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ich danke ihnen. Ach, wie freue ich mich, gekommen zu sein!« fügte Nechludoff hinzu, denn er fühlte, daß in seiner Seele plötzlich wieder alles hell und klar wie früher geworden war.

      Sie antwortete nicht, lächelte aber und verließ das Zimmer. Die beiden Tanten, die Nechludoff stets vergöttert, empfingen ihn diesmal noch liebevoller als gewöhnlich. Dimitri zog in den Krieg; er konnte verwundet und getötet werden! Das zerriß den beiden alten Damen das Herz.

      Nechludoff hatte zuerst nur einen Tag bleiben wollen; doch als er Katuscha wiedersah, beschloß er, auch noch den Ostersonntag bei ihr zu verleben, und telegraphierte seinem Kameraden Tschembock, den er nach Odessa bestellt hatte, er solle ihn von seinen Tanten abholen.

      Im ersten Augenblick, da er Katuscha wiedergesehen, waren die alten Empfindungen wieder in ihm erwacht. Wie früher sah er nicht ohne Rührung die weiße Schürze des jungen Mädchens; er sah mit Vergnügen ihr Lächeln und hörte ihre Stimme und das Geräusch ihrer Schritte; er blieb nicht gleichgiltig bei dem Blick ihrer schwarzen Augen, besonders, wenn sie lächelte; wie früher konnte er nicht ohne Verwirrung mit ansehen, wie sie in seiner Gegenwart errötete. Von neuem war er verliebt, doch nicht so wie früher, wo ihm seine Liebe ein Geheimnis geblieben, wo er sich selbst nicht zu gestehen gewagt, daß er verliebt war, und wo er überzeugt war, man könne nur einmal lieben; jetzt wußte er, daß er verliebt war, und wußte auch, worin diese Liebe bestand und was daraus entstehen konnte.

      Wie in einem jeden lebten auch in Nechludoff zwei Menschen, der moralische Mensch, der sein Wohl nur im Wohle der andern suchte, und der tierische Mensch, der nur sein eigenes Wohl suchte und das der ganzen Welt zu opfern bereit war. In dem Zustand selbstsüchtiger Thorheit, in dem er sich zu dieser Zeit befand, hatte der tierische Mensch in ihm die Oberhand gewonnen und den andern vollständig erstickt. Doch als er Katuscha wiedergesehen, und seine alten Gefühle für sie wieder in ihm erwacht waren, erhob der moralische Mensch das Haupt und forderte sein Recht, so daß sich in den nächsten zwei Tagen ein unaufhörlicher Kampf in ihm abspielte. Er wußte, daß es seine Pflicht war, abzureisen, daß es schlecht war, seinen Aufenthalt bei den Tanten zu verlängern und daß nichts Gutes dabei herauskommen konnte; doch er empfand so viel Glück und Vergnügen, daß er nicht mehr auf die Stimme des Gewissens hörte und blieb.

      Am Sonnabend abend vor Ostern segnete der Priester mit dem Diakon und dem Meßner, wie es üblich, die Brote; mit großer Mühe waren sie, wie sie erzählten, durch die infolge des Tauwetters entstandenen Sümpfe gekommen; der Weg von der Kirche bis zu dem Hause der alten Damen betrug drei Werst. Nechludoff wohnte der Ceremonie mit seinen Tanten und der ganzen Dienerschaft bei. Er betrachtete fortwährend Katuscha, die mit dem Weihkessel in der Hand bei der Thür stand. Nachdem er der Sitte gemäß mit dem Priester und seinen Tanten drei Küsse getauscht, wollte er wieder in sein Zimmer gehen, als er auf dem Gange die Stimme der alten Wirtschafterin Matrena Pawlowna vernahm, die sich mit Katuscha zur Mitternachtsmesse begeben wollte, um dort der Nachtmesse und der Einsegnung der Brote beizuwohnen. »Ich will auch hin!« sagte sich Nechludoff.

      Den Weg im Schlitten oder Wagen zurückzulegen, war nicht möglich. Nechludoff ließ das alte Pferd satteln, das er früher auf seinen Spazierritten benutzt, zog seine glänzende Uniform und seinen Offiziersmantel an; dann ritt er auf dem dicken, zu gut genährten Pferde, das fortwährend wieherte, durch Schnee und Schmutz nach der Dorfkirche.

      Diese nächtliche Messe sollte für Nechludoff auf ewig eine der süßesten und stärksten Erinnerungen seines Lebens bilden.

      Als er nach langem Ritt im Dunkel endlich den Hof der Kirche betrat, hatte der Gottesdienst schon begonnen.

      Die Bauern, die in dem Reiter den Neffen von Marie Iwanowna erkannten, führten ihn an einen trockenen Ort, wo er absteigen konnte, brachten sein Pferd fort und öffneten ihm die Kirchenthür. Die Kirche war schon drückend voll.

