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hier hat ziemlich ausgefranste Wundränder hinterlassen. So kann ich das unmöglich nähen.« Geschickt begradigte er das Gewebe. »Na, sieht doch schon besser aus«, nickte er zufrieden. »Jetzt das Nähbesteck bitte.«

      »Wenn das in diesem Tempo weitergeht, sind wir ja glatt vor Mitternacht hier fertig«, scherzte Daniel mit einem Anflug von Galgenhumor.

      Nur ungern erinnerte er sich an die dramatischen Szenen des Vormittags. Glücklicherweise war der Nachmittag sprechstundenfrei, und er war dankbar, dass sie sich jetzt ausschließlich um Herrn Aurich kümmern konnten.

      »Klingt danach, als wolltest du eine Kaffeepause einlegen«, bemerkte Danny grinsend. »Appetit auf Tatjanas Brownies? Wobei ich aufpassen würde. Die Rosinen sind in Rum getränkt. Dann siehst du hinterher alles doppelt.«

      »Ein Stück Butterkuchen tut es auch«, erwiderte Daniel Norden. Wenn er nur an das saftige Gebäck dachte, lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Doch trotz des stressigen Tages hatte er sich an sein Versprechen gehalten, das er seiner Frau gegeben und an das seine Tochter ihn am Morgen noch erinnert hatte. »Hast du eigentlich nochmal was von Anneka gehört?«, wechselte er schnell das Thema.

      Der nächste Splitter fiel klirrend in die Chromschale.

      »Sie hat vorhin geschrieben, dass sie wieder zu Hause ist. Die Ärztin hat eine Zyste diagnostiziert und ihr ein Schmerzmittel mitgegeben«, wusste Danny zu berichten.

      »Hmmm.« Auch Daniel hatte sich wieder an die Arbeit gemacht und versorgte die Wunden am rechten Bein. »Schon seltsam, dass eine Ovarialzyste solche Beschwerden verursacht«, murmelte er nachdenklich. »Wenn es morgen nicht besser ist, schau ich mir das nochmal an.« Mit dem Arm fuhr er sich über die Stirn und bat Janine darum, die eben gereinigte Wunde zu verbinden. »So, bald ist es geschafft.«

      »Weißt du eigentlich inzwischen mehr über diesen Unfall?«, nutzte Danny die Gelegenheit, sich endlich nach den Einzelheiten der Explosion zu erkundigen. Bis jetzt hatte er weder Zeit noch Gedanken dafür gehabt. Der Ansturm der Patienten hatte ihn den ganzen Vormittag in Atem gehalten, und erst jetzt beruhigte auch er sich nach und nach.

      »Viel habe ich nicht erfahren«, erwiderte Dr. Norden, während er konzentriert weiterarbeitete. »Ich habe nur mitbekommen, dass der Mann, der die Explosion offenbar verursacht hat, den Rettungskräften bekannt war. Er war selbst Feuerwehrmann. Nach dem Einsatz mussten drei Kollegen von einem Seelsorger betreut werden. Allerdings wurde auch gemunkelt, dass der Mann in großen Schwierigkeiten steckte.«

      »Was ist passiert?«

      »Wenn man den Erzählungen Glauben schenken darf, ist sein Sohn vor vielen Jahren nach einer schweren Krankheit gestorben. Danach ging es steil bergab mit dem Mann. Seine Ehe zerbrach, er bekam finanzielle Schwierigkeiten und hatte offenbar zuletzt auch noch ein Alkohol- und Drogenproblem. Ein paar Brände sollen auch auf sein Konto gegangen sein. Nachweisen konnte man ihm allerdings nie etwas.«

      »Und jetzt hat er den Weg in den Tod gewählt«, seufzte Danny und befestigte ein Klammerpflaster auf einer kleinen Wunde.

      »Für meinen Geschmack hätte es nicht so spektakulär sein müssen.« Das viele Leid, das Dr. Norden an diesem Tag zu Gesicht bekommen hatte, dämpfte die Empathie mit dem Täter und ließ einen durchaus gesunden Galgenhumor aufblitzen. Wieder richtete sich der Arzt stöhnend auf. Nachdenklich blickte er auf seinen schlafenden Patienten hinab. »Tragisch, wenn ein Mensch so tief sinkt, dass er keinen anderen Ausweg mehr sieht.« In seine Worte hinein knurrte sein Magen laut und vernehmlich, dass Danny trotz des ernsthaften Themas lachen musste.

      »Dein Magen sieht offenbar auch keinen anderen Weg mehr, als lautstark auf sich aufmerksam zu machen«, grinste er.

      »Dummerweise gibt es in dieser Praxis heute nur kalorienhaltigen Kuchen«, brummte Daniel missmutig.

      Endlich war die Arbeit beendet, der letzte Splitter aus den Beinen des Patienten entfernt. Die Latexhandschuhe schnalzten leise, als die Ärzte sie auszogen und in die Schale zum benutzten Operationsbesteck fallen ließen.

