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von Sentimentalität, den es jetzt angenommen hat. Empfindsamkeit heißt mit der Zustand und die Gabe stets bereiter Empfänglichkeit für alles, was auf die Empfindung wirkt, die Fähigkeit und Bereitschaft, neue Eindrücke frisch und stark aufzunehmen. Mit offenen, wachen, allen Erscheinungen des Lebens, der Natur zugewandten Sinnen reisen nenne ich empfindsam reisen, und dieses Reisen allein erscheint mir als das wirkliche Reisen, wert und dazu angetan, zur Kunst erhoben zu werden. Doch darüber wird man in diesen Briefen meine Meinung öfter vernehmen, und ich hoffe, daß dieses Buch meine Leser davon überzeugen wird, daß wir jetzt im Automobil das Mittel an der Hand haben, die Kunst des Reisens aufs neue zu pflegen und noch weiter zu führen, als es ihr in der Zeit der Reisekutschen beschieden gewesen ist, denen unsre Vorfahren Genüssen zu verdanken gehabt haben, wie sie der Eisenbahnreisende nicht einmal ahnt. Der gewöhnliche »Automobilist« allerdings auch nicht; der ist dazu zu sehr Sportsman. Erst, wenn der Automobilismus aufhört, ausschließlich ein Sport zu sein, wird er für die Kunst des Reisens das bedeuten, was seine eigentliche Bestimmung ist.

      Ich möchte nicht mißverstanden werden: Ich unterschätze die Bedeutung des Automobilsports für die Entwickelung der Sache keineswegs, schlage sie vielmehr hoch an und lasse mich darin auch durch die Auswüchse des Rennwagenwesens nicht irre machen. Dieses wird für die Motorwagenindustrie immer die Bedeutung haben, die der Rennpferdesport für die Pferdezucht hat. Aber das Eigentliche dieser großen neuen Erscheinung, die den Rang eines starken Kulturfaktors hat, liegt nicht im Sport. Der hat nur Experimentalwert. In der Ausnutzung seiner Resultate für das allgemeine, in seiner Übersetzung ins praktische Leben liegt die Zukunft des Automobilismus.

      Meine Reise war der Versuch einer praktischen Probe auf das Exempel des Sports, und ich bringe ihre Schilderung vor die Öffentlichkeit, weil sie gelungen ist, und zwar gelungen nicht mit einem der Millionärsvehikel, die nur Portemonnaiegranden erschwinglich sind, sondern mit einem leichten, billigen Wagen. – Für mich wäre er freilich immer noch zu teuer gewesen, und so will ich, um mich keiner Vorspiegelung falscher Tatsachen schuldig zu machen, und um gleichzeitig gebührenden Dank auszusprechen, zum Schlusse nicht verhehlen, daß ich die Möglichkeit, diesen angenehmen Versuch zu machen, nicht meinen Einkünften als deutscher Dichter, sondern der Freundlichkeit des Verlags August Scherl G. m. b. H. verdanke, der mir den Wagen für die Dauer der Reise zur Verfügung gestellt hat.

      Nymphenburg, im November 1903.

      Otto Julius Bierbaum.

      I. Von Berlin nach Wien

      An Herrn Alf Bachmann in München

      Berlin, am 1. April 1902.

      Sie erinnern sich wohl noch, lieber Bachmann, unserer Spaziergänge im winterlichen Nymphenburger Park, wie wir uns da, wenn wir nicht von Mathias Kneißl sprachen, der sich damals gerade in der Gegend herumtrieb, eine Reise ausmalten, die uns im Automobil nach Spanien führen sollte. Sie heuchelten (mit Erfolg, weil ich nicht die nötigen geographischen Kenntnisse besaß, Sie zu kontrollieren) eine intime Vertrautheit mit der Reiseroute, die wir einzuschlagen hätten, und entwarfen mir die üppigsten Bilder von all den Herrlichkeiten, die wir bei dieser Gelegenheit kennen lernen würden; ich aber leistete nicht weniger Phantastisches in der Schilderung des Wagens, der uns bald mit der Geschwindigkeit eines Expreßzuges, bald im Postwagentempo von Thurn und Taxis, vorwärts bringen sollte. Eigentlich war es ein ganzes Gebäude auf Pneumatics, das ich mir vorstellte, mit allem Komfort eines Pullman-Car oder der berühmten »Wurst« Friedrichs von Gentz ausgestattet, nur noch viel bequemer und geräumiger, – kurz: ein Ideal mit achtundvierzig Pferdekräften. Sie, mit ihrer heimtückisch witzigen Nase, thaten so, als glaubten Sie an all das, ja Sie fügten noch allerhand Fabelhaftigkeiten hinzu, so daß wir schließlich auf unserer Reise nach Spanien auf ein Paar niedliche Kanonen und eine komplette Kücheneinrichtung mit uns führten. Unser erstaunliches Vehikel konnte als Badezimmer, Dunkelkammer, Schlafwagen, Billardsalon benutzt werden; es sprang über mittlere Abgründe, durchquerte Seen, watete durch Sümpfe; Berge, über die es nicht gekonnt hätte, gab es überhaupt nicht. Nur vor der Kombination mit dem lenkbaren Luftschiff schreckten wir einstweilen zurück.