      Rechts standen die Männer. Die Alten in Jacken, die sie selbst genäht, die Beine mit weißen Leinewandstreifen umwickelt; die jungen in ganz neuen Tuchjacken, mit einer hellen Schleife um die Lenden und großen Stulpstiefeln an den Füßen. Links standen die Frauen, den Kopf mit Seidentüchern bedeckt, in Samtjacken mit roten Aermeln und blauen, grünen, roten Röcken und eisenbeschlagenen Stiefeln an den Füßen. Die ältesten hatten sich bescheiden in den Hintergrund gestellt, mit ihren weißen Kopftüchern und grauen Jackets. Zwischen ihnen und den jungen Frauen standen die Kinder in Feiertagsgewändern.

      Die Männer schlugen das Kreuz; die Frauen, besonders die älteren, drückten, während sie eifrig das mit Kerzen umstellte Heiligenbild betrachteten, die gefalteten Finger auf die Stirn, die Schultern und den Bauch, während ihre Lippen fortwährend Gebete murmelten. Die Kinder folgten dem Beispiel der großen Personen, und beteten eifrig, besonders, wenn sich die Blicke der Eltern auf sie richteten.

      Nechludoff trat in die Kirche. In der Mitte stand die Aristokratie. Da war ein Gutsbesitzer mit seiner Frau und seinem Sohn im Matrosenanzug, der Stanowoj, der Telegraphist, ein Kaufmann in hohen Stulpstiefeln, der Starost mit seiner Medaille und rechts vom Pult hinter der Frau des Gutsbesitzers Matrena Pawlowna, die ein Kleid mit auffallenden Farben und einen gestreiften Shawl trug. Neben ihr stand Katuscha in weißem Kleide mit plissiertem Mieder. Ein blauer Gürtel schnürte ihre Taille ein und Nechludoff sah, daß, sie in ihren schwarzen Haaren eine rote Schleife trug.

      Alles sah festlich, feierlich, fröhlich und schön aus; der Priester mit seinem silbernen Chorhemd mit aufgenähtem Goldkreuz, der Diakon und der Meßner mit ihren gold- und silberbestickten Stolen, die fröhlichen Gesänge der Chorknaben, die Art, wie der Priester jeden Augenblick eine Kerze erhob, um die Anwesenden zu segnen und wie alle von Zeit zu Zeit wiederholten: »Christ ist erstanden! Christ ist erstanden!« Was war alles schön, doch noch weit schöner war Katuscha mit ihrem weißen Kleide und ihrem blauen Gürtel, und ihrer roten Schleife in den schwarzen Haaren.

      Ohne daß er sich umzuwenden brauchte, fühlte Nechludoff, daß sie ihn sah. Er ging ganz nahe an ihr vorbei, als er auf den Altar zuschritt. Er hatte ihr nichts zu sagen, sagte aber doch, als er an ihr vorbeikam:

      »Meine Tante läßt Ihnen sagen, daß erst nach der zweiten Messe zu Abend gespeist wird.«

      Katuscha strömte das Blut ins Gesicht und ihre Augen blieben mit glücklichem Lächeln auf ihm haften.

      »Ich weiß,« erwiderte sie.

      In diesem Augenblick kam der Meßner, der zum Gabeneinsammeln durch die Menge schritt, an Katuscha vorüber und streifte sie, ohne sie zu sehen, mit seiner Stola. Doch Nechludoff sah bestürzt, daß dieser Meßner nicht begriff, daß alles, was in der Kirche, was in der Welt geschah, nur für Katuscha geschah, daß sie allein nicht unbemerkt bleiben durfte, daß sie der Mittelpunkt des Weltalls war. Für sie glänzte das Gold des Heiligenbildes, für sie brannten die Kerzen des Kronleuchters, für sie erhoben sich diese fröhlichen Gesänge: »Freut euch, ihr Menschen!« Alles Gute und Schöne auf Erden war nur für sie bestimmt; und Katuscha mußte das zweifellos auch begreifen. Das empfand Nechludoff, als er die anmutigen Formen des jungen Mädchens in dem weißen Kleide und dies von ernster Freude verklärte Gesicht erblickte, dessen Ausdruck ihm verriet, daß es in ihr ebenso jubelte, wie in ihm.

      Schon war die Nacht heller geworden, doch die Sonne zeigte sich noch nicht. Die Menge, die die Kirche verließ, strömte über den Hof, doch Katuscha erschien noch immer nicht und Nechludoff blieb stehen, um sie zu erwarten.

      Noch immer strömte das Volk heraus; die Fliesen dröhnten unter den genagelten Schuhen. Ein Greis mit wackelndem Kopfe, der alte Koch Maria Iwanownas, hielt Nechludoff auf und küßte ihn dreimal; dann reichte ihm seine Frau, ein altes, ganz runzliges Weib, ein bemaltes Ei in gelbem Safran. Hinter ihm erschien lächelnd ein kräftiger, junger Muschik, der eine neue Jacke mit grünem Gürtel trug.

      »Christ ist erstanden!« sagte er mit gutmütigem Lächeln,

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