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Thomas!« Sie mußte reden, sie stieß die törichtesten Worte aus und wußte es gar nicht.

      Dagobert wußte nicht, was in seiner Not um die Kinder er tun sollte. Heulend sprang er an ihnen hoch, zerrte an den Stricken.

      »Ich helfe euch sofort«, schluchzte Marie-Luise. Sie zog behutsam die Pflaster ab. Ihre Hände zitterten. Sie drückte ihr Gesicht an Doris’ Gesicht, an Thomas’ Gesicht.

      »Mach schnell!« wimmerte Doris. »Vielleicht sind sie noch irgendwo und schnappen uns. Mach doch bitte.«

      »Bind’ zuerst Doris los«, bat Thomas. Er konnte gar nichts sehen. Bis jetzt hatte er nicht geweint. Das hatte er sich verboten und er hatte es sogar geschafft, Doris zu beruhigen. Aber jetzt verließen ihn alle guten Vorsätze, er wäre so gern tapfer gewesen, besonders vor Marie-Luise. Aber die Tränen stürzten wie Sturzbäche aus seinen Augen.

      Dagobert winselte, drehte sich wie ein Kreisel um sich selbst. Sprang hoch, leckte jaulend über die Gesichter der Kinder, als müßte er sich entschuldigen, nicht zur richtigen Zeit zur Stelle gewesen zu sein.

      »Habt ihr Schmerzen? Fehlt euch etwas?« wollte Marie-Luise dringend wissen und tastete mit ihren zitternden Händen die Körper der Kinder ab.

      »Laß uns blos abhauen«, bat Thomas schluchzend. »Ich trau denen nicht. Es waren zwei, Marie-Luise. Vielleicht lauern sie noch irgendwo.«

      »Hast du ihnen das Geld gegeben?« schluchzte Doris.

      »Natürlich, Liebling.«

      »Das ist gut«, atmete Thomas auf. »Sonst würden sie bestimmt zurückkommen. Wo ist dein Wagen?«

      Sie fanden ihn nicht. Sie wußte nicht genau die Stelle, wo sie ihn abgestellt hatte. Aber Thomas bemerkte die Reifenabdrücke.

      »Die haben deinen Wagen geklaut!« Thomas wischte sich wütend die Tränen aus den Augen.

      »Was machen wir denn nun?«

      »Wir haben doch Beine«, tröstete Marie-Luise die Kinder. Sie umklammerte sie so fest, als befürchte sie, daß sie ihr entrissen würden.

      »Könnt ihr gehen? Seid ihr wirklich nicht verletzt?«

      »Natürlich. Schnell. Daß wir nur erst mal aus dem Wald rauskommen.«

      Sie hetzten über den Weg, sie gönnten sich keine Atempause. Die Angst beflügelte ihre Schritte.

      Als sie die Landstraße erreichten, sahen sie die Polizeiwagen. Einer stürzte aus dem Auto und lief auf sie zu. Vor Erleichterung wäre Marie-Luise beinahe ohnmächtig geworden.

      *

      Die Kinder lagen in ihren Betten. Sie bettelten so lange, bis Marie-Luise sich zu ihnen legte. Zwischen ihnen lag sie, hielt beide Kinder im Arm.

      »Ich hatte schreckliche Angst«, flüsterte Doris. Sie hatte die ganze Geschichte den Polizisten erzählt, man hatte natürlich auch Thomas ausgequetscht, und für Marie-Luise hatte man viel tadelnde Worte gefunden.

      »Das war falscher Mut«, wurde sie belehrt. »Sie hätten uns sofort benachrichtigen müssen.«

      Energisch hatte Marie-Luise darauf bestanden, daß man die Kinder und sie in Ruhe ließ. Sehr energisch hatte sie die Kinder die Treppe hinaufgezogen. Pat war ihnen gefolgt. Sie wußte nicht, was sie für Marie-Luise Gutes tun konnte.

      Als die drei im Bett lagen, war sie noch einmal zu ihnen ins Zimmer gekommen.

      »Du brauchst doch jetzt nicht mehr zu weinen, Tante Pat«, tröstete Thomas sie. Er fühlte sich geborgen in Marie-Luises Armen. Noch nie hatte er sich in diesem Haus so wohl gefühlt.

      »Wir sind ja wieder da. Aber es war ganz, ganz schrecklich. Wir waren im Wald und suchten Dagobert. Und plötzlich hielt mir jemand ein Tuch vor mein Gesicht. Das roch gräßlich und dann weiß ich nichts mehr.«

      »Das roch wie Medizin, wie im Operationssaal«, erklärte Thomas der zu sich selbst zurückgefunden hatte. Er fieberte sogar darauf, all seinen Freunden in Hamburg von dem Abenteuer zu berichten.

