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waren für ihn keine Frauen, sondern nur »Leute«. In demselben Sommer, am Tage vor Himmelfahrt, besuchte eine Dame aus der Nachbarschaft die beiden alten Fräuleins in Begleitung ihrer Kinder und eines Malers ländlicher Herkunft, eines Freundes ihres Sohnes. Nach dem Thee veranstalteten die jungen Leute auf einer frisch abgemähten Wiese vor dem Hause einen Wettlauf. Katuscha wurde aufgefordert, am Spiele teilzunehmen, und kurz darauf mußte Nechludoff mit ihr zusammen laufen. Sie war reizend, und wie alle andern sah auch er sie mit Wohlgefallen; doch der Gedanke, es könne sich zwischen ihm und ihr eine intimere Beziehung herausbilden, war ihm nicht in den Sinn gekommen.

      Nach der Spielregel mußten sie sich beim Laufen anfassen, und der junge Maler sollte versuchen, sie zu haschen. »Es wird mir schwer werden, die beiden einzuholen«, dachte er, und dabei lief er doch mit seinen kurzen und etwas krummen, aber kräftigen und muskulösen Muschikbeinen sehr gut.

      »Eins, zwei, drei!« – er gab das Zeichen, indem er in die Hände klatschte. Katuscha näherte sich lächelnd Nechludoff, ergriff kräftig mit ihrer kleinen Hand die seinige und lief schnell nach links, wobei man das Rauschen ihres gestärkten Rockes vernahm.

      Auch Nechludoff war ein guter Läufer, und da er sich ebenfalls von dem Maler nicht fangen lassen wollte, so war er Katuscha schnell vorangelaufen, und befand sich jetzt am Ende der Wiese. Hier drehte er sich um und sah, daß der Maler Katuscha verfolgte; sie aber entwischte ihm und entfernte sich immer mehr nach links. Dort befand sich ein Syringengebüsch, hinter das niemand laufen sollte, doch Katuscha lief dorthin, um nicht erwischt zu werden, und Nechludoff, ihr Partner, mußte ihr nacheilen. Er hatte vergessen, daß sich neben dem Syringengebüsch ein mit Nesseln bewachsener Graben befand. Er stolperte, verletzte sich die Hände, machte sich an dem Tau naß, der bereits auf den Blättern lag, und fiel in den Graben, sprang aber gleich wieder lachend auf und lief mit einem Satz hinter die Syringen.

      Katuscha, aus deren großen, schwarzen Augen das Lächeln noch nicht verschwunden, war, stürzte ihm entgegen, und sie reichten sich die Hände.

      »Was giebt's denn, Sie sind gestolpert?« fragte sie und sah ihn mit ihren großen Augen lächelnd an, während sie sich mit einer Hand die Haare glatt strich.

      »Ich hatte diesen Graben ganz vergessen,« versetzte Nechludoff, – ebenfalls lächelnd und ohne ihre Hand loszulassen. Als sie sich ihm dann näherte, drückte er ihr ganz unbewußt stark die Hand, und küßte sie auf den Mund.

      Schnell machte das junge Mädchen ihre Hand los und trat ein paar Schritte zurück; dann pflückte sie zwei Syringenzweige, hielt sie zur Kühlung an ihre brennenden Wangen und trat wieder zu den andern Spielern.

      Von diesem Augenblick an änderte sich das Verhältnis zwischen Nechludoff und Katuscha. Sobald sie in das Zimmer trat, in dem er sich befand, sobald er aus der Ferne ihr rosa Kleid und ihre weiße Schürze bemerkte, ging für ihn die Sonne auf; alles erschien ihm interessant, heiter, bedeutend, und er hatte Freude am Leben. Auch sie empfand dasselbe. Und nicht nur die Anwesenheit oder das Kommen Katuschas wirkte so auf Nechludoff; schon der Gedanke an sie machte ihn glücklich, während sie bei dem Gedanken an ihn vor Freude strahlte. Hatte Nechludoff zufällig von seiner Mutter einen Brief erhalten, der ihn bekümmerte, wollte es mit seiner Arbeit nicht recht gehen, litt er unter einem Anfall von Melancholie, wie ihn alle jungen Leute haben, dann dachte er nur an Kutuscha, und seine Sorgen verschwanden.

      Katuscha hatte viel im Hause zu thun, doch sie arbeitete schnell und las viel in ihren Mußestunden. Nechludoff lieh ihr die Romane von Dostojewsky und Turgenjeff, und ganz besonders entzückten sie die »Frühlingswogen« des letzteren.

      Mehrmals wechselten sie täglich einige Worte, wenn sie sich im Korridor, auf der Freitreppe und im Hofe trafen, manchmal sahen sie sich auch im Beisein der Wirtschafterin Matrena Pawlowna in der Küche, wo Nechludoff seinen Thee einnahm und vesperte. Waren sie dagegen allein, so wollte die Unterhaltung nicht von statten gehen. Ihre Augen fingen gleich an, von ganz anderen und weit interessanteren Dingen als ihre Lippen zu sprechen; sie schwiegen, es überfiel sie eine gewisse Verlegenheit, und sie trennten sich bald.

