beigetragen haben.

      Im Pflaster vor der Fassade sind Sterne mit den Namen bedeutender Musiker eingelassen: Dem österreichischen Symphoniker Anton Bruckner, dem Dirigenten Wilhelm Furtwängler, dem modernen deutsch-österreichischen Komponisten Gottfried von Einem und dem Romantiker Franz Schubert gelten die Erinnerungsplaketten, die der »Wiener Musikmeile« angehören. Diese ist heutzutage zwar ziemlich vernachlässigt und gewiss kein der Musikmetropole angemessener »Walk of Fame«, soll uns auf diesem kleinen Rundgang aber dennoch zur Orientierung und Erinnerung dienen.

      Vorbei am Karten- und Ballbüro …

      Wir überqueren die Bösendorferstraße, die den Namen der berühmten Wiener Klavierfabrik trägt, und spazieren durch die Dumbastraße (benannt nach dem österreichischen Industriellen Nikolaus von Dumba, der im späten 19. Jahrhundert Vizepräsident des Musikvereins und Vorstandsmitglied des Wiener Männergesang-Vereins war) zum Kärntner Ring, wo wir uns nach links wenden.

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      Der philharmonische Dirigent Hans Richter bittet den »lieben Freund« Ludwig Bösendorfer, seine Klaviere zu stimmen.

      Nach wenigen Metern erreichen wir das Karten- und Ballbüro der Wiener Philharmoniker, vor dem uns abermals Musiker-Sterne grüßen: jene für Pierre Boulez, Johann Sebastian Bach und Johann Strauß. Als einziges Musikerkollektiv besitzen auch die Wiener Philharmoniker selbst einen hier eingelassenen Stern, der an ihr erstes Konzert am 28. März 1842 erinnert. Diesem magischen Datum nähern wir uns nun, vorwärts schreitend, im historischen Rückwärtsgang an.

      Vorbei an den Sternen für Dmitri Schostakowitsch, Anton von Webern und Herbert von Karajan (die Bodenplatte ziert auch die Unterschrift des Maestros, die laut Hildegard Knef wie ein »Kardiogramm« aussieht) gehen wir auf dem Ring zum Staatsoperngebäude, das sich zu unserer Rechten erhebt und das, wie der Musikverein, ebenfalls als Heimat unseres Orchesters bezeichnet werden kann. Denn die Philharmoniker rekrutieren sich seit ihrer »Geburt« aus Mitgliedern des Opernorchesters; das bietet neben der künstlerischen Vielseitigkeit auch eine wirtschaftliche Basis für die Musikerinnen und Musiker. Voraussetzung für die Aufnahme in das als Verein organisierte Konzertorchester ist jedenfalls die Mitgliedschaft im Opernorchester, wo eine mehrjährige »Probezeit« durchlaufen wird. Auf die »doppelte Identität« unseres Orchesters werden wir noch eingehen; halten wir für den Moment einmal fest, dass die Musikerinnen und Musiker der Wiener Philharmoniker, wenn sie in der Wiener Staatsoper spielen, zwar nicht so heißen, aber so klingen dürfen!

      … zur Heimat Staatsoper

      Nur ein Jahr älter als der Musikverein, wurde das Hofoperntheater am Ring nach Plänen der Architekten August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll 1869 fertiggestellt und am 25. Mai mit Mozarts Don Giovanni (damals in deutscher Sprache als Don Juan) eröffnet.

      Das Gelände zur (vom Ring aus gesehen) Rechten der Wiener Staatsoper hatte ursprünglich keinen eigenen Namen, es gehörte zur Kärntner Straße. Unter anderem auf Betreiben des damaligen Staatsoperndirektors Ioan Holender heißt das Areal seit 1996 Herbert-von-Karajan-Platz. Einerseits ist die Ehrung für den überragenden Dirigenten und verdienstvollen Direktor des Hauses (1956–1964) durchaus angebracht; andererseits stimmt es nachdenklich, dass ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende einem prominenten ehemaligen NSDAP-Mitglied ein Platz in der österreichischen Hauptstadt gewidmet wurde … Eine Forschungsgruppe, die sich in den 2010er-Jahren im Auftrag der Universität Wien und der Stadt Wien mit Straßenbenennungen auseinandersetzte, bezeichnete den Karajan-Platz immerhin als »Fall mit Diskussionsbedarf«.