      »Übrigens hat Tatjana mir neulich einen Artikel vorgelesen«, erklärte Danny und lächelte schelmisch. »Darin ging es um den Selbstversuch eines amerikanischen Professors. Der hat sich zehn Wochen lang ausschließlich von Süßigkeiten ernährt und trotzdem zwölf Kilo abgenommen.«

      Als Daniel das hörte, musste er lachen.

      »Das sollte ich mal deiner Mutter vorlesen. Sie würde mir glatt einen Vortrag darüber halten, wie ungesund einseitige Ernährung ist und dass es nicht um Low Carb, Low Fat oder andere Diäten geht, sondern generell darum, auf möglichst gesunde Art und Weise Kalorien einzusparen.«

      »Stimmt schon«, räumte Danny bereitwillig ein. Sein Grinsen war dabei merkwürdig verschlagen. »Tatjana ist derselben Ansicht und will deshalb einen Kuchen entwickeln, der wahnsinnig lecker, aber trotzdem kalorienarm und unglaublich gesund ist.«

      »Wenn ihr das gelingt, bekommt sie den alternativen Nobelpreis verliehen«, lachte Dr. Norden belustigt auf, als sich die Tür öffnete und Wendy den Kopf ins Behandlungszimmer steckte.

      »Das klingt ja ganz so, als ob die Behandlung beendet wäre. Dann kann ich Sie ja zu einer Tasse Kaffee und einem Stück von Tatjanas unvergleichlichem Butterkuchen einladen«, machte sie ein wohlmeinendes Angebot.

      Während sie sich noch über das ausgelassene Gelächter wunderte, das sie als Antwort erhielt, hob der Patient Herbert Aurich den Kopf und blinzelte verschlafen in die Runde.

      »Butterkuchen? Wirklich? Da sag ich nicht nein.«

      *

      Als Ärztin auf der Kinderstation der Behnisch-Klinik hatte Felicitas Norden nur am Rande etwas von dem Wirbel mitbekommen, für den die Explosion gesorgt hatte. Nach einem erfolgreichen Arbeitstag machte sie sich gegen Abend gut gelaunt auf den Heimweg und als sie unterwegs an einem Wochenmarkt vorbeikam, hielt sie spontan an und kaufte einen ganzen Korb voll frischem Obst und Gemüse ein.

      »Hallo, Lenni, schauen Sie mal, was ich mitgebracht habe!«, rief sie ihrer Haushälterin zu, die sich an diesem frühen Abend im Garten zu schaffen machte.

      Der Korb war schwer und Fee außer Atem, als sie den Gartenweg hinauf kam. Felix, der auf der Terrasse gesessen und gelernt hatte, eilte ihr zu Hilfe.

      »Wir haben doch gar keine Hasen«, bemerkte er mit vielsagendem Blick auf die bunte Gemüsevielfalt, die ihm entgegen lachte.

      »Das ist ja auch für uns!« Fees Stimme war eindringlich. Genauso wie der prüfende Blick, mit dem sie ihren zweitältesten Sohn musterte. »Dir kann das kleine ABC der gesunden Küche auch nicht schaden.«

      »Mensch, Mum, nächste Woche gehen meine Abiprüfungen los«, erinnerte Felix seine Mutter an den Grund, warum gesundes Essen im Augenblick nicht im Focus seines Interesses stand.

      »Gerade wenn man im Stress ist, ist gesunde Ernährung besonders wichtig«, erklärte sie mit hoch erhobenem Zeigefinger. »Mal abgesehen davon: Stell dir mal vor, wie Elena staunt, wenn du ihr was Leckeres und obendrein Gesundes zu essen zauberst«, spielte sie auf Felix’ Freundin an, die sich in der Behnisch-Klinik von einer Knochenmarktransplantation erholte.

      Während Felix den Korb mit Schwung auf den Tisch stellte, lachte er belustigt auf.

      »Soll ich dir sagen, wovon Elena träumt? Von fetten Sahnetorten und Bergen von Schokolade.«

      An dieser Stelle hielt es Lenni für angebracht, sich in das Gespräch einzumischen.

      »Und ich habe für heute Abend schon ein schönes Omelette mit Käse und Sahne vorbereitet.« Sie war herangekommen, um Fees Einkäufe zu begutachten. Sie stellte den Eimer mit den Gartenabfällen auf den Boden und warf einen prüfenden Blick in den Korb. »Wenn Sie wollen, kann ich gleich den Salat, Paprika und Karotten verwenden und einen gemischten Salat zu meinem Omelette servieren.«

      »Omelette mit Käse und Sahne?« Statt diesen Vorschlag zu kommentieren, starrte Fee ihre Haushälterin entgeistert an. »Aber ich hab Ihnen doch heute Früh schon gesagt, dass Daniel auf seine Gesundheit achten muss.

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