      Dieses neue Verhältnis zog sich die ganze Zeit über hin, da Nechludoff bei seinen Tanten blieb. Die Tanten bemerkten es, wurden unruhig und glaubten, ihre Schwägerin, die Mutter des jungen Mannes, in einem ihrer Briefe darauf aufmerksam machen zu müssen. Maria Iwanowna fürchtete, Dimitri unterhielte ein galantes Verhältnis mit Katuscha, doch diese Furcht war unbegründet, denn Nechludoff dachte an ein derartiges Verhältnis gar nicht. Er liebte Katuscha wohl, aber vollständig unschuldig. Und diese Liebe hätte genügt, ihn sowohl wie sie vor einem Fehltritt zu schützen.

      Die zweite Tante, Sophie Iwanowna fürchtete, Dimitri könne mit seinem entschlossenen Charakter eines Tages auf den Gedanken kommen, das junge Mädchen trotz ihrer Herkunft und ihrer Stellung zu heiraten. Diese Befürchtung war thatsächlich weit mehr begründet, als die der anderen Tante; denn als Maria Iwanowna ihren Neffen zu sich beschied und ihm mit größter Vorsicht zu verstehen gab, sein Verkehr mit Katuscha mißfiele ihr, und dann hinzufügte, es wäre schlecht, ein junges Mädchen, das man nicht heiraten könne, in sich verliebt zu machen, da versetzte er in entschlossenem Tone:

      »Warum sollte ich mich denn nicht mit Katuscha verheiraten können?«

      Tatsächlich hatte er an die Möglichkeit dieser Heirat nie gedacht. Er war von dem aristokratischen Gefühl, das Männern seiner Stellung die Ehe mit jungen Mädchen wie Katuscha verbietet, tief durchdrungen, doch infolge seiner Unterhaltung mit der Tante meinte er, daß man sich recht wohl mit Katuscha verheiraten könne. Der Gedanke gefiel ihm sogar, und er sagte: »Schließlich ist Katuscha eine Frau wie jede andere; warum soll ich sie nicht heiraten, wenn ich sie liebe?«

      Indessen hielt er sich nicht bei dem Gedanken auf, denn wenn er auch fühlte, daß er Katuscha liebe, so hatte er doch die Ueberzeugung, er würde später im Leben eine andere Frau finden, die ihm bestimmt war, die er noch inniger und die auch ihn noch inniger lieben würde. Als er aber am Tage seiner Abfahrt Katuscha auf der Freitreppe neben seinen Tanten stehen sah, als er die großen, schwarzen, thränenüberströmten Augen des jungen Mädchens zärtlich auf sich gerichtet sah, da hatte er die klare und deutliche Empfindung, daß an diesem Tage etwas sehr Schönes, Kostbares, das nie wiederkehren würde, für ihn zu Ende ging, und es überfiel ihn eine tiefe Traurigkeit.

      »Adieu, Katuscha,« sagte er ganz leise zu ihr hinter dem Rücken seiner Tanten, bevor er in den Wagen stieg.

      »Adieu, Dimitri Iwanowitsch,« sagte sie mit ihrer singenden Stimme, bemühte sich, die Thränen zurückzuhalten, die ihr aus den Augen stürzten und entfloh in den Vorflur, um sich in Ruhe ausweinen zu können.

      Drei Jahre vergingen, ohne daß Nechludoff Katuscha wiedersah, und als er sie nach diesen drei Jahren auf einem Urlaub wiedersah, den er bei seinen Tanten verlebte – er war nämlich zum Offizier in der Garde ernannt worden – da war er ein ganz anderer Mensch, als der, der einst mit dem jungen Mädchen dieses naive Liebesverhältnis unterhalten.

      Früher war er ein selbstloser, uneigennütziger Jüngling, der für das nach seiner Ansicht Gute jedes Opfer zu bringen bereit war; jetzt war er ein Egoist und ein Wüstling, der sich nur noch um sein eigenes Vergnügen kümmerte. Früher erschien ihm die Welt als ein Rätsel, das zu lösen er mit jugendlichem Feuer bemüht war; jetzt erschien ihm alles in der Welt klar und einfach, und alles schien sich den Bedingungen seines Lebens unterordnen zu müssen. Früher hielt er es für bedeutend und notwendig, mit der Natur und den Menschen, die vor ihm gedacht, gelebt und gefühlt, den Philosophen und Dichtern der Vergangenheit, übereinzustimmen; jetzt hielt er es für wichtig und notwendig, mit seinen Kameraden im Einverständnis zu leben und sich den gesellschaftlichen Gewohnheiten seiner Kreise anzupassen.

      Früher sah er in dem Weibe ein geheimnisvolles, reizendes Geschöpf; jetzt hatte das Weib, jedes Weib – bis auf seine Verwandten und die Frauen seiner

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