      »Ich war so abscheulich zu Ihnen«, flüsterte Pat erstickt. »Ich hab Ihnen so großes Unrecht getan. Ich war…«

      Marie-Luise trug ein Nachthemd von Pat. Es war hochgeschlossen und es hatte sogar lange weiße Arme.

      Sie legte ihre Hand auf Pats zitternde Finger.

      »Das ist vorbei. Sie müssen sich endlich beruhigen. Es ist zum Glück alles gutgegangen.«

      »Ich habe Max angerufen. Aber erst, als die Kinder im Haus waren, ich hab es so gemacht, wie Sie es wollten. Er ist auf dem Weg hierher. Aber er hat mir versprochen, vorsichtig zu fahren.«

      Marie-Luise lächelte. Sie fühlte sich müde, erschöpft und doch von einem Glücksgefühl erfüllt, das köstlich war.

      »Hoffentlich ist er so gescheit und nimmt ein Flugzeug.«

      »Ganz bestimmt«, gähnte Doris. »Unser Papa ist ein kluger Mann. Ein ganz, ganz kluger. Marie-Luise, bitte, bitte, du darfst heute Nacht nicht fortfahren. Du mußt bei uns bleiben. Bitte. Ich träume bestimmt von den furchtbaren Männern. Es waren zwei. Und als ich wach wurde, war Thomas schon wach und die beiden Männer hatten Strümpfe über den Kopf gezogen, man konnte nur die Augen und ihre Lippen sehen.«

      »Gezankt haben Sie sich«, berichtete Thomas und gähnte ausgiebig. Schön war es, in Marie-Luises Arm zu liegen. »Aber sie haben uns sogar zu essen gegeben und ausgequetscht haben sie uns. Ich möchte nur mal wissen, wo Dagobert war. Die konnten uns ja nur schnappen, weil Dagobert nicht in der Nähe war, der hätte Hackfleisch aus ihnen gemacht.«

      Pat lächelte unter Tränen. Die Kinder schliefen, als Marie-Luise sich vorsichtig erhob.

      »Bitte, fahren Sie jetzt nicht«, bat Pat. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Werden sie meine Unfreundlichkeit vergessen können?«

      »Ich erinnere mich gar nicht mehr daran«, tröstete Marie-Luise sie. Sie fühlte sich furchtbar wackelig auf den Beinen, so, als hätte sie eine schwere Krankheit hinter sich. »Sie haben Ihren Bruder sehr gern, es ist doch nur natürlich, wenn man falsch reagiert. Ich wage nicht, die Kinder alleinzulassen. Ganz sicher träumen sie von dem Schrecklichen. Wollen wir uns ein wenig ans Fenster setzen?«

      »Aber Sie dürfen sich nicht erkälten.« Pat wahr ehrlich besorgt. »Sie sind sehr wichtig… für uns alle«, setzte sie beinahe demütig hinzu.

      *

      Marie-Luise schlief. Sie träumte wundervoll. Sie lag auf einer grünen Wiese, hatte die Kinder nahe neben sich. Und Max beugte sich über sie und küßte sie.

      Sie roch sogar sein Rasierwasser, den Pfeifentabak, sie spürte seine Lippen… es war ein köstlicher Traum. Ein Atem streifte ihre Wange, jemand legte seine Lippen an ihr Ohr.

      Schlaftrunken versuchte Marie-Luise, die Augen zu öffnen. »Es ist kein Traum. Du bist es wirklich«, flüsterte sie. Sie hob die Hand, strich über sein Gesicht, über seine Stirn, seine Wange, zog mit der Fingerspitze den Bogen seiner Lippen nach.

      »Liebste«, flüsterte er.

      »Du weinst?« Sie konnte sein Gesicht nur schemenhaft erkennen. Er hatte kein Licht gemacht. Sein Gesicht erschien ihr erschreckend weiß, und die Augen brannten darin.

      »Bist du sehr müde, Liebste? Kannst du einen Augenblick zu mir herunterkommen? Marie-Luise, ist den Kindern wirklich nichts geschehen? Sind sie wirklich gesund?«

      »Sie werden keinen Schaden davontragen, Max. Hab keine Angst, es ist alles in Ordnung.«

      »Wir sollten sie morgen doch besser zum Arzt bringen«, sorgte er sich. Er half ihr aufzustehen. Es war gar nicht so einfach, ohne die Kinder zu wecken.

      Er hielt einen Morgenmantel für sie bereit und legte ihn ihr fürsorglich um.

      »Ist es sehr unverschämt von mir, daß ich noch mit dir reden will, Liebste?«

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