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      Schuld an dieser Entwicklung hatte – bewußt oder unbewußt – tatsächlich Jahn getragen, der in seinen Lehrbüchern den Traum einer völlig gleichgestellten Gesellschaft träumte: Er wollte beim Turnen Zöglinge aller Gesellschaftsschichten gleichzeitig zum gemeinsamen Tun versammelt wissen. Nach seinen Vorstellungen umfaßte der Turnplatz »a) jedes Alter (den Knaben, den Jüngling, den werdenden Mann) … b) jeden Stand: er kennt … keinen Unterschied zwischen Arm und Reich, zwischen Vornehm und Gering; c) jede Bildungsstufe und Schule: es giebt fortan keine besonderen Turnplätze für gelehrte=, Bürger=, Volks=, Privatschulen u.s.w. Handwerker und Kopfwerker stehen hier sich gegenseitig bildend und ergänzend neben einander«. (zitiert in: Wildt, S. 41) Selbstverständlich stand es den Angehörigen des Adels und des Großbürgertums frei, sich nach diesen Ideen zu richten oder dem Turnplatz fernzubleiben. Die besondere Gefahr bestand aber darin, daß diese Forderungen nun einmal ausgesprochen waren und durch diese Schriften eine sehr breite Öffentlichkeit erreichten.

      Unter den damals noch zahlreichen konservativen Politikern Europas beunruhigte dieses Gedankengut Österreichs mächtigen Staatskanzler, Fürst Clemens Lothar Metternich, am stärksten. Er erkannte in den Ideen Jahns eine drohende Gefahr für die – eigentlich noch immer – absolutistische Monarchie. Deshalb hegte er bald den Plan, zumindest (Gesamt)Deutschland von Jahns Einfluß zu befreien. Denn der Kanzler, der schon dem Krieg großen Respekt zollte, hatte eine noch viel größere Angst vor dem Aufstand der Massen. Und einen »Anfang der Revolution sah Metternich in der Vermischung der Standesunterschiede, die … von Jahn … im Turnwesen eingeführt worden war. Gewiß wird Jahn von der französischen Revolution beeinflußt gewesen sein, als er die Gleichstellung der Adeligen, Bürger und Bauern im Freikorps und im Turnen, die gleiche Turntracht für alle (Anm.: mit der Uniformierung sollten natürlich auch optisch alle Standesunterschiede aufgehoben werden) auf dem Turnplatz, wo neben den Kindern des Fürsten Radziwill die Söhne armer Leute turnten, die nicht einmal den geringen Beitrag bezahlen konnten, und das brüderliche ›Du‹ forderte.« (Wildt, S. 56)

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      Fürst Clemens Lothar Metternich, Österreichs mächtiger Staatskanzler. Er erkannte in den gleichmacherischen Ideen Jahns schon früh eine drohende Gefahr für die Monarchie.

      Darüber hinaus waren die Abhandlungen Jahns, die er unter dem Einfluß der napoleonischen Kriege schrieb, hauptsächlich von Liebe zum deutschen Vaterland geprägt. Im Laufe der historischen Ereignisse – man führte Krieg gegen die Franzosen – entwickelte Jahn eine immer größer werdende Liebe zu allem, was »deutsch« war. Daraufhin erfaßte eine mächtige Deutschtumswelle das Land, die alle Gebiete des täglichen Lebens einschloß. Mit Feuereifer besann man sich plötzlich der eigenen Geschichte, des deutschen Volkstums, grub deutsche Sagen und Mythen aus und verbreitete das meiste über die Vermittlung der Kunst. Fortan gab es kaum ein Gemälde, kaum eine Plastik, kaum eine Ballade oder eine Erzählung, die nicht die Lobpreisung dieses Themas zum Inhalt hatten. In weiterer Folge wurde die deutsche Sprache zum großen, alles vereinenden Kulturgut erhoben. Damit – also mit dem Bevorzugen des Deutschen vor allem Französischen – war aus der Idee die Revolution geworden.

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      »Am Turf« – elegante Gesellschaft um die Jahrhundertwende. Wer den obersten sozialen Schichten angehörte, hing – mit einer kurzen Unterbrechung zu Beginn des 19. Jahrhunderts – der französischen Kultur an und verständigte sich unter seinesgleichen auf Französisch.

