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nahm den Kleinen in die Arme und drückte ihn so fest an sich, daß er kaum noch Luft bekam. »Ach, Kevin, ich bin ja so froh, daß es dir gutgeht!«

      Sie schämte sich wegen ihrer Tränen nicht, und auch der Kleine schluchzte ungehemmt an Julias Schulter. »Ich wollte doch nicht, daß du dir Sorgen machst, ich wollte nur meine Mama suchen!«

      Also hatte Julia mit ihrer Vermutung doch recht gehabt! Zum Glück war er nur wenige Kilometer weit gekommen. Nun begann Julias schwere Aufgabe, Kevin davon zu überzeugen, daß seine Mutter nicht, aber dafür sein Vater gekommen war.

      Roland hatte am frühen Morgen angerufen, um zu berichten, wie Marion darauf reagiert hatte, daß ihr Sohn gefunden worden war.

      Zuerst sei sie etwas unschlüssig gewesen, aber als Roland ihr mit einem dicken Scheck vor der Nase herumwedelte, habe sie es plötzlich sehr eilig gehabt, den nächsten Zug in die Schweiz zu bekommen. Sie hatte sich auch sofort bereit erklärt, dem Jugendamt schriftlich zu bestätigen, daß Roland der tatsächliche Vater des Jungen war.

      Er hatte Julia vorgeschlagen, Kevin nichts von dem Besuch Marions zu erzählen. Für das Kind war es allemal besser zu glauben, daß man von seiner leiblichen Mutter nichts wußte, als ihm zu erklären, daß sie hiergewesen war – aber nicht seinetwegen. Darüber konnte man immer noch sprechen, wenn der Junge älter war.

      »Muß ich wieder ins Heim, Julia?« fragte Kevin ängstlich. »Oma Schröder tat vorhin so geheimnisvoll, sie meinte, ich dürfe Circe mitnehmen. Stimmt das?«

      Julia setzte sich in Frau Schröders Wohnzimmer auf die Couch und zog Kevin neben sich. »Ja, das ist richtig, mein Schatz. Aber vorher muß ich dir noch etwas erklären.«

      Der Junge sah sie mit großen, aufmerksamen Augen an. Was mochte ihm Julia wohl erklären wollen?

      »Weißt du…«, begann sie und suchte nach den richtigen Worten. Fast den ganzen Abend hatte sie sich zurechtgelegt, was sie sagen wollte, aber jetzt, da sie neben Kevin saß, waren die Worte wie weggewischt. »Also vermißt du deine Mutter immer noch?«

      Kevin schüttelte wild den Kopf. »Nein, ich weiß ja, daß sie mich gar nicht will, sonst hätte sie sich längst um mich gekümmert.«

      Julia war erstaunt, wie der Junge zu dieser Erkenntnis gekommen sein mochte, aber nun war es wichtiger, ihn über seinen Vater aufzuklären.

      »Weißt du, was passiert ist, als du aus dem Waisenhaus weggelaufen bist?« fragte sie langsam.

      »Ja, die Polizei ist gekommen und hat nach mir gesucht. Oma Schröder hat es mir erzählt.«

      »Hm, und nicht nur die Polizei hat nach dir gesucht…«

      »Ich weiß, du auch.«

      »Und was glaubst du, wer noch ganz verzweifelt war, daß du fort warst?«

      Kevin überlegte kurz, dann zuckte er die Achseln. »Weiß nicht.«

      »Dein Vater!«

      Der Junge sah Julia sekundenlang ungläubig an. Was sagte sie da? Das konnte doch gar nicht wahr sein.

      »Aber ich habe doch gar keinen Vater, Julia«, sagte er schließlich in überzeugendem Ton.

      »Natürlich hast du einen Vater; nur der wußte gar nicht, daß er so einen bezaubernden kleinen Sohn hat. Das hat er zufällig erfahren – kurz, bevor du weggelaufen bist.« Julia hoffte inständig, daß Kevin nicht fragen würde, von wem sein Vater von ihm erfahren hatte.

      Aber das Kind saß nur mit vor Staunen aufgerissenem Mund da und sagte gar nichts.

      »Freust du dich denn gar nicht, daß dein Vater dich aus dem Heim holen will?«

      Kevin nickte und sagte versonnen: »Ich habe einen Vater. Circe, hast du das gehört?«

      Die Katze sah aus, als würde sie ihr kleines Herrchen verstehen und mauzte leise.

