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sind nur alle so lus­tig, dach­te Aga­the, sie ha­ben doch gar kei­nen Grund dazu.

      Für den Bra­ten und die sü­ßen Spei­sen, die ih­nen vor­ge­setzt wur­den, muss­te Fräu­lein Krieb­ler mit ih­rer ner­vö­sen Hast vie­le Male die gan­ze Stadt durch­tra­ben und min­des­tens fünf­zehn Stun­den ge­ben. Das wuss­ten sie alle. Aber sie wuss­ten auch, dass es Fräu­lein Krieb­lers Stolz war – ein nicht un­we­sent­li­cher Teil ih­rer Men­schen­wür­de, die Kol­le­gin­nen ei­ni­ge Mal im Jahr bei sich zu be­wir­ten. Jede von ih­nen hielt auf die­se Sit­te. Und sie lie­ßen es sich be­hag­lich schme­cken, wäh­rend sie von dem Mäd­chen­heim re­de­ten, das ih­nen eine Aus­sicht auf eine ge­si­cher­te Zu­kunft er­öff­ne­te. Die Zu­kunft, die sie sich im bes­ten Fal­le mit ih­rer ener­gi­schen Ar­beit bei Tage und die hal­be Nacht hin­durch, mit al­lem ängst­li­chen Sor­gen und Spa­ren schaf­fen konn­ten – eine Stu­be mit ei­nem Ofen in ei­nem öf­fent­li­chen Stift, wo sie ihre paar An­den­ken um sich sam­meln und dar­auf rech­nen konn­ten, dass ein Frem­des ih­nen eine Sup­pe brach­te, falls sie krank wur­den – denn da­für soll­te ja die Stu­be sein: um, ohne je­mand zu stö­ren, ein­sam die letz­ten Ar­beits­ta­ge hin­zu­brin­gen und dann zu ster­ben.

      Ihre Hei­ter­keit war ein we­nig laut und ge­walt­sam. Alle die Da­men spra­chen mit ei­ner ge­wis­sen Auf­dring­lich­keit von ih­rer in­ne­ren Be­frie­di­gung, von ih­ren se­gens­rei­chen Be­rufs­pflich­ten, von den Be­schwer­den der Ehe und der Schön­heit ih­res frei­en Mäd­chen­le­bens.

      Schön­heit – ach Du lie­ber, gü­ti­ger Gott – wo war denn da wohl ein Fünk­chen Schön­heit zu fin­den? Wie ge­heim­nis­vol­le Schuld, die an­de­re Ge­schlech­ter ih­nen auf­ge­bür­det, muss­ten die ar­men Ge­schöp­fe ihre kör­per­li­chen Ge­bre­chen, den an­mut­ba­ren Frau­en­leib mit sich schlep­pen.

      Aga­the ver­such­te ver­ge­bens, sich zum Mit­leid zu zwin­gen. Ihre tiefs­ten In­stink­te em­pör­ten sich – ihre zärt­lich ge­schon­te See­le wand und krümm­te sich vor Ent­set­zen, un­ter die­se Schar ge­zählt zu wer­den. Und man rech­ne­te sie schon bei­na­he dazu … Sie durf­te sich doch nicht zu den halb­wüch­si­gen Kin­dern in die Kam­mer set­zen wol­len?

      In­ter­es­se und Be­geis­te­rung für das Frau­en­heim? – Es schau­der­te ihr da­vor, wie vor be­gin­nen­der Ver­we­sung.

      … Ge­schen­ke für die Lot­te­rie – ja, die ver­sprach sie zu lie­fern, und Lose wür­de sie gern neh­men.

      Sie stand auf, denn sie er­trug es nicht län­ger – es kam ihr vor, als über­schlei­che sie die An­ste­ckung von Häss­lich­keit und Al­ter in die­ser har­ten, glück­lo­sen Hei­ter­keit.

      Fräu­lein Krieb­ler zeig­te sich emp­find­lich über ih­ren frü­hen Ab­schied.

      »Wir sind doch so ge­müt­lich bei­sam­men! Frei­lich – viel kann ich ja nicht bie­ten. A gi­psy tea

      *

      Aga­the hat­te dar­auf ge­rech­net, sich der ver­wach­se­nen Leh­re­rin an­zu­schlie­ßen, die in ih­rer Nähe wohn­te. Sie fühl­te ein leich­tes Ban­gen, weil sie sich des Abends nie­mals al­lein auf der Stra­ße be­fand. Doch war es noch fast hell, und gan­ze Strö­me von Men­schen be­weg­ten sich auf dem Pflas­ter. Hand­wer­ker, La­den­mäd­chen, Ar­bei­ter, Bür­ger­fa­mi­li­en mit Kin­dern kehr­ten aus den Bier­gär­ten, wo sie bei Mi­li­tär­mu­sik in Hit­ze und Zi­gar­ren­qualm den Som­mer ge­nos­sen hat­ten, nach Haus zu­rück. –Som­mer …

      War es zu glau­ben, dass ir­gend­wo auf der Welt, gar nicht so fern von hier, wei­te Fel­der blass­gol­de­nen Kor­nes in schwe­ren, lan­gen Wo­gen, vom duf­ten­den Abend­win­de durch­stri­chen, der Ern­te ent­ge­gen­reif­ten? Dass der Som­mer heut, zu die­ser Stun­de, in vo­gel­stil­len Wäl­dern den rei­nen Würz­ge­ruch des Har­zes aus dunklen Fich­ten sog – und durch das hohe Gras der Obst­gär­ten schrei­tend, ihre Früch­te mit Saft und Fül­le form­te.

