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       Strenge Sitten und Lachverbot

      Nach dem Tod von Karl VI. (1685–1740), Maria Theresias Vater, sahen die Verwandten, die in anderen Ländern regierten, begehrlich auf das Erbe und forderten Länder ein. Friedrich II. von Preußen (1712–1786) verlangte für die Anerkennung Maria Theresias als Herrscherin die Provinz Schlesien und marschierte gleich dort ein. Damit löste der damals noch junge „Alte Fritz“ die Österreichischen Erbfolgekriege aus. Österreich verlor Schlesien und begann seine Armee zu modernisieren. In Wiener Neustadt wurde 1751 die Theresianische Militärakademie gegründet, die älteste Militärakademie der Welt, die sogar den geheimen habsburgischen Wahlspruch „AEIOU“ im Wappen trägt.

      „Mach er mir tüchtige Officirs und rechtschaffene Männer daraus“ sagte Maria Theresia damals zum Ersten Kommandanten Feldmarschall Leopold Joseph von Daun (1705–1766). Ihren Generälen, die noch gerne theatralische Belagerungen mit pompösen Aufmärschen durchführten, empfahl die Kaiserin, „den Feind zu überraschen und mit List und Brutalität zu besiegen“ – Erkenntnisse moderner Kriegsführung, die sie sich beim nächtelangen Kartenspielen angeeignet hatte.

      Als der Erbfolgekrieg beendet, die Heeresreform im Gange war und der darauf folgende Siebenjährige Krieg noch nicht begonnen hatte, blieb Zeit, um auch im Landesinneren „wichtige“ Reformen umzusetzen. Als Erstes fiel der Blick der Kaiserin auf die Sitten im Land, denn die waren ihr zu liederlich und verkommen. Also nahm sie sich ein Beispiel an ihrem Ahnherrn Ferdinand I., der rund 200 Jahre zuvor eine Keuschheitskommission gegründet hatte, die aber irgendwie vergessen und von seinem Sohn Kaiser Maximilian II. (1527–1576) nicht weitergeführt wurde. Diese Instanz ließ Maria Theresia 1752 wieder aufleben: „Öffentliche Ärgernisse“ und „anstößiges Beisammensein von Männern und Frauen“ sollte unterbunden werden, Homosexuelle und „unzüchtige Weibspersonen“ wurden verfolgt. Bei Prostitution gab es Geldstrafen, Auspeitschung, Zwangsarbeit und sogar Ausweisung – donauabwärts ins Banat (heute ein Teil von Rumänien, Serbien und Ungarn). Man erzählt sich, dass Maria Theresia vor allem durch die Untreue ihres Gatten Franz Stephan zur Weiterführung dieser Kommission inspiriert wurde. „Schändliche Spione, die man Keuschheitskommissare nannte, waren die unerbittlichen Quälgeister aller hübschen Mädchen“, berichtete Giacomo Casanova, der damals in Wien weilte und selbst mit den Sittenwächtern zusammenstieß: Als er sich einmal hinter einem Busch erleichterte, wurde er wegen „Wildpinkeln“ verwarnt, später vorgeladen und schließlich des Landes verwiesen. Da nützten ihm auch Verbindungen zu höchsten Kreisen nichts. Der italienische Schriftsteller und Abenteurer, der ursprünglich Priester werden wollte und seine kirchliche Laufbahn aufgab, nachdem er bei seiner Predigt in der Kirche San Samuele in Venedig betrunken von der Kanzel gefallen war, musste Österreich verlassen.

      Doch Casanova hatte es immer noch besser als die Figuren vom Donnerbrunnen am Neuen Markt in Wien – die fielen nämlich ebenfalls der Keuschheitskommission zum Opfer, wurden 1773 wegen ihrer Nacktheit „verhaftet“ und sollten sogar eingeschmolzen werden. Der damit beauftragte Bildhauer Johann Martin Fischer erkannte aber ihren künstlerischen Wert, restaurierte und versteckte sie. 1802 wurden die Figuren dann wieder aufgestellt. Wer sich an diesem Brunnen aufhält, wird feststellen, dass eine sehr starke mystische Kraft von ihm ausgeht, der belebend auf den gesamten menschlichen Organismus wirkt.

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      Die kunstvollen Figuren des Donnerbrunnens am Hohen Markt in Wien erregten Maria Theresias Keuschheitskommission.