      Einige weitere musikalische Berühmtheiten sind hier mit Sternen bedacht: die Komponisten Alban Berg und Richard Strauss, deren Meisterdirigenten Clemens Krauss und Karl Böhm; dann, nebeneinander, Giuseppe Verdi, Leonie Rysanek, Hans Knappertsbusch und, last but not least, Gustav Mahler. Vis-à-vis von der Seitenfront des Opernhauses beginnt die Mahlerstraße, die zunächst nur von 1919 bis 1938 so heißen durfte. Unter den Nationalsozialisten mutierte sie zur »Meistersingerstraße«, 1946 wurden der Name und das Andenken an den 1911 verstorbenen Hofoperndirektor Mahler wiederhergestellt.

      Das Kärntnertor-Theater – heute Wiens berühmtestes Hotel

      Hinter der Oper verläuft die Philharmonikerstraße, die 1942, zum 100-Jahr-Jubiläum des Orchesters, so benannt wurde. Überqueren wir sie, stehen wir vor dem weltberühmten Hotel Sacher. Seinen Beinamen als »musikalischstes Hotel Wiens« erwarb es sich nicht nur durch die Unzahl an Gästen »von nebenan«, sondern auch seiner genauen geografischen Lage wegen: An dieser Stelle erhob sich zwischen 1709 und 1870 das »k. u. k. Hofoperntheater nächst dem Kärntnerthore«, das Vorgängergebäude der Oper am Ring. Im Kärntnertor-Theater kamen (wenn wir nur die Jahrzehnte vor der Gründung der Wiener Philharmoniker überfliegen) unter anderem eine Schauspielmusik und ein Klavierkonzert von Wolfgang Amadeus Mozart, Opern von Joseph Haydn, Antonio Salieri, Conradin Kreutzer, Carl Maria von Weber und Franz Schubert zur Uraufführung. Auch Schuberts Lied Der Erlkönig erklang hier erstmals 1821, und acht Jahre später feierte Frédéric Chopin im Kärntnertor-Theater sein Wiener Debüt als Pianist.

      Die bedeutendsten Momente der Geschichte des Hauses sind mit dem Namen Ludwig van Beethoven verbunden: Die Uraufführung der Endfassung des Fidelio fand am 23. Mai 1814, jene der 9. Symphonie am 7. Mai 1824 statt. Beide wurden sie von den Mitgliedern des Orchesters gespielt, aus dem die Wiener Philharmoniker hervorgehen sollten. So groß war die Bindung der Wiener Bevölkerung an diesen musischen Ort, dass dem Hotel Sacher bei seiner Errichtung an derselben Stelle schriftlich verboten wurde, Opernaufführungen abzuhalten …

      Wir könnten die Fortsetzung der Philharmonikerstraße, die Walfischgasse, nach rechts wandern (dort, auf Nummer 13, befand sich einst das Café Parsifal, das von Opernmitarbeitern und -besuchern gleichermaßen frequentiert wurde), doch wir flanieren die Kärntner Straße hinauf. Am Ende des Blocks liegt links die Maysedergasse, benannt nach dem Violinvirtuosen Joseph Mayseder, der auch »Konzert- und Solospieler« am Hofoperntheater war. Zwar wurde er niemals Mitglied der Philharmoniker, trat jedoch beim ersten Konzert des Orchesters als Solist in Erscheinung.

      Wir biegen rechts in die Annagasse ein, an deren Anfang uns ein Gedenkstern für Arturo Toscanini grüßt. Der italienische »Maestrissimo« prägte die Geschichte unseres Orchesters nur wenige Jahre: Im Oktober 1933 markierte sein Debüt den Beginn des Gastdirigentensystems bei den Philharmonikern; schon Anfang 1938 entschloss sich der glühende Demokrat, das dem Deutschen Reich angeschlossene Österreich und sein Spitzenorchester zu meiden.

      Das

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