      Auf den Bän­ken der Pfer­de­bahn­wa­gen lag der Staub, wie auf den Rö­cken und Stie­feln der Män­ner, der Frau­en. Er be­deck­te ih­ren kläg­li­chen Putz – ihr Haar, das glanz­los durch ihn ge­wor­den war. Und auf den Ge­sich­tern der Kin­der zog er graue Schat­ten­strei­fen. Schläf­rig, mit Schelt­wor­ten über­häuft, wur­den sie an der Hand der El­tern vor­wärts­ge­zo­gen, der schwü­len Nacht in der wid­ri­gen Luft ih­rer un­ge­sun­den Heim­stät­te ent­ge­gen.

      Som­mer …

      Wa­rum tauch­te er die gan­ze Na­tur in Gold und Grün und rei­fen­de Fül­le und mach­te nur die Men­schen müde, wei­ner­lich oder zän­kisch?

      War es, weil sie al­lein sich Kin­der Got­tes nen­nen durf­ten und ge­prüft – ge­quält – ge­läu­tert wer­den muss­ten?

      Mit vor Trau­rig­keit aus­drucks­lo­sen Au­gen sah Aga­the in das Ge­wim­mel des Vol­kes, das sich schweiß­düns­tend und schwer­fäl­lig an ihr vor­über­dräng­te. Sie war durs­tig, ihre Lip­pen wa­ren tro­cken und zer­sprun­gen. Sie träum­te von Was­ser, das un­ter Farn­kräu­tern hell über glat­te Kie­sel sprang.

      Aber die vie­len, vie­len Men­schen hin­der­ten sie, dort­hin zu ge­lan­gen. Sie war eine von ih­nen – nur ein Glied die­ser Men­ge – der Staub des Abends lag auch auf ihr, der Schweiß duns­te­te auch aus ih­ren Po­ren.

      Und sie war sehr mil­de … Die klei­nen Back­fi­sche hat­ten ge­ki­chert, die tüch­ti­gen Leh­re­rin­nen wa­ren lus­tig ge­we­sen – die fre­chen, an­ge­mal­ten Mäd­chen, die mit ih­ren bun­ten Klei­dern das Trot­toir ein­nah­men, lach­ten laut …

      Wa­rum konn­te sie al­lein sich nicht freu­en? Nie­mals wie­der? Wa­rum sah sie über­all mehr als an­de­re, die doch klü­ger wa­ren und schär­fer und die Welt bes­ser kann­ten, die et­was leis­te­ten – die un­ge­heu­re Arm­se­lig­keit und Ab­scheu­lich­keit die­ses gan­zen Ge­sell­schafts­le­bens, und trug das heim­li­che Wis­sen wie einen Stein auf der Brust? – Wa­rum hör­te sie im­mer­fort vor ih­ren Ohren ganz aus der Fer­ne me­lo­di­sche Lust und klin­gen­des Glück? – –

      Das war wie­der krank­haft. Und sie woll­te nicht krank sein. Sie woll­te ge­sund sein. Mit al­ler Ge­walt woll­te sie ge­sund sein! Was es auch kos­ten moch­te – ein­mal nur sich an des Le­bens Tisch set­zen und frisch und fröh­lich ge­nie­ßen, was sie nur er­raf­fen konn­te … War sie denn dazu gar nicht mehr im stan­de?

      Vor Aga­the gin­gen zwei Frau­en die Stra­ße ent­lang. Die eine von ih­nen trug ein grau­es Kleid, ein Rei­se­hüt­chen und eine Hand­ta­sche. Un­ter dem Hut sah Aga­the einen klei­nen Kno­ten rot­brau­nen Haa­res. Die an­de­re hielt sich schlecht und ging mit nach­läs­sig schlei­fen­den Schrit­ten.

      »Nein, nein«, sag­te die klei­ne zier­li­che Rei­sen­de, »jede Frau kann einen Mann in sich ver­liebt ma­chen, so­bald er nicht ge­ra­de eine an­de­re große Lie­be hat.«

      »Das scheint mir doch ge­wagt … Da­mit be­haup­ten Sie ja, dass je­des Mäd­chen hei­ra­ten könn­te?«

      »Das kann sie auch – wenn sie ih­ren gan­zen Wil­len auf das eine Ziel setzt. Na­tür­lich darf sie nicht …«

      Die bei­den bo­gen um die Ecke und Aga­the sah sie nicht mehr.

      Sie hat­te nun auf einen da­her­kom­men­den Pfer­de­bahn­wa­gen zu ach­ten, in dem sie die letz­te

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