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den Wert, den er aufs Es­sen leg­te – an al­les dies ge­wöhn­te Aga­the sich mit sanf­ter Freu­de. Jede Un­voll­kom­men­heit kam ihr fast wie eine neue Ga­ran­tie für ihre Zu­kunft vor.

      Die Mäd­chen müs­sen neh­men, was ih­nen ge­bo­ten wird.

      Ihr Los wird ähn­lich sein, wie das ih­rer Mut­ter, ih­rer Freun­din­nen. Sie wird eben in ih­rem Krei­se blei­ben. Eine Be­am­ten­frau – sie kennt das ganz ge­nau. Sie kennt eine Men­ge von Be­am­ten­frau­en, und alle den­ken und tun und re­den und er­le­ben so ziem­lich das­sel­be. Was sie in der See­le trug von Kei­men zu köst­li­chen sel­te­nen Blü­ten, das wür­de da wohl ver­bor­gen blei­ben. – Aber wer sagt ihr denn, dass die ed­len Kräf­te, das Stre­ben nach frei­er Grö­ße nicht eine ver­mes­se­ne, tö­rich­te Selbst­täu­schung ge­we­sen?

      War sie ih­rer ers­ten un­glück­se­li­gen Lie­be treu ge­blie­ben? – Nein.

      War sie ih­rem Hei­land eine treue Magd ge­wor­den? – Nein.

      Schließ­lich war sie doch nichts Bes­se­res, als all die an­de­ren Mäd­chen auch.

      Nur nicht mehr aus­ge­schlos­sen da­ne­ben ste­hen, ne­ben den tie­fen, hei­li­gen, rei­fen­den Er­fah­run­gen des Le­bens.

      *

      Im Wil­helms­gar­ten, beim Gar­ten­kon­zert woll­ten sie sich tref­fen. Der Lan­drat hat­te ver­spro­chen, von Evers­ha­gen her­ein­zu­kom­men.

      Mama wur­de von ih­rer Mi­grä­ne be­fal­len. Und weil Papa bei der Son­nenglut auch lie­ber zu Haus blieb, schick­te Frau Heid­ling zu Eu­ge­nie. Aber Eu­ge­nie schlug die Bit­te, Aga­the zu be­glei­ten, übel­lau­nig ab. Wa­rum hat­te man sie nicht zu dem Aus­flug nach Evers­ha­gen auf­ge­for­dert? Als ob sie sich den gan­zen Tag zu ih­rer Schnei­de­rin stell­te! Es schi­en, dass Aga­the es auf den Lan­drat ab­ge­se­hen hat­te – Mama Heid­ling ent­schul­dig­te sich so wun­der­lich kon­fu­se we­gen der Evers­ha­ge­ner Ge­schich­te. Wenn sie sich da nur nicht wie­der Dumm­hei­ten in den Kopf setz­te! Sol­che Leu­te, wie der Lan­drat Rai­ken­dorf, die Car­riè­re ma­chen wol­len, neh­men eine Sieb­zehn­jäh­ri­ge – wenn’s geht, ad­lig – mit Ver­mö­gen – oder eine jun­ge Wit­we. Lie­ber Gott, die arme Aga­the war doch ei­gent­lich über das Hei­rats­al­ter hin­aus. Ge­le­gent­lich muss­te sie dem Lan­drat mal auf den Zahn füh­len, da­mit das gute Kind sich nicht bla­mier­te. Vi­el­leicht konn­te man ihm vor­schla­gen, auch nach He­rings­dorf zu kom­men. Das wäre ei­gent­lich ziem­lich amüsant … Aber heu­te? – Bil­det Euch doch nur nicht ein, dass der Lan­drat bei der Hit­ze kommt! Gebt die Idee auf!

      Aga­the gab die Idee nicht auf. Sie war see­lens­froh, dass Eu­ge­nie sie nicht be­glei­ten woll­te. Tap­fer ver­such­te sie ihr Heil bei Wend­ha­gens – die wa­ren auch bei zwan­zig Grad zu je­dem Ver­gnü­gen be­reit. Mit Lis­beth fühl­te sie sich viel si­che­rer und mun­te­rer als un­ter Eu­ge­ni­ens schar­fen Beo­b­ach­ter­au­gen. Und ein­mal der lie­be­vol­len Für­sor­ge ih­rer Mut­ter ent­flo­hen zu sein – ja – schreck­lich! – aber es war ihr je­des Mal ein klei­nes Fest.

      Rai­ken­dorf wür­de sie nach Haus brin­gen, denn Wend­ha­gens wohn­ten in der Vor­stadt. Da hat­ten sie noch einen wei­ten Weg al­lein mit­ein­an­der. Ob er ihr wie­der den Arm bie­ten wür­de?

      Er tat es und nahm den ih­ren, ohne zu fra­gen, mit ei­ner hei­te­ren Be­sit­zer­mie­ne.

      Sie wuss­te, dass er nun spre­chen wür­de. Sie hat­te ihn doch sehr, sehr gern.

