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Kirche waren ihm ein Anliegen, um so besser das Herz der Gemeinde ansprechen zu können. Hohen Stellenwert hatte für ihn die Gastfreundschaft. Bereitwillig stellte er Besuchern Küche und Keller zur Verfügung. Deshalb kam man auch gern im Dölsacher Widum zusammen, und das freute Pfarrer Treyer. In seiner Gegenwart durfte allerdings kein böses Wort über Mitmenschen fallen und nie hat jemand aus seinem Mund ein solches gehört. Der Friede in der Gemeinde war ihm sehr wichtig. Hörte er von irgendeinem Streit, bemühte er sich persönlich und meist erfolgreich als Schlichter.

      Es ist also kein Wunder, dass diese Priesterpersönlichkeit den jungen Kooperator beeindruckte und dass er ihn verehrte. Als Treyer 1899 starb, widmete ihm Reimmichl im „Volksboten“ einen ausführlichen, dankbaren Nachruf.

      Es war üblich, dass ein Priester in den ersten Jahren öfters mit Versetzungen rechnen musste. Ziel war es, junge Priester unter der Anleitung eines Pfarrers Erfahrung sammeln zu lassen. Reimmichl war als Kooperator ein Jahr in Stilfes/Maria Trens, zwei Jahre in Sexten und drei Jahre in Dölsach. Dann hieß es wieder packen. Das nächste Ziel war Sand in Taufers nahe Bruneck. Kaum hatte er sich in seiner neuen Wirkungsstätte eingerichtet, kam nach einem halben Jahr bereits der nächste Marschbefehl, dem er nur sehr widerstrebend folgte. Am fürstbischöflichen Hof in Brixen wurde beschlossen, Sebastian Rieger aus der Seelsorge herauszunehmen und ihm für die nächste Zeit die Redaktion der „Brixner Chronik“ und des „Tiroler Volksboten“ zu übertragen.

      Der bisherige Redakteur Sigismund Waitz, ein Freund Reimmichls und späterer Erzbischof von Salzburg, stand nämlich vor einer Operation, der eine längere Genesungszeit folgen würde.

      Dass die Entscheidung auf Rieger fiel, hing mit seiner erfolgreichen Mitarbeit beim „Tiroler Volksboten“ zusammen. Reimmichl hatte mit seinen Beiträgen und Geschichten schnell Aufmerksamkeit erregt und bereits eine begeisterte Leserschaft gewonnen.

      Reimmichl folgte dem Ruf zwar mit gemischten Gefühlen, andererseits erwartete er sich aber in der Bischofsstadt mehr geistige Anregung als am stillen Land.

      Die neue Zeit

      Der englische Althistoriker Ronald Syme (1903–1989) hielt es „für vermessen und unbillig, an eine historische Person andere Maßstäbe anzulegen als die seiner Zeit, seiner Klasse und Stellung“. Diesem Grundsatz folgend, soll nun als Einleitung zu diesem Abschnitt die Zeit, in der Reimmichl als einflussreicher Redakteur wirkte, in groben Zügen beleuchtet werden.

      Die Menschen des 19. Jahrhunderts lebten in einem Obrigkeitsstaat, in dem alles von oben festgelegt und geregelt wurde. Die Obrigkeit bestimmte, was rechtens und erwünscht war. Auch die persönliche Lebenswelt des Einzelnen war geregelt. Die Gesellschaft gab für den Einzelnen unter dem Einfluss von Staat und Kirche die Verhaltensnormen vor. Die Kontrolle der Einhaltung übernahm die Gemeinschaft selbst, wobei die dörfliche strenger richtete als die städtische. Wer sich nicht an die gesellschaftlichen Normen hielt, wurde zum Außenseiter und an den Rand verbannt oder ausgestoßen.

      Eine Teilnahme der Bürger am öffentlichen Entscheidungsprozess begann erst mit der Verfassungsreform 1861 und entwickelte sich innerhalb der nächsten Jahrzehnte zu unserem heutigen demokratischen Selbstverständnis.

      Neben dem Staat spielte die katholische Kirche eine bedeutende Rolle. Dabei ist zweierlei zu berücksichtigen. Die katholische Kirche regelte über die Glaubens- und Sitttenlehre – damals ein häufig gebrauchtes Begriffspaar – und die daraus entstandenen Gebräuche das Leben der Menschen bis tief hinein in den Alltag. Es gab keinen Unterschied zwischen Kirche und Glaube. Der alte Grundsatz des Cyprian von Karthago (um 200–258) „Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil“ stand außer Zweifel. Als richtige Religion war für die Kirche und die Bevölkerungsmehrheit nur die katholische denkmöglich. Glauben bedeutete die vollinhaltliche Annahme der Glaubens- und Sittenlehre der Kirche, jede Infragestellung galt automatisch als ein als Angriff auf die Institution Kirche. Von daher ist auch der verbissene Kampf gegen die Protestanten, die als Abtrünnige galten, erklärbar. Nur ganz langsam und erst spät änderte hier die katholische Kirche ihre Sicht und Einstellung.