      »Er war sogar gestern abend hier und hat dich gesehen, als du geschlafen hast.«

      »Stimmt das, Oma Schröder?« wand sich Kevin an die alte Frau, die leise den Raum betreten hatte, um Julia mit einer Tasse Kaffee und Kevin mit einem Glas Milch zu versorgen.

      »Sicher, mein Jungchen. Aber ich habe deiner Julia versprechen müssen, noch nichts davon zu sagen.« Dann verließ sie wieder das Zimmer, damit die beiden ungestört miteinander reden konnten.

      »Und wo ist mein Vater jetzt?«

      »Der sitzt schon ganz ungeduldig zu Hause und wartet darauf, daß wir zu ihm fahren. Ich habe mit Frau Clasen gesprochen, daß du bis heute abend bei ihm bleiben kannst. Dann mußt du leider erst mal wieder ins Waisenhaus – aber nicht für lange. Das verspreche ich dir.«

      »Und dann kann ich bei ihm wohnen?« Noch immer konnte Kevin nicht fassen, was er gehört hatte. »Und Circe darf mit?«

      »Ja, das hat Roland… ich meine, dein Vater versprochen!«

      *

      Das Kennenlernen zwischen Roland und seinem Sohn verlief rührend. Kaum, daß Julia mit ihm seine Wohnung betreten hatte, lief der Junge zu ihm hin und ließ sich von ihm hochnehmen. Leise verließ Julia die Wohnung, sie würde jetzt nur stören. Außerdem gab es noch jede Menge zu tun, bis alles geregelt war.

      Wie nicht anders erwartet, hielten sich vor dem Portal des MARIENKÄFERS Dutzende von Reportern auf, so daß Julia weiterfuhr und ihren Wagen in einer Seitenstraße parkte. Was hätte sie darum gegeben, wenn das Loch im Zaun, aus dem Kevin geschlüpft war, noch nicht geflickt wäre. So mußte sie wohl oder übel an der sensationshungrigen Schar vorbei.

      Wie die Geier stürzten sie sich sofort auf Julia, als diese Anstalten machte, das Gelände zu betreten.

      Ohne eine Antwort zu geben, schloß sie das Tor auf und gleich wieder hinter sich ab. Dabei achtete sie nicht darauf, welche Fragen ihr die Reporter zuriefen und wie einige von ihnen sie fotografierten.

      Aufatmend betrat Julia schließlich das Haus, Bärbel Clasen kam ihr schon entgegen. »Sie Ärmste, hat man Sie heil durchgelassen?«

      »Ja, aber ganz knapp.«

      »Gut, ich werde heute nachmittag hinausgehen und veröffentlichen, daß Kevin wieder wohlbehalten zurückgekehrt ist. Wo und von wem geht niemand etwas an, es reicht, wenn die Polizei das weißt.«

      »Das finde ich auch«, erwiderte Julia lächelnd. Seitdem der Junge wieder aufgetaucht war, herrschte eine entspannte Stimmung; nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die anderen Kinder schienen an diesem Tag fröhlicher zu lachen als sonst.

      »Ach, Frau Moser, kann ich Sie gleich sprechen?«

      Julia folgte der Heimleiterin in deren Büro.

      »Gibt es Schwierigkeiten?« fragte Julia, der der sorgenvolle Blick Frau Clasens aufgefallen war.

      »Wie man’s nimmt. Ich habe mit dem Jugendamt telefoniert. Tja, jetzt scheinen die sich plötzlich querzustellen wegen der Adoption.«

      »Aber wieso denn? Die sollen doch froh sein, daß Kevins Vater den Jungen aus dem Heim holen will«, empörte sich Julia.

      »Schon, aber auch wenn er Kevins leiblicher Vater ist – was Frau Seifert ja bestätigt hat –, so ist der doch alleinerziehender Vater. Und da macht das Jugendamt eben nicht mit.«

      Julia lächelte befreit. »Also, wenn es weiter nichts ist – dem kann abgeholfen werden.«

      Auf Bärbel Clasens fragenden Gesichtsausdruck antwortend fügte sie hinzu. »Kevin bekommt nämlich auch noch eine neue Mutter, aber davon weiß er noch nichts. Er muß erst mal verarbeiten, daß er einen Vater hat.«

      Das Gesicht der Heimleiterin erhellte sich. »Dann heißt das also, daß sie beide heiraten werden?«

      »Ja, das heißt es wohl!«

      *

      Die Sonne strahlte vom Himmel, als vier Wochen später ein ebenso

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