      Maria Theresias Keuschheitskommission tobte 50 Jahre und brachte die dunkelsten Seiten der Menschen zum Vorschein: allgegenwärtige Verdächtigungen, Verfolgungen, Verleumdungen und Verrat ohne Ende, hervorgerufen durch ein Gesetz voll böser Worte, die nach den Regeln der schwarzen Magie Gestalt annahmen, ein grausames Eigenleben entwickelten und sich verbreiteten. Im Justizministerium wurden die Spitzelakte in einem großen Raum bis 1927 aufbewahrt, dann holten sich die Flammen beim Brand des Justizpalastes die Akten mit den bösen Worten und schickten sie zurück in die Hölle. Doch die schwarze Magie ist nicht tot – in den über 250 Jahren, die seit ihrer Gründung vergangen sind, kam die Keuschheitskommission immer wieder zurück, mit wechselnden Namen, aber stets in menschenverachtender Gestalt. Geleitet wurde sie vom Palais Niederösterreich aus, in der Herrengasse in der Wiener Innenstadt. Verhöre, gynäkologische Untersuchungen und Schläge mit Ruten erfolgten in der Schranne am Hohen Markt 10–12. Züchtlinge wurden auch zum Gassenkehren verurteilt. Der Hohe Markt „war einer der ältesten Richtplätze der Stadt. Hier hat man Verurteilte geköpft und gerädert. Übeltäter konnten auch an den Pranger gebunden werden, wo an ihnen Prügelstrafen und Auspeitschungen vollzogen wurden“, schreibt die Autorin und Fremdenführerin Gabriele Buchas und meint: „Diese Hinrichtungsplätze sind die Schattenplätze unserer Geschichte.“ Wenn man von den menschlichen Tragödien, die sich an Orten wie dem Hohen Markt in der Wiener Innenstadt abgespielt haben, weiß und in der Lage ist, mit der unaufgelösten, diffusen Aura dort umzugehen, kann man diese durchaus als kräftigend empfinden. Denn die Schwingungen an Plätzen, an welchen Leid und Qual alltäglich waren und stets reichlich Blut floss, sind stark – sehr stark, weshalb auch viel Energie produziert wird, die man positiv nutzen kann. Wenn das immer wieder geschieht, wird eine neue Harmonie und Ordnung an diesem Platz wachsen. 78 Jahre nach Gründung dieser schändlichen Kommission fand die Uraufführung von Goethes „Faust“ in Braunschweig statt. In der Tragödie beschreibt sich Mephistopheles als „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“. Bei Maria Theresia war es in diesem Fall genau umgekehrt.

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      Gensi, der Clown vom Zirkus Roncalli, ist begeistert von Maria Theresia und widmete ihr ein Ständchen auf der Geige.

      Das galt ebenso für das 1752 von „allerhöchster Stelle“ verordnete „Extemporierverbot“, das klare „Nein“ zu aus dem Stegreif gesprochenen Theaterauftritten. Damit wollte Maria Theresia erreichen, dass die Darsteller bei Wiener Volksstücken auf der Bühne nur „genehme Worte“ sprachen und keine „anstößige Gestick“ zeigten. Die Stücke mussten schriftlich eingereicht werden, man hat außerdem eine eigene Zensurkommission eingerichtet. Vor allem deftige Komödien mit Angriffen auf die Obrigkeit durch den Volkshelden Hanswurst, über den so viel gelacht wurde, sollten verschwinden. In den Stücken durften auch keine traurigen Begebenheiten mehr vorkommen. Die Wiener Theaterfreunde fanden es aber dennoch zum Weinen. Später forderte Joseph II. per Dekret sogar einen „Wiener Schluss“: Am Burgtheater mussten deshalb Stücke wie „Romeo und Julia“, „Hamlet“ und Co. umgeschrieben werden, sie bekamen ein Happy End. Werke von Schiller wurden zur Gänze vom Spielplan verbannt. Auch Joseph von Sonnenfels war der Meinung, der Hanswurst gehörte verboten. Er setzte sich mit kühnem Wortschwall mitten in den Fettnapf im inzwischen als „Hanswurststreit“ immer heftiger gewordenen Konflikt Kasperl gegen Sonnenfels, der mit dem Wurstl als strahlend-lachenden Sieger in die Geschichte einging. Maria Theresia erntete mit dem „Extemporierverbot“ nur Spott und Hohn, da der Hanswurst nicht totzukriegen, wie fast 200 Jahre später Heinz Conrads so überzeugend singen würde: „Den Wurschtl kaun kana daschlogn … [Den Hanswurst kann niemand erschlagen], er wurschtlt sich durch – er wurschtelt sich raus – und schaut er vielleicht – ganz verwurschtlt auch aus.“ Die Magie der Volksbühne ist unüberwindbar, bis heute, auch wenn manche abgehobenen Kulturmenschen mit hochgezogenen Augenbrauen behaupten, dies und das sei zu verbieten; die Wurzeln, die aus dem Volk kommen, sind die stärksten Bindungen und produzieren die meisten Energien.

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      Heinz Conrads, hier mit Gattin, war Österreichs beliebtester TV-Star. Er sang das Lied vom unsterblichen Wurschtl.

      Durch die Pleite mit dem Lachverbot wurde Maria Theresia in ihrer Überzeugung bestärkt: „Schauspieler sind eine Bagage.“ Dennoch sagte sie: „Ohne Theater halt man es hier ja gar net aus.“ Musste sie auch nicht, denn in Schönbrunn hatte sie bereits seit 1747 ein eigenes wunderschönes

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