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ließ, uns den schönsten Weg (durch den prächtigen »Großen Garten«) zu zeigen, indem er uns auf dem Rade voranfuhr – woraus zu entnehmen ist, daß die berühmte sächsische Höflichkeit zuweilen mehr kann, als süße Worte machen. Herrn Weber verdankten wir es auch, daß wir den Weg durch das anmutige Müglitztal nahmen, über Dohna, Weesenstein, Glashütte, Altenburg. Unserem Motor wurde dadurch keine kleine Aufgabe gestellt, denn es geht unausgesetzt bis über 700 Meter bergan. Dafür fällt dann der Weg von dem ersten böhmischen Orte Zinnwald an recht scharf, und zwar durch einen richtigen, alten Märchenwald, in dem noch viel Schnee lag. Die Fahrt durch diese grün-weiße Einsamkeit werden wir nie vergessen. Sie versetzte uns in eine Welt, die sonst fast überall bereits dem Untergange geweiht ist. Nur Großgrundherren vom Reichtume der böhmischen können sich noch solche Wälder leisten, in denen, so möchte man meinen, ein Rübezahl als Förster herrscht, dem jeder Baum heilig und jede Axt ein Greuel ist. – Im stärksten Gegensatze dazu beginnt bald hinter diesem königlichen Urwalde das Gebiet der Teplitzer Kohlenbergwerke, in dem der Natur alle ihre Schönheit brutal genommen ist, und wo auch die Menschen, die dies vollbracht haben, wahrhaftig nicht die Schönheit siegreicher Eroberer zeigen, sondern das Notmal schmutziger Mühsal an sich tragen. Wir waren froh, als wir diese Kohlenstaubhügel hinter uns hatten, und gegen ½5 Uhr in das noch fremdenlose Teplitz einfuhren.

      Prag, den 13. April 1902.

      Teplitz hat uns nicht eben besonders gefallen, – bis auf eine böhmische Mehlspeise und den Umstand, daß es eine ganz deutsche Stadt (mit stark sächsischer Klangfarbe) ist. Abends war es recht hübsch, sich in das Volksgewühl zu mengen.

      Wirklich: Gewühl. Denn die engen Straßen sind auffällig belebt, ganz »Carmen«, erster Akt, erste Szene. – Das Hôtel erinnerte in seiner Weitläuftigkeit und der etwas abgenützten alten Pracht der Möbel an die Zeit, da Teplitz noch ein Weltbar war und Kaiser und Könige beherbergte. Die alten feierlichen Kanapees machten in ihrer Abgeschabtheit ganz den Eindruck, als fühlten sie ihre Deklassierung und schämten sich, daß es nicht einmal für einen neuen Überzug mehr langte. – Lobositz scheint auch noch deutsch zu sein, aber mit Theresienstadt beginnt schon die Tschechei. Von hier bis Prag haben wir kein deutsches Wort gehört, außer, wenn wir uns mit Fragen an ältere Personen wandten. Diese gaben bereitwillig deutsch Antwort. Außer an der Sprache merkt man es auch an dem Gehaben der Leute, daß sie einer anderen Nation angehören. Die Tschechen sind viel temperamentvoller als die Deutschen. Unser Adlerwagen mobilisierte jedes tschechische Dorf; von den jüngsten Jungtschechen bis zu den ältesten Matronen kam alles herbeigelaufen, gehatscht, gehumpelt, und wir hatten reichlich Gelegenheit, den Wohllaut der tschechischen Sprache zu genießen, da es bei diesen Volksansammlungen überaus laut herging, fast so laut, wie, in Farben, auf ihren Westen, Blusen, Schürzen, denn der Farbensinn der Tschechen ist lebhafter als der der Deutschen. Blau und rot scheinen sie am meisten zu bevorzugen. – Schöne Leute sind uns nicht begegnet bis auf einen sehr großen Zug Zigeuner, wohl an die zwanzig Wagen mit den jämmerlichsten Pferden, die ich je gesehen habe. Dafür waren die Burschen sowohl wie die Mädchen um so schöner, wahre Prachtexemplare von Menschen an Gestalt und Antlitz. Herrliche Augen des Orients, prachtvolle braune Haut, edelster Gesichtsschnitt, wunderbar fein gegliederte Hände. Schade, daß sie, mit Verlaub zu sagen, so dreckig sind. – Übrigens, Freund Maler, eine Frage, über die ich mir Gedanken mache: Woher bekommen die Zigeuner alle ihre blinden und lahmen Pferde? Sie werden sagen: Sie stehlen sie. Aber das kann nicht stimmen, denn die Zigeuner gelten nicht als dumm, und dumm wäre es doch, immer und ausschließlich Ausschußgäule zu stehlen. Ich meinesteils wenigstens würde, wenn ich schon einmal Pferdedieb wäre, Wert darauf legen, besonders junge, gesunde, schöne Exemplare an mich zu bringen. Zudem müßten sich diese auch leichter stehlen lassen, weil sie schneller zu laufen und den Dieb gleichzeitig mitzutragen imstande sind. Man wird also doch wohl zu der Annahme gelangen, daß die Zigeuner dieses Krupzeug kaufen. Nun aber, ich bitte Sie, lieber Freund, was werden die armen Zigeuner machen, wenn es einmal keine Pferde, sondern nur noch Automobile giebt? Blinde und taube Laufwagen werden selten sein, und mit den lahmen allein werden die unseligen »Rom's« nicht auskommen. Wir werden die Lösung dieser bangen Frage wie so vieler anderer wohl der Zukunft überlassen müssen. – Heute hätten wir übrigens unser Ideal-Automobil aus dem Nymphenburger Park brauchen können, denn zweimal führte uns der Weg an einen Fluß, doch an keine Brücke. Wir mußten uns bei Dozan über die Eger, bei Weltrus über die Moldau setzen lassen, Begebenheiten, die zu photographieren wir nicht ermangelt haben.

