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eben­so re­gel­mä­ßig als un­ver­bes­ser­li­che Trun­ken­bol­de oder Die­bin­nen er­wie­sen. Trotz der un­auf­hör­li­chen Ent­täu­schun­gen war das win­zi­ge, dürf­ti­ge, alte Jung­fer­chen glück­se­lig in ih­rer Eile und Ge­schäf­tig­keit, bei Man­gel und Hun­ger, die sie für das Wohl je­ner zwei­fel­haf­ten Mit­menschen litt. Sie muss­te einen heim­li­chen Schatz in ih­rem fla­chen klei­nen Bu­sen un­ter der Fi­let­man­til­le tra­gen, von dem sie sich sät­tig­te und den strah­len­den Glanz ih­rer Au­gen in dem von Bart­haa­ren be­sä­e­ten, ver­schrumpf­ten Ge­sicht­chen nähr­te. Sie hat­te Aga­the von den Je­sub­rü­dern er­zählt.

      Das Nied­ri­ge, Arm­se­li­ge, Ver­steck­te der Um­ge­bung, die Dun­kel­heit, wel­che durch die zwei Talg­lich­ter auf dem Al­tar kaum ge­bro­chen wur­de, und in der die lei­se ein­tre­ten­den Hand­wer­ker, die in ihre Tü­cher ver­mumm­ten, ab­ge­zehr­ten Ge­stal­ten hüs­teln­der Nä­he­rin­nen, zit­ternd her­an­tap­pen­der Grei­sin­nen auf­tauch­ten und ver­schwan­den – das ge­mahn­te an die heim­li­chen Zu­sam­men­künf­te der ers­ten Chris­ten in ab­ge­le­ge­nen, ver­bor­ge­nen Win­keln – das warf, wie die Licht­stümp­fe, die nun hie und da an­ge­zün­det wur­den, um die Ver­se des Ge­sang­bu­ches zu ent­zif­fern, einen fla­ckern­den Schein von Ro­man­tik über die Sze­ne. Hier konn­te nie­mand be­ob­ach­ten, ob beim Ge­bet die hei­ßen Trop­fen der Verzweif­lung oder der Lie­be ström­ten. Ja – es war, als kön­ne die See­le sich fes­sel­lo­ser, brüns­ti­ger zum Herrn auf­schwin­gen, wenn der Leib, hin­ge­wor­fen, auf den Kni­en lie­gend, sich er­nied­rig­te.

      Und Gott sei Dank, Pfar­rer Za­cha­ri­as ver­fiel nicht in die sen­ti­men­ta­len Jam­mer­tö­ne des al­ten Fräu­leins an Aga­thes Sei­te.

      Eine brei­te, plum­pe Bau­ern­ge­stalt, ein wuch­ti­ger Kopf, in den Um­ris­sen wie Dr. Luther stand der Wan­der­pre­di­ger vor sei­nen An­hän­gern und er­klär­te ih­nen mit zor­ni­ger Ein­dring­lich­keit Got­tes Wort. Der Mann glaub­te noch an den Teu­fel. Da gab’s kein Um­schrei­ben – kei­ne Kon­zes­sio­nen. Al­les oder nichts, hieß es hier … Wenn Du lau bist, so will ich Dich aus­spei­en aus mei­nem Mun­de – so spricht der Herr, Dein Gott, und der Herr lässt sei­ner nicht spot­ten.

      Aga­the schau­der­te vor Furcht und Schre­cken. Aber es wur­de ihr so wohl – so wohl un­ter die­ser Här­te. Das war et­was! Sie war lau – o sie war ein schwan­ken­des Rohr – ein glim­men­der Docht – nun blies der hei­li­ge Geist sei­ne Flam­men in ihr an und wärm­te ihr kal­tes ver­öde­tes Herz.

      Hät­te man sie selbst nur in der Ver­bor­gen­heit, die ihr so an­ge­nehm war, kom­men und ge­hen las­sen. Aber in ei­nem Au­gen­blick tiefer Er­grif­fen­heit hat­te sie zu ei­ner Samm­lung für eine an­de­re arme Je­sub­rü­der­ge­mein­de ihr gol­de­nes Arm­band ge­ge­ben. Sie hat­te ih­ren Na­men nicht ge­nannt, doch man er­kun­dig­te sich nach ihr. Die from­men Hand­wer­ker be­eil­ten sich, der Toch­ter des Re­gie­rungs­ra­tes, die der Herr zu ih­nen ge­führt, eine Stroh­de­cke auf die Knie­bank zu le­gen, ihr Licht und Ge­sang­buch zu brin­gen. Sie dräng­ten sich am Schlus­se des Got­tes­diens­tes her­an, ihr die Hand zu rei­chen und sie als ein Glied ih­rer klei­nen Ge­mein­de will­kom­men zu hei­ßen.

      Das war ja ge­ra­de­zu gräss­lich. Wenn Flei­scher­meis­ter Un­ver­zagt die Bi­bel­stun­de hielt, sah Aga­the den auf­ge­bla­se­nen Hoch­mut in sei­nem Ge­sicht und such­te ver­ge­bens nach der Er­he­bung, die sie an­fangs er­grif­fen hat­te.

      Auch hier nicht – auch hier nicht?

      Lag es nur an ih­rer man­geln­den Kraft? Wa­rum war sie so ent­setz­lich sen­si­tiv ge­gen alle Un­voll­kom­men­hei­ten?

