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Amazone, die dem starken Geschlecht vorexerziert, wie man die Jungtiere der bergbäuerlichen Schafherden davor schützt, von Raubvögeln »gerissen« zu werden, sondern einzig und allein als Kunstmalerin, die es mit ihren Landschaftsbildern, ihren Porträts und ihren Blumenstilleben zu einigem Erfolg gebracht, ja mit den Erlösen aus ihrer Kunst sogar wesentlich zum Lebensunterhalt ihrer mehrköpfigen Familie beigetragen hat.

      Das Zeichnen »nach der Natur« ist schon in jüngsten Jahren eine von »Nannos« Lieblingsbeschäftigungen. Während ihre Geschwister der Mutter beim Kochen und Backen und dem Vater bei der Feldarbeit und beim Stallausmisten zur Hand gehen, zieht sich die am 28. Juli 1840 als Tochter des Lechtaler Büchsenmachers Joseph Anton Knittel Geborene schon als Schulmädchen mit Zeichenblock und Feder in die versteckten Winkel des Hauses zurück, um sich ganz dem »Bilderlmalen« hinzugeben. Immerhin sind die Eltern verständnisvoll genug, die Heranwachsende in die Zeichenschule des im Nachbarort wirkenden Lithographen Anton Falger zu schicken, und der ist es, der das außergewöhnliche Talent seines bald zur Lieblingsschülerin avancierenden Schützlings erkennt und Anna zwecks weiterer Vervollkommnung zu einem Studium an der Münchner Akademie der Bildenden Künste rät.

      Das ist allerdings leichter gesagt als getan: Musentempel wie dieser sind um 1859 (dem Jahr, da Anna aus ihrem Tiroler Bergdorf in die bayerische Landeshauptstadt zieht) dem weiblichen Geschlecht noch verschlossen; der Neunzehnjährigen bleibt nichts anderes übrig, als in der »Vorschule« der Akademie noch einmal ganz von vorne anzufangen – und das »als einziges Frauenzimmer unter lauter Herren«. Da aber insbesondere ihre Porträtmalerei schon zu dieser Zeit einen Höchstgrad an Reife erreicht hat, ist Anna Knittel, als sie vier Jahre darauf in die Heimat zurückkehrt, eine gefragte Künstlerin, der es nicht an ehrenvollen Aufträgen mangelt: Das Ferdinandeum, die führende Kunstsammlung Tirols, kauft eines ihrer Selbstbildnisse an, und die Innsbrucker Schützengilde bestellt bei ihr großformatige Porträts von Erzherzog Karl Ludwig und Generalfeldmarschall Radetzky. In ihrer Münchner Zeit noch von der Hand in den Mund lebend, steht sie nunmehr auf eigenen Beinen, und als sie weitere vier Jahre später – gegen den Willen des Vaters – den Gipsformer Engelbert Stainer ehelicht, geht es der inzwischen Siebenundzwanzigjährigen keineswegs um Versorgung: Es ist eine Liebesheirat (und wird eine Liebesheirat bleiben bis ans Ende ihrer Tage).

      Die Porträtfotos aus dieser Zeit zeigen eine selbstbewußte junge Frau, deren Kurzhaarschnitt einer ungeheuerlichen Provokation gleichkommt. Nur, als sie darangeht, an ihrem nunmehrigen Wohnsitz Innsbruck eine Zeichen- und Malschule ins Leben zu rufen, stößt Anna Stainer-Knittel an die Grenzen ihres emanzipatorischen Eifers: An ihren Kursen dürfen ausschließlich weibliche Schüler teilnehmen.

      Ein weiteres Problem, das ihre künstlerische Bewegungsfreiheit einengt, rührt vom nunmehrigen Aufkommen der Photographie: Statt dem Porträtmaler Modell zu sitzen, gebietet es die Zeitmode, sich im Atelier des Photographen ablichten zu lassen. Auch für eine Könnerin wie Anna Stainer-Knittel werden die einschlägigen Aufträge also rarer und rarer. Der Ausweg, den sie aus der neuen Situation sucht und findet, erweist sich allerdings als glückliche Fügung: Sie sattelt auf Blumenmalerei um und gewinnt auf diesem Gebiet – Motto: »Ein Blumenstrauß, der nie verwelkt!« – nicht nur neue Kundschaft, sondern ungeahnte Popularität.

      Einmal – es ist um die Jahreswende 1870/71 – kommt es allerdings doch noch zu einem spektakulären Porträtauftrag: Kaiser Franz Joseph will – auf dem Weg von Wien nach Meran, wo ein Kurzbesuch bei Kaiserin Elisabeth und Töchterchen Valerie ansteht – einen Zwischenaufenthalt in Innsbruck einlegen. Die Schützen und Jäger der Tiroler Landeshauptstadt rüsten zu einem Festabend für Seine Majestät, die Redoutensäle werden mit Tannengrün, Geweihen und Jagdgerät geschmückt. Jetzt braucht man nur noch ein repräsentatives Konterfei des hohen Gastes: Anna Stainer-Knittel wird aufgefordert, binnen weniger Tage ein lebensgroßes Porträt des Kaisers anzufertigen. Als Vorlage dient ihr ein Stich des Wiener Hofmalers Franz Schrotzberg. Das 240 mal 170 Zentimeter große Ölbild wird nicht nur angemessen honoriert, sondern allseits gewürdigt, und was für die kaisertreue Künstlerin vielleicht der höchste Lohn ist: Anna Stainer-Knittel, in ihr schönstes Trachtengewand gehüllt, wird Franz Joseph I. vorgestellt. Auch er spart nicht mit Lob für das wohlgelungene Werk und fragt die Dreißigjährige, ob sie denn öfter zu Pinsel und Palette greife. Ihre selbstbewußte Antwort: »Sehr wohl, Majestät. Malen ist mein Beruf.«