      Es kam ganz na­tür­lich und war nicht so auf­re­gend, wie sie sich vor­ge­stellt hat­te. Er sag­te ihr ein­fach, dass er sie zu sei­ner klei­nen Frau ha­ben möch­te, er brauch­te gar kei­ne ro­man­ti­schen Wor­te. Wie zwei gute Ka­me­ra­den re­de­ten sie da­von.

      Die Haus­tür war schon ver­schlos­sen. Er half ihr beim Öff­nen, und als sie ihm ent­schlüp­fen woll­te, hielt er sie im Schat­ten des Ein­gangs fest und zog sie an sich.

      »Aga­the …!« bat er lei­se.

      Ein Kuss – der ers­te Kuss auf ihre Lip­pen … Be­ben­de Freu­de flog durch ihre Sin­ne … Doch ein Licht er­hell­te plötz­lich den Flur, aus der Par­terre­woh­nung dran­gen Stim­men und Trit­te ih­nen ent­ge­gen – Aga­the fuhr zu­rück. Rai­ken­dorf gab sie frei und zuck­te un­ge­dul­dig die Ach­seln. Er press­te ihre Hand.

      »Auf mor­gen, Aga­the!«

      »Auf mor­gen! Gute Nacht!«

      Aga­the lief die Trep­pen hin­auf. Wie lieb sie den Mann jetzt hat­te! Mor­gen –

      Mor­gen wird er sie wie­der so weich und fest in den Arm neh­men, und sie wird die Au­gen schlie­ßen …

      »Mama – mei­ne lie­be, lie­be Mama! Er kommt – mor­gen früh – zu Papa … Ach – mein Her­zens­müt­ter­chen … Ich bin ja so froh! So froh! – Ich dach­te ja gar nicht … Ach freust Du Dich auch? – Er ist lieb – nicht wahr? Weißt Du – er … Ich kann’s Dir nicht sa­gen … wie er zu mir ist – so gut!

      Mama – er sprach von sei­nem Ein­kom­men – ob es rei­chen wür­de für uns bei­de. Ich habe ihm ge­sagt Du hät­test Ver­mö­gen … Das durf­te ich doch? Du gibst mir doch da­von, nicht wahr?«

      »Mein Herz­chen – was mein ist, ist doch auch Dein!«

      »Ich will ja auch spar­sam sein! Aber so spar­sam! Ach Mama – glaubst Du …«

      »Was denn, mein Kind?«

      Aga­the lach­te lei­se.

      »Nichts! Ich dach­te nur … Nein – so weit will ich gar nicht den­ken, sonst werd’ ich noch när­risch vor Freu­de. Sag’ Du’s Papa. Er wird nichts da­ge­gen ha­ben? Nein – nicht wahr?«

      »Was soll­te er! Papa schätzt Rai­ken­dorf. Er soll hö­he­ren Or­tes sehr gut an­ge­schrie­ben sein. – Geh nun, schlaf, mein Lieb­chen, da­mit Du mor­gen hübsch frisch aus­siehst! Ach, mein Kind, dass ich Dich her­ge­ben soll!«

      Dank­bar­keit – tie­fe, im­mer neu in ih­rem Her­zen quel­len­de Dank­bar­keit über­flu­te­te gleich ei­nem brei­ten, stil­len, son­nenglän­zen­den Strom die gan­ze Emp­fin­dungs­welt des Mäd­chens. Dank­bar­keit war nun ihre Lie­be. Ret­ter, Er­lö­ser nann­te sie den Mann in ih­rer heim­li­chen See­le.

      Nicht jauch­zen­des Hin­wer­fen ih­res Selbst in all­ge­wal­ti­ge Flam­men – kein Auf­glü­hen zu höchs­ter er­ho­be­ner Schön­heit in trun­ke­ner Lei­den­schaft …

      Nein – de­mü­ti­ges Empfan­gen, be­schei­den-em­si­ges He­gen und Pfle­gen des Glücks­ge­schen­kes – das war, was sie nun ein­zig be­gehr­te.

      Nie – nie woll­te sie Rai­ken­dorf ver­ges­sen, dass er ihr den Abend – die Fül­le von freund­li­chen Hoff­nun­gen ge­ge­ben. Ihr gan­zes Le­ben soll­te ein Die­nen da­für sein. Nicht ge­nug konn­te sie sich dar­in tun, ihn als ih­ren Herrn zu er­hö­hen und sich zu er­nied­ri­gen. War es mög­lich, dass es Au­gen­bli­cke ge­ge­ben, in de­nen sie ihn ver­ach­tet – über ihn ge­höhnt hat­te? Ihn? Dem sie heut die Füße hät­te küs­sen wol­len, sie mit ih­ren Trä­nen ba­den und mit ih­ren duf­ten­den Haa­ren trock­nen?

      In der Frü­he, als sie das Wohn­zim­mer be­trat, er­in­ner­te sie sich plötz­lich an den Abend, an dem ihr Mar­tin Gref­fin­ger die so­zia­lis­ti­schen Schrif­ten ge­ge­ben hat­te, um ihr zu hel­fen.

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