      Kein Wunder, daß wir dieses Universalfahrzeug nirgends auf Lager fanden und infolgedessen zu der Überzeugung kamen, die Welt sei für unsre Kulturbedürfnisse noch nicht reif. Also schoben wir unsere ideale Reise bis auf weiteres auf, indem wir sie gleichzeitig für schon genossen nahmen und uns sagten: so schön wäre sie doch nicht geworden, wie wir sie im Nymphenburger Park machten. Denn wo auf der Welt gäbe es etwas so Schönes wie Châteaux d'Espagne?

      Damit war für Sie die Sache erledigt, mein teurer Herr von Planen auf Blitzblau; doch nicht so für mich. Mich juckte es zu sehr, einmal die Probe auf das Exempel meiner Fabuliersamkeit zu machen, und so habe ich nicht geruht, bis ein Automobil vor meiner Tür stand. Daß es alle die Eigenschaften hätte, die wir von unserm Reisewagen verlangt haben, läßt sich füglich nicht behaupten, – doch dieser Mangel wird dadurch wett gemacht, daß meine Frau mich auf der Reise begleiten wird, die nun in etwa vierzehn Tagen angetreten werden soll. Sie, lieber Bachmann, wären ja auch ein angenehmer Reisekamerad gewesen, aber ich finde doch, daß es besser ist, Sie bleiben zu Hause, und ich fahre mit meiner Frau. Das ist schon deshalb vorteilhafter, weil meine Frau zwar nicht so schön malen kann, wie Sie, aber so perfekt italienisch spricht, wie es Ihnen selbst nach vierwöchentlichem Studium des Polyglott Kuntze nicht möglich sein würde. Viel Chancen auf einmal: Erstens mit seiner Frau und zweitens mit einer Italienerin nach Italien zu fahren. Dafür kann man es schon mit hinnehmen, daß das Automobil statt achtundvierzig bloß acht Pferdekräfte hat. – Im übrigen sieht es sehr vertrauenerweckend aus, und Louis Riegel, der Fahrer, erklärt, jeden beliebigen Berg damit »nehmen« zu wollen. Acht Pferdekräfte, sagt er, sei eine ganze Menge. Und das finde ich auch, da ich bisher höchstens mit zwei Pferden gefahren bin.

      Übrigens kommt es, wie ich erfahren habe, auch auf die Zahl der Zylinder an, und erfahrene Leute wollen mich bange machen, weil unser Wagen nur einen hat. Etwa mitgeführte Zylinderhüte, erklären diese Kenner, können als Ersatz nicht gelten. Schade, denke ich mir, es wäre so einfach, und da ich in Rom den Papst besuchen will, so hätte ich wohl einen Zylinderhut mitnehmen können. Indessen ficht es mich auch nicht weiter an. Ich sage mir dies: Wenn eine gute deutsche Firma, wie die Frankfurter Adlerfahrradwerke, von denen der Wagen stammt, mir garantiert, daß er eine Reise von Berlin nach Sorrent und zurück zu machen fähig ist, so wird es wohl auch so sein. Hat sie sich vergarantiert, so ist ausgemacht, daß ich das insuffiziente Fahrzeug auf Kosten und Gefahr des Empfängers mit der Bahn zurückschicke, und ich habe die ernstliche Drohung hinzugefügt, daß ich dieses blamable Ende einer Adlerwagen-Reise in Vers und Prosa vor die Öffentlichkeit bringen werde. Aber auch diese Drohung hat die Firma in ihrer Zuversicht nicht erschüttert. Sie bleibt dabei: es geht mit acht Pferdekräften und einem Zylinder. Glauben wir es also einstweilen.

      Natürlich möchten Sie nun wissen, wie der Wagen aussieht. Rot, mein Herr, und zwar ist es ein Rot, wie ich es auf kolorierten Stichen aus der Biedermeierzeit an Reisekutschen gesehen habe. Ein braves, ungeniertes, ein ordentliches Rot. Gebe der Himmel, daß wir keinen Stieren und Truthähnen begegnen!

      Die Form aber ist die des Phaëtons. Sie wissen: Phaëton, Sohn des Helios, Patron der antiken Kutscher. Eigentlich sind es zweirädrige Wagen, die den Namen von ihm haben, und da der unsre vier Räder hat, neige ich mich der Meinung zu, es sei ein Doppelphaëton. Aber das ist einerlei. Gewiß ist, daß die Urform dieses Wagens die Muschelform war. Von der Muschel zum Motor! Per aspera ad astra!

      Spüren Sie den Hauch meiner erhobenen Stimmung? Reiselaune, lieber Freund! Sollte ich noch einmal in diesem Briefe Ausrufe von zweifelhafter Hergehörigkeit riskieren, so denken Sie daran, daß ich im Begriffe bin, mich drei Monate lang durch fortgesetzte Benzinexplosionen vorwärts bewegen zu lassen.

      Doch es wird nun Zeit, Ihnen den Wagen selbst zu schildern. – Stellen Sie sich mit mir dorthin, wie die Pferde stehen würden, wenn es ein gemeiner Zieh- und kein

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