      

Nach der Überfahrt über die Moldau

      Je näher wir auf unserer Fahrt, die fortwährend durch eine Landschaft vom Anscheine reichster Fruchtbarkeit führte, am Prag herankamen, umsomehr fiel uns Eines auf: welchen Kultus das tschechische Volk mit seiner Sprache treibt. Sie ist ihm so teuer, daß es ihm offenbar sündhaft erschiene, ihre Worte bei öffentlichen Aufschriften anders als in Buchstaben von mindestens einem Viertel Meter Höhe malen zu lassen, – und alles in Versalien. Dieser Überschwang in Anfangsbuchstaben, die alle in frischer Ölfarbe glänzen, also offenbar häufig erneuert werden, ruft, schreit, kräht: Schaut her, wir haben eine Schriftsprache! Wir brauchen das Deutsche nicht mehr! Nix Daitsch! Nix Daitsch! Nix Daitsch! – Das Nationalgefühl in Plakatformat.

      Prag, den 14. April 1902.

      Der Blaue Stern, in dem wir wohnen, ist leider modernisiert und dadurch um seine alte Behaglichkeit gekommen. Es scheint, daß ich doch kein moderner Mensch bin. Nicht einmal der Jugendstil ersetzt mir die Gemütlichkeit. Diese fanden wir dafür im Hause von Hugo Salus und überhaupt bei allen Deutschen, die uns begrüßten. Ach, die Deutschen Prags begrüßen so gerne Deutsche »aus dem Reiche«. Sie sitzen hier auf einer kleinen Insel in einem wilden Meere, und dieses Meer frißt ihnen ihr Inselchen immer kleiner. Bald wird es nur noch ein deutsches Helgoländchen in der tschechischen Mordsee sein. Dabei repräsentiert das deutsche Prag die reifere Bildung, den festeren Reichtum. Aber – das Volk fehlt. Es ist schon fast wie das »englische Viertel« in Dresden, – eine dauernde Ansiedelung von Ausländern. Die gesamte Arbeiterbevölkerung und die dienenden Klassen, – lauter Tschechen. Die Geschäftsinhaber und Handwerksmeister sind wohl noch zum Teil deutsch, arbeiten aber mit tschechischen Kräften. Das Bollwerk der deutschen Universität steht zwar noch fest, wird aber grimmig berannt; doch ist es in tapferen Händen. Die deutschen Studenten sind natürlich treu und fest national gesinnt, desgleichen die deutsche Presse. Auch pflegt man in Prag die deutsche Literatur mit größerer Hingabe, als es sonst unter Deutschen die Regel ist, und die deutsche Literatur Prags weist ein paar Talente von hoher Begabung auf. Salus ist ein Poet, den jeder Deutsche lieben muß, der in der Lyrik nicht bloß auf Virtuosenspezialität erpicht ist, und Rilke ist vielleicht das größte lyrische Formtalent, das wir heute überhaupt besitzen.

      

Im Hofe des blauen Sterns in Prag(links Hugo Salus und Frau)

      Entschuldigen Sie diese literarischen Bemerkungen. Ich wills nicht wieder tun.

      Daß Prag eine der schönsten Städte, und nicht bloß Österreichs, ist, wissen Sie wohl schon. Eine seltsame Stimmung ist hier: deutsche Vergangenheit und tschechische Gegenwart und dann etwas wunderlich orientalisches, das von den vielen Juden herkommen mag. Das alte Ghetto mit dem Judenfriedhof und der uralten, halb unterirdischen Synagoge, – ein Viertel voll Schmutz, Armut und malerischen Reizes. Da gibt es Häuser, die nicht nebeneinander sondern ineinander gebaut zu sein scheinen, ein unsagbares Gewinkel. In der alten Synagoge, diesem ehrwürdigen Kellerloch der Jehowahverehrung, kann man das Gruseln lernen, und ich für mein Teil wurde den Gedanken nicht los: ein Stückchen dieser Düsterheit steckt auch in jeder christlichen Kirche. Oh Zeus von Otriculi!

      Beneschau, den 15. April 1902.

      Wenn Sie auf der Karte nachsehen wollen, werden Sie finden, daß Beneschau nicht gar weit von Prag entfernt liegt, und Sie werden sich wundern, daß wir heute nur einen so kleinen Weg gemacht haben. Daran

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