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eine Höhenerscheinung unter den Menschen. Er, der vielleicht lediglich durch seinen Bauch hervorragte, soll in Marmor Seelengröße, Geisteskraft und jederlei Adel des Herzens, Hirns und der Sinne überhaupt an den Tag legen. Bismarck hingegen, der ein überragendes Genie und im alleroffenbarsten Sinne ein Fürst unter den Menschen war, darf im Grunde doch immer nur wieder sub specie des Herrn Anton von Werner dargestellt werden, nämlich als schnauzbärtiges, brauenbuschiges, nüsternblähendes Zubehör zu ein Paar Kürassierstiefeln, welches Gebilde man dann den Eisernen Kanzler nennt. Unsre Nachkommen werden in diesen Kümmerlichkeiten ganz gewiß keine Monumente Bismarcks, sondern Denkmäler des kümmerlichen Verhältnisses erblicken, in dem unsre bestimmenden Kreise zu diesem Gewaltigen stehen. Wie denn überhaupt unsre Gegenwart von dem heißen Bemühen erfüllt zu sein scheint, sich vor der Zukunft monumental zu blamieren, indem sie ihr in ihren Denkmälern eine wahre Galerie von Mittelmäßigkeiten hinterläßt, sei es hinsichtlich des Dargestellten oder der Darstellungsart oder in beiden Hinsichten gleichzeitig.

      Angesichts dieses Zustandes ist es erklärlich, daß Künstler von starker Eigenart, wie Max Klinger, mit höchstem Ehrgeiz ihr ganzes Können an die Aufgabe setzen, in einem höheren Sinne monumental zu schaffen, indem sie sich resolut besonders von jener biedermeierhaften Art pseudorealistischer Auffassung einer Persönlichkeit abwenden. Der Beethoven Klingers, den wir hier, von der Sezession mit fast religiöser Verehrung zu dem Mittelpunkt einer schöpferischen Huldigung gemacht, sahen, verdient als Ausdruck eines so edlen Strebens zweifellos hohe Anerkennung, – als Leistung aber ist er höchst unerfreulich. Die Auffassung des großen Musikers als eine Art Jupiter tonans der klingenden Kunst erforderte vor allem Überlebensgröße und Verzichtleistung auf jedes kleinliche, wenn auch im Material noch so kostbare Beiwerk. In einfacher Lebensgröße dargestellt und umgeben von allerhand kleinplastischen Kommentaren seines Wesens wirkt dieser grübelnde Donnergott wie eine Nippesfigur, und spätere Geschlechter mögen glauben, das Denkmal sei, trotz der Signierung Klingers, eine verkleinerte Kopie des Originals. Aber auch wenn man über diesen Grundfehler hinweg sieht, bleibt wenig übrig, woran man seine Freude haben kann. Wer je einen Rodin gesehen hat, wird schmerzlich empfinden, wie wenig Fluß diese Linien haben, wie kleinlich im Grunde das Ganze auch innerlich ist, wie wenig Reiz dem Material abgewonnen wurde. Die Engelsköpfchen an dem großen Sessel sind direkt Backfischsgeschmack; wirklich gut ist nur der Adler.

      Ich begreife es vollkommen, daß Wien es abgelehnt hat, diese zwar sehr prätensiöse aber hinter ihren Prätensionen unendlich weit zurückbleibende Arbeit zu erwerben. Eine Stadt, die den Hellmerschen Goethe ihr eigen nennt, kann auf ein Werk wie dieses verzichten, ja muß es in einem gewissen Sinne. Hellmers Goethe ist, neben Hildebrands Brunnen in München, die stärkste monumentale Leistung der gegenwärtigen deutschen Bildhauerkunst. Dieses Werk sucht nicht durch »neuartige« Auffassung zu verblüffen, indem es etwa den »Olympier« von Weimar nach dem Vorgange Bettinas nackt darstellt (was eine recht billige Gymnasialprofessoren-Kühnheit wäre), es sieht auch von allem Schmuckhaften in Nebendingen ab und verschmäht jede plastische Zoologie, die es zumal in der Begasschule zu einer Konkurrenz mit Hagenbeckschen Unternehmungen gebracht hat. Dieser Künstler erwies seine Größe, wie es die Art jedes wirklichen Plastikers ist, zuvörderst durch die große und edel einfache Auffassung. Er sagte sich: wie auf einem Denkmal Goethes nur das eine Wort Goethe stehen darf und nicht etwa ein langes oder kurzes Gepreise des Herrlichen nach einer Richtung hin, so darf es auch plastisch auf ihm nichts geben, das von der Gestalt und Haltung dieses Vollkommenen, vor allem seines Kopfes, ablenkt. Dieser Kopf und dann die Haltung, – das ist alles, was zu leisten ist. Freilich: welch eine Aufgabe! Goethe: d. h. höchste Schönheit deutscher Art und vollster Ausdruck deutschen, weltumfassenden Geistes, aber auch tiefstes Fühlen und klarstes Gestalten, Zusammenklang aller Menschengaben in eine Harmonie von sonst nie dagewesener Fülle, und dennoch: Menschlichkeit, kein »Gott«. Dem Wiener Meister ist es gelungen, diesen Komplex höchster Menschheitskräfte so darzustellen, daß man vor seinem Bildwerk wirklich empfindet: Goethe.