      Der zweite Aspekt: Die Kirche war im 19. Jahrhundert von den äußeren Feinden Liberalismus und Sozialismus ernsthaft bedroht: Beide waren antiklerikal und von missionarischem Eifer erfüllt. Ihr erklärtes Ziel war damals die Zurückdrängung der katholischen Kirche, in der sie ein Hindernis für den Fortschritt sahen. Kein Wunder also, dass sich die Kirche vehement gegen diese beiden Ideologien wehrte. Der Kampf wurde in Tirol auf mehreren Ebenen in aller Härte geführt: auf der politischen mit Hilfe christlich orientierter Parteien; von den Kanzeln, was Liberale und Sozialisten immer wieder wutentbrannt anprangerten, weil sie selbst über kein gleich wirksames Instrument verfügten, sowie schließlich über Zeitungen, zu denen auch der einflussreiche „Tiroler Volksbote“ zählte.

      In den Jahren 1861 und 1867 wurde unter dem Einfluss liberaler Gruppen erstmals zwischen Kaiser und Reichsrat eine Verfassung vereinbart, die die Macht des Adels und der Kirche einschränkte, die Mitsprache des Volkes garantierte und bürgerliche Freiheiten brachte. Viele Errungenschaften, die heute für selbstverständlich gehalten werden, galten damals als unerhörte Neuerungen: der demokratische Gedanke, die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, die Unverletzlichkeit des Eigentums, das Briefgeheimnis, die Freiheit Vereine zu gründen und Versammlungen abzuhalten, Pressefreiheit, Glaubens- und Gewissensfreiheit – freie Wahl der Religionszugehörigkeit –, Freiheit der Wissenschaft und Lehre, freie Berufswahl und Niederlassungsfreiheit u. a. m. Nun möchte man meinen, dass die Menschen damals alle diese Freiheiten, die ihnen der Staat ab nun garantierte, freudig begrüßt hätten. Doch nicht wenige Menschen lehnten viele dieser Freiheiten ab, denn sie meinten, statt der bisherigen Ordnung werde nun das Chaos Einzug halten, „wenn jeder Mensch tun und lassen kann, was er will“ – so die vielfach gehörte Interpretation der neuen Freiheiten.

      Von größter Bedeutung war das nunmehr garantierte Versammlungsund Vereinsrecht. Damit wurde die Möglichkeit geschaffen, Interessensvereinigungen zu gründen. Es entstanden zahlreiche Kultur- und Bildungsvereine. In deren Versammlungen wurden auch soziale sowie gesellschaftliche Probleme und deren Lösung diskutiert. Daraus entstanden politische Vereine. Unterschiedliche Argumente und Weltanschauungen führten dann zur Herausbildung von unterschiedlichen politischen Gruppierungen: Dem liberalen stand das katholisch-konservative Lager gegenüber – noch immer in Form von Vereinen. Erst ab 1880 formierten sich dann in den größeren Städten aus diesen politischen Vereinen die liberale und die konservative Partei. Die Sozialdemokratische Partei Tirols wurde erst 1890 gegründet, wurde aber in Tirol nie zu einer bestimmenden Kraft.

      Die Liberalen griffen vor allem auf die Ideen der Aufklärung zurück, die sich ab etwa 1700 entwickelten. Immanuel Kant (†1804) fasste zusammen, worum es bei der Aufklärung geht: „Aude sapere! Habe Mut, fange an, dich deines eigenen Verstandes ohne Bevormundung durch andere zu bedienen!“ Der Mensch sollte nicht blind weltlichen und geistlichen Autoritäten folgen – gemeint waren in erster Linie Adel und Kirche –, sondern selbst den Verstand gebrauchen und vernünftig handeln. Damit geriet die Aufklärung in schroffen Gegensatz zum Christentum, das einen geoffenbarten und keinen „Verstandes“-Glauben verkündete. Die Aufklärung bedeutete nun für die Kirche die größte Gefahr und entsprechend hart waren die Auseinandersetzungen und Abwehrkämpfe.

      Der Liberalismus entwickelte sich auch in Tirol vorwiegend in den Städten und Märkten sowie an der Universität. Teile des Adels, der Beamten und besser Gebildeten waren seine Anhänger. Er zerfiel von Anfang an in mehrere Richtungen. In einigen Punkten aber herrschte Einigkeit: keine Vorherrschaft mehr durch Adel und Geistliche; man war gegen föderalistische Bestrebungen und für einen starker Zentralstaat; für eine freie Wirtschaft ohne staatliche Hemmnisse; für den Ausbau des Rechtsstaates sowie der bürgerlichen Grund- und Freiheitsrechte im Sinne der Aufklärung.

      Die Christlich-Konservativen, die vor allem die Landbevölkerung hinter sich hatten und im Tiroler Landtag die überwältigende Mehrheit besaßen, wandten sich entschieden gegen diese Forderungen der Liberalen. In keinem wichtigen Punkt gab es Übereinstimmung. Die Tiroler Gegenargumente waren: Adel und Kirche waren seit Jahrhunderten Garanten der Ordnung in der Gesellschaft; das Ständewesen, in dem jeder seinen Platz hat, bewährte

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