      Andere, die dies längst erkannt haben, sorgen dafür, daß endlich auch das Ausland auf das Werk der Frau aus den Tiroler Bergen aufmerksam wird, und dafür bietet sich keine bessere Gelegenheit als die Wiener Weltausstellung von 1873: Das Bild »Rautenpflückende Lechtalerinnen« erhält nicht nur (übrigens in nächster Nachbarschaft von Makarts berühmtem Gemälde »Venedig huldigt Catarina Cornaro«) einen hervorragenden Platz im Wiener Künstlerhaus, sondern wird zum Spitzenpreis von 55 Gulden nach England verkauft. Um diesbezüglich keinen falschen Verdacht aufkommen zu lassen, sei in aller Klarheit festgestellt: Was beim Zustandekommen der genannten Transaktion den Ausschlag gibt, ist einzig und allein die Qualität des Bildes und keineswegs die Berühmtheit von Anna Stainer-Knittels Alter ego als »Adler-Bezwingerin«: Von einer »Geierwally« hat der aus London angereiste Käufer nie etwas gehört.

      Rote Madonna

       Die Volksbildnerin Emma Adler

      Emma Adler – ist das nicht diese in jungen Jahren bildhübsche Person, die für die Madonna an der Altarwand der Pfarrkirche von Nußdorf am Attersee Modell gestanden ist?

      Das ist sie auch. Aber eben nur auch. Es ist an der Zeit, sich um ein vollständigeres Bild dieser in vieler Hinsicht ungewöhnlichen Frau zu bemühen.

      Fangen wir dennoch mit dieser Geschichte an. Sie ist es schließlich, die die Gattin des österreichischen Sozialistenführers Victor Adler berühmt gemacht hat, und eine schöne Geschichte ist es obendrein.

      Seit 1879 sind die beiden miteinander verheiratet – sie ist zu dieser Zeit zwanzig, er sieben Jahre älter.

      Ab 1886 reist die Familie regelmäßig in das kleine Salzkammergutdorf Parschallen zur Sommerfrische. Besonders die Kinder genießen die Freuden des Landlebens. Da die Adlers aber einen großen Freundeskreis haben, mit dem man sich auch während der Ferien trifft, muß Frau Emmas Haushalt stets für Gäste gerüstet sein, die anständig zu bewirten sind. Das ist im kleinen Parschallen, das zu dieser Zeit nur aus fünf einfachen Bauernhöfen besteht, nicht ganz leicht. »Weit und breit«, so wird Emma Adler später in ihren tagebuchartig angelegten Erinnerungen festhalten, »war nichts zu bekommen. Im Ort selbst wuchs außer Getreide nichts – nur ein paar armselige Zwetschkenbäume, die wenig Früchte abwarfen. So schickten wir vor unserer Abreise aufs Land Fässer und Kisten voraus, die mit Kolonialwaren gefüllt waren.«

      Die frischen Lebensmittel holt man sich vom Greißler im drei Kilometer entfernten Nachbarort Nußdorf. Ist es ein größerer Transport, so rückt der Hausherr persönlich aus, schnallt sich den Rucksack über und kehrt schwerbepackt heim. Kleinere Lasten übernimmt seine Frau. Und bei einem dieser Einkaufsgänge – es ist im Sommer 1887 – wird Emma Adler, die ihrer Attraktivität wegen auch von den Einheimischen geachtete Achtundzwanzigjährige, von einem Fremden angesprochen, der sich als akademischer Maler zu erkennen gibt und gerade den Auftrag erhalten hat, für die Nußdorfer Kirche ein neues Marienbild anzufertigen. Für den Jesusknaben hat er unter den Dorfkindern unschwer das geeignete Modell gefunden, jetzt braucht er bloß noch eine Madonna. Ob sie, die schöne Fremde, vielleicht so freundlich wäre, ihm für ein paar Porträtsitzungen zur Verfügung zu stehen?

      Emma Adler, einerseits geschmeichelt, andererseits – als bekennende Jüdin und Sozialistin – voller Zweifel, ob sie recht daran tue, auf ein solches Angebot einzugehen, bittet um Bedenkzeit und bespricht die Angelegenheit mit ihrem Mann. Victor Adler, der sich seinerseits nach der Heirat hat taufen und auch die Kinder in die protestantische Kirche hat aufnehmen lassen, um ihnen »die blödsinnigen Scherereien zu ersparen, die in Österreich Konfessionslosigkeit herbeiführt«, hat keine Bedenken, und so kann Meister Emanuel Oberhauser – so der Name des Künstlers – ans Werk gehen und sein Marienbild malen: mit Emma Adler als Modell.

      Anders denken darüber

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