      Sie ängs­tig­te sich vor den Be­su­chen bei den Ar­men und Kran­ken. Wie konn­te sie Trost und Hil­fe brin­gen? Die Schwie­rig­kei­ten, mit de­nen die­se Leu­te ran­gen, sah sie rie­sen­groß und ihre Fä­hig­kei­ten, das Elend zu mil­dern, so win­zig – so er­bärm­lich klein. Es war ja über­haupt nur Il­lu­si­on. Wie sie die Da­men be­nei­de­te, die mit ei­ner nai­ven Si­cher­heit den Ar­men Moral, Re­li­gi­on und Rein­lich­keit pre­dig­ten.

      Wa­rum soll­ten sie denn nicht steh­len, wenn sie hun­ger­ten? Wa­rum an Gott glau­ben, der sich nicht um sie küm­mer­te? Wie konn­ten sie rein­lich sein, wenn sie kein Geld hat­ten, Sei­fe zu kau­fen? Aga­the schäm­te sich, mit gu­tem Schuh­werk, in ih­rer war­men Win­ter­ja­cke zu ih­nen zu kom­men – sie schäm­te sich, et­was zu ge­ben, das, wie sie wohl wuss­te, die Not nicht än­dern konn­te – mit dem sie selbst sich nur die Vollen­dung im Glau­ben er­kau­fen woll­te.

      Trotz hei­ßer Be­mü­hun­gen wur­de sie kei­ne tap­fe­re, fröh­li­che, be­kennt­nis­mu­ti­ge Nach­fol­ge­rin des Herrn, wie ihre Cou­si­ne Mimi Bär.

      … Als ein Kreuz vom Herrn die Lä­cher­lich­keit und das Ver­geb­li­che, das all ih­rem Tun an­haf­te­te, auf sich, neh­men und in Ge­duld tra­gen – viel­leicht ging es auf die Wei­se.

      Der Kampf um den Glau­ben, um den Frie­den füll­te doch ihre Tage – gab ih­rem Er­wa­chen in der Frü­he doch Zweck und Ziel. Wozu in al­ler Welt leb­te sie sonst?

      Die Sor­ge für die El­tern … Ei­gent­lich sorg­ten Papa und Mama ganz gut für sich selbst. Uner­mess­li­che Räu­me in ih­rem Her­zen wur­den da­durch nicht aus­ge­füllt. Sie hat­te sich das nicht so ge­dacht – als sie ih­nen so dank­bar war für die Lie­be und die Verzweif­lung an ih­rem Kran­ken­bett.

      Selbst die Sehn­sucht war in ihr ver­dorrt und ge­stor­ben. Sie wuss­te nicht mehr, wo­von sie träu­men soll­te. Sie gräm­te sich nicht ein­mal mehr um Lutz. Es war al­les eine grau­en­haf­te Täu­schung ge­we­sen. Sie hät­te ihn ru­hig wie­der­se­hen kön­nen. Aber er war in ih­rem Da­sein aus­ge­löscht wie ein Licht. Von M. war er fort­ge­gan­gen – in je­nem Som­mer, als sie sich in Bor­nau lang­sam er­hol­te. Sie wuss­te nicht, wo er nun leb­te, und sie konn­te sich nicht vor­stel­len, dass er sich über­haupt noch auf der Welt be­fand.

      Die Da­niel hat­te einen Schau­spie­ler ge­hei­ra­tet. Sie – die von ihm ge­liebt wor­den war – die Mut­ter sei­nes Kin­des … Aga­the ver­stand die in­ne­ren Mög­lich­kei­ten sol­cher Schick­sa­le so we­nig, wie sie sich das all­täg­li­che Da­sein der Mars­be­woh­ner vor­stel­len konn­te.

      Mar­tins so­zia­le Schrif­ten hat­te sie ihm ohne ein Begleit­wort nach­ge­sandt. Sie wa­ren sün­di­ges Gift. Der Rausch, der sie bei ih­rem Le­sen be­fal­len, war auch eine Ver­su­chung zum Bö­sen ge­we­sen.

      *

      Nach und nach ge­wann Aga­the sich stil­le klei­ne Sie­ge ab. Bei ei­nem großen Ball­sou­per neig­te sie ru­hig das Haupt und sprach mit lei­se sich be­we­gen­den Lip­pen ihr Tisch­ge­bet. Als sie zu Haus den Ge­brauch an­ge­nom­men hat­te, blick­te ihr Va­ter sie ei­ni­ge Male ver­wun­dert an, ließ sie aber ge­wäh­ren. Nach dem Tanz­fest beim Ober­prä­si­den­ten ver­wies er ihr stren­ge, sich in Ge­sell­schaft auf­fäl­lig zu be­neh­men.

      Als Ant­wort bat Aga­the um die Er­laub­nis, kei­ne Bäl­le mehr be­su­chen zu dür­fen.

      »Wie kommst Du auf sol­che Ide­en?« frag­te der Re­gie­rungs­rat är­ger­lich. Er leg­te die Zei­tung, in der er las, bei­sei­te. Sei­ne ers­te Er­mah­nung hat­te er über den Rand des Blat­tes fort in die Un­ter­hal­tung zwi­schen Mut­ter und Toch­ter über den gest­ri­gen Abend ein­flie­ßen

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