      Daß gerade Wien diese herrliche Schöpfung besitzt, ist doppelt erfreulich, – Wien, das es, wie mir scheint, besonders nötig hat, immer wieder an deutsche Höhenart erinnert zu werden.

      II. Von Wien nach München

      An Frau Anna Croissant-Rust in Ludwigshafen am Rhein

      Wels am Traunflusse, den 24. April.

      Lieber Kamerad! Sie haben schon manche Beichte von mir vernommen und sind den Kreuz- und Querfahrten meines Lebens immer eine anteilnehmende Beobachterin gewesen, obwohl es nicht immer lustig für eine gute Freundin gewesen sein mag, diesem Zick-Zack-Kurs eines im Irrgarten der Liebe taumelnden lyrischen Kavaliers zuzuschauen. Darum sollen Sie nun einmal von einer Fahrt vernehmen, die schon deshalb erfreulich ist, weil ich sie an der Seite eines Wesens machen darf, unter dessen gütiger und guter Leitung ich gewiß nicht mehr taumeln werde. Womit ich meinem guten Kameraden in der Literatur meinen Lebenskameraden vorgestellt und seiner Freundschaft empfohlen haben will. Wie werden es gewiß mit mir wünschen, daß unsre Lebensfahrt immer so glatt und vergnüglich vor sich gehen möge, wie unsre Adlerwagenfahrt, von der ich Ihnen die Strecke Wien-München in schnellen Briefen zu erzählen gedenke.

      Wir sind gestern von Wien abgefahren und haben am ersten Tage den Weg durch den Wiener Wald genommen. Wiener Wald, – das klingt wie Walzer, nicht wahr? Und in der Tat hat diese sanft geschwungene, weiche und doch frische Landschaft etwas walzerhaft heiteres und gemütliches. Durchfährt man sie, wie wir, an einem schönen Frühlingstage, so ist anmutigeres an Landschaftsgenuß kaum zu denken. Daß man da nicht rast, bloß weil man es von wegen ein paar Pferdekräften könnte, werden Sie begreifen. Wir haben uns Zeit genommen und haben oft genug Halt gemacht zu ruhiger Umschau. Nur die Berge herunter ließen wir den Wagen zuweilen laufen, um dann, im Schusse, über den nächsten sanften Waldrücken weg zu schwingen. Es war höchst angenehm, und wir waren im Grunde recht froh, die große Stadt im Rücken und wieder die braven elastischen Continentalpneu's unter uns zu haben. Der Adlerwagen hatte nach der wohlverdienten Wiener Ruhepause seinen schönsten Viertakt, und es schien, als freue sich der Motor, wieder arbeiten zu dürfen. Selbst beträchtliche Berge nahm er mit einer raschen Sicherheit, die ich selber immer haben möchte, wenn es gilt, Lebensschwellen zu nehmen.

      Abgesehen vom Wiener Walde ist die oberösterreichische Landschaft die schönste, die uns bis jetzt beschieden gewesen ist.

      Immer ein weiter Blick über welliges Gelände, das überall Reichtum des alten Kulturlandes zeigt, saubere, nette Ortschaften, häufig schöne, alte Schlösser oder Klöster, alles von einem heiteren wohlhäbigen Charakter. Daß wir, statt weiter zu fahren, in Melk Rast machten, reut uns nicht. Allein der Anblick der hoch thronenden, alten Benediktiner-Abtei und der kleine Spaziergang über die Brücke, sowie die Überfahrt mit der Fähre über die breite, stark strömende Donau waren es wert. Auch Wels zu besuchen, verlohnt sich, denn diese ehemalige Hauptstadt von Ober-Österreich hat für den behaglichen Reisenden, der nicht bloß die »wichtigen« Städte »mitnimmt«, allerhand Reize. In Wels residierte mit Vorliebe Kaiser Maximilian I., der hier in seiner Burg gestorben ist, wo jetzt ein Großhändler mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen wohnt. Aus der früheren üppigen Zeit stammen wohl auch die im Verhältnis geradezu massenhaften Gasthäuser, bei deren Anblick man sich fragt, für wen sie noch offen gehalten werden. Im Greifen, wo wir rasten, geben zwei in die Wand gelassene Tafeln ein ganzes Register von Kaisern und Königen, die seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bis in seine sechziger Jahre hier Logis genommen haben. Draußen aber sind moderne Wappen, die Verbandszeichen von Radfahrern und Automobilisten, angebracht, die dieses Gasthaus bevorzugen.

      München, 27. April 1902.

      [Am 25. von Wels nach Salzburg. Dort Aufenthalt über den 26. Am 27. von Salzburg nach München.]

      Die Salzburger stehen wie die Tiroler im Rufe guter Schützen – vielleicht war dies dem Dämon unseres Motors bewußt, und es wäre als eine Ovation für den genius loci zu betrachten, daß er, wie wir uns gen Salzburg aufmachten; aus dem Auspuffrohr viel häufiger Schüsse

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