      Wie gemeinhin bekannt ist, hatte die französische Kultur in fürstlichen und adeligen Kreisen jahrhundertelang eine einzigartige Vorbildstellung genossen und als die einzig vornehme gegolten. Da man sich in diesen Gesellschaftsschichten ständig der französischen Sprache bedient hatte, bedeutete die plötzliche Aufforderung, sie aufzugeben, eine direkte Kampfansage an die »gebildete« Oberschicht. Denn selbstverständlich hatten ihre Mitglieder das Französische jahrhundertelang auch als eine Art Geheimsprache verwendet, damit z. B. ihre Bediensteten sie nicht belauschen konnten. Dadurch fühlten sich die Untergebenen im Laufe der Zeit ausgeschlossen und benachteiligt. Viele von ihnen wären gerne gebildet gewesen und hätten auch gerne die französische Sprache beherrscht. Vermutlich hat diese Ungleichheit in der Bildung den größten Standesunterschied geschaffen. Wollte man ihn nun aufheben, indem man das Deutsche zur einzig gültigen, gemeinsamen Sprache erhob, so hob man damit auch die Gesellschaftsschichten auf (interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, daß sich Kaiserin Elisabeth – treu ihrem Grundsatz, nie das zu tun, was die anderen machen – im Unterschied zu ihren Standesgenossen nie des Französischen bediente. Sie bevorzugte Englisch, das damals kaum jemand konnte, und sprach später beinahe nur noch Ungarisch oder Griechisch. Damit grenzte sie sich natürlich noch stärker von den Mitmenschen ab und brachte mit ihrer Haltung auch eine Menge Leute in Verlegenheit. Denn außer ihrem Ehemann beherrschte am Wiener Hof kaum jemand diese Sprachen).

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      Friedrich Ludwig Jahn, der »Turnvater« der Deutschen. Er war der Urheber einer zunächst sportlichen Bewegung, die sich im Laufe der Jahre immer stärker ins Politisch-Rebellische entwickelte.

      Wie auch immer. Jahn-Schüler, Anhänger und Mitglieder der verschiedensten Turnvereine hatten – mit harmloser Gymnastik und Gruppenspielen beginnend – eine Bewegung ins Rollen gebracht, die sich immer mehr ins Politische entwickelte. Aus harmlosen Turnern waren plötzlich für Gleichheit kämpfende Rebellen geworden, deren Tätigkeit nicht nur den österreichischen Staatskanzler, Fürst Metternich, beunruhigte. Deshalb hat man die Bewegung auch bald in ihrer Keimzelle erstickt. Turnvereine wurden von den meisten deutschen Fürsten aufgehoben, ihre Mitglieder erhielten langfristige Versammlungsverbote. Neben dem Deutschen kehrte die französische Sprache in die Adels- und Fürsten-Salons zurück, und die Aristokraten bedienten sich ihrer mit der alten Freude. Sonderbarerweise vermeinen viele von ihnen bis heute, daß sie ihren Esprit und ihre Eleganz ausschließlich französisch sprechend unter Beweis stellen können.

       Die deutschen Fürsten und der Sport

      In den zahlreichen Schriften Friedrich Jahns über die »Turnkunst« findet sich neben allgemeinen Theorien über Gymnastik eine Auswahl von insgesamt siebzehn Sportarten, deren Ausführung darin auch genau beschrieben wird. Wenn ich mich beim Zählen nicht geirrt habe, hat Herzog Maximilian in Bayern, der Vater der späteren Kaiserin Elisabeth, zumindest acht davon in das Erziehungs- und Sportprogramm seiner Kinder übernommen. Denn die jungen Prinzen und Prinzessinnen wurden im Gehen, Laufen, Springen, Steigen, Klimmen, Schwimmen, Fechten und Reiten unterrichtet, was in dieser Menge und Ansammlung im frühen 19. Jahrhundert in Fürstenkreisen sicherlich außergewöhnlich war. Denn, selbst wenn man bei seinen Kindern ein gewisses Maß an körperlicher Ertüchtigung für nötig hielt, so erschöpfte es sich meist im Erteilen von Reitunterricht (der, wie schon früher erwähnt, nötig war, um sich in Zeiten ohne motorbetriebene Fahrzeuge fortbewegen zu können) und im Promenieren. Allerdings hat sich da innerhalb der folgenden Generationen eine Menge geändert. Denn in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts schlug der Reitpädagoge von Heydebrand in einem Buch für Mädchen vor, daß junge Damen, die reiten lernen, zur Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit auch gymnastische Übung machen sollten. Dafür empfahl er »Freiübungen im Turnen, welche Arme, Schultern und Brust stärken … Die Schwingübungen mit nicht zu schweren Hanteln … machen bei festgestellten unteren Gliedmaßen den Oberkörper

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