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Wirst du dann nicht einige Zeit in deinem Haus in Italien mit der Familie verbringen?«

      »Ja, aber nur einige Tage.« Er strich ihr flüchtig über den Ärmel. »Heute abend werde ich trotzdem mein Wort halten müssen. Sonst fühlt Annalena sich von mir zu sehr vernachlässigt.«

      Wiebke atmete mit fest geschlossenen Lippen durch die Nase ein. »Ich dachte, deine Frau fühlt kaum noch etwas. So nennst du es doch.«

      »Dennoch… sie ist meine Frau und die Mutter meiner Tochter.«

      »Ja, ja, ja, ja.« Es klang gereizt, denn seine Antwort gefiel ihr einfach nicht. Ahnte er wirklich nicht, daß sie seit langem zu allem bereit war, um ihn über die Gefühlskälte seiner Frau hinwegzutrösten? Leicht verärgert wandte sie sich ab.

      »Also dann bis bald, Fabian. Wenn du dich während der Ferienzeit als Strohwitwer einsam fühlst, du weißt ja, wo du mich erreichen kannst.«

      Sofort war er bei ihr und umarmte sie schnell. »Du bist eine wunderbare Freundin, Wiebke. Vergiß das nie.«

      Einige Minuten später war er endlich allein. Als er gerade sein Hemd wechseln wollte, klopfte es an die Tür.

      »Ja, bitte!« rief Fabian. Daß der oberste Violinist oder ein anderes Orchestermitglied noch etwas zu besprechen hatte, war er gewohnt. So ein Freiluftkonzert verlangte nach hervorragender Organisation. Die Veranstaltung war seit Wochen ausverkauft.

      Fabian sah auf, als er die Knöpfe an seinem Hemd schloß. Und sofort erstrahlte sein Gesicht vor Freude.

      »Bella!« rief er begeistert aus. »Meine entzückende Bella!« Dann reichte er ihr seine Wangen, um sich von ihr küssen zu lassen.

      Bella Crusius war eine junge Sängerin, die erst am Anfang ihrer Karriere stand. Mit ihrem schulterlangen, dich gelockten fast schwarzen Haaren und den leidenschaftlichen, dunklen Augen entsprach sie genau dem Frauentyp, den er bevorzugte. Er legte die Hände auf ihre schmalen Schultern und sah ihr tief in die Augen.

      »Heute nach dem Konzert begleite ich meine Frau nach Hause, Bella. Aber du weißt, Annalena wird meist schon um Mitternacht müde. Ich werde behaupten, noch mal ins Tonstudio zu müssen, um mir die letzten Aufnahmen in aller Ruhe anhören zu können.«

      »Und sie glaubt es dir wirklich?« schmunzelte Bella.

      »Sicher! Sie weiß doch, ich brauche diese Stunden, um den Erfolg eines Konzertes in mir aushallen, den Stress in mir abebben zu lassen.« Lachend zog er die zauberhafte Bella an sich. »Und… willst du heute nacht wieder bei mir sein?«

      Sie zögerte, und ihr Blick glitt an ihm vorbei.

      »Versprichst du mir dann auch, mich im August mit dem Intendanten des Londoner Opernhauses bekannt zu machen?«

      »Natürlich, mein Liebling. Ich telefoniere schon morgen mit ihm. Und du weißt, ich halte immer Wort. Im August gebe ich selbst zwei Konzerte in London. Dann habe ich sogar ein wenig Zeit für alles das, wozu mein Beruf sonst kaum Raum läßt.« Er küßte sie.

      Bella schloß hingebungsvoll die Augen.

      »Ich fiebere jeder Stunde mit dir entgegen, du wunderbarer Mann.«

      Sie wußte, sie hatte bei ihm die besseren Karten als Wiebke Lohmer. Diese Anwältin hatte ja keinen blassen Schimmer von klassischer Musik. So eine Frau konnte einen Mann wie Fabian niemals dauerhaft fesseln und schon gar nicht faszinieren!

      *

      Am ersten Tag der Ferien war strahlendes Wetter gewesen. Heute aber regnete es in Strömen. Als Fabian Ossiander seine Frau und sein Töchterchen zur Limousine brachte, blickte er besorgt zum Himmel.

      »Du fährst doch vorsichtig, Annalena?«

      »Das tut Mama immer, Papa!« spielte Claudia die Empörte, schlüpfte unter seinen Regenschirm und hängte sich noch einmal an seinen Hals. »Wo sollen wir dich anrufen, wenn wir angekommen sind? In Nürnberg oder Stuttgart?«

      Fabians Blick ruhte liebevoll auf dem Gesicht seiner Tochter. »Stuttgart. Übermorgen bin ich in Nürnberg. Und in einer Woche nach dem Konzert in Verona, gehöre ich euch, meine Lieben. Ihr kommt doch nach Verona? Ich habe Hotelzimmer reservieren lassen.«

      »Ja, Papa«, seufzte Claudia gequält, was ihn lächeln ließ.

      »Keine Lust, wie? Aber die Noten mit den Etüden von Chopin hast du eingepackt? Ich möchte hören, was du gelernt hast, wenn ich in den Urlaub komme, mein Kind.«

      »Ja, ja, Papa«, seufzte sie.

      »Du hoffst, daß der Flügel in unserem italienischen Haus inzwischen richtig verstimmt ist, wie?«

      Da lachte Claudia. »Super getippt, Papa. Ja, das hoffe ich.«

      Fabian zwinkerte ihr zu. Manchmal hatte er Verständnis für sein Kind, auch wenn das selten vorkam. Dann verabschiedete er sich von seiner Frau. Er zog sie in die Arme und wollte sie küssen, ohne dabei zu bemerken, wie widerstrebend sie diese Sekunden über sich ergehen ließ.

      Eine halbe Stunde später preschte Annalena in hoher Geschwindigkeit über die Autobahn Richtung Österreich. Der Regen war stärker geworden, aber der Verkehr rauschte an diesem Wochentag noch mäßig dahin.

      »Nächstes Jahr bin ich zwölf, Mama. Dann darf ich vorn bei dir sitzen«, meldete Claudia von hinten. Sie setzte die Kopfhörer auf und schaltete ihren Recorder ein. Nach dem Rhythmus einer Melodie auf- und abwippend zupfte sie an ihrer Bluse herum. Die war im gleichen Muster geblümt wie die ihrer Mutter. Sie hatten beide auf dem Einkaufsbummel vor zwei Wochen erstanden und trugen sie heute, um wie fröhliche Schwestern in den Urlaub zu starten.

      Annalena überholte zwei Laster und dann in noch rasender Fahrt einen dahinsausenden Bus. Bald darauf tauchten vor ihnen die undeutlichen Umrisse der ersten Alpenhöhen auf. Es goß jetzt wie aus Eimern, so daß die Wischer kaum das Wasser von der Scheibe verdrängen konnten. Nach einer Weile stöhnte Annalena auf und schaltete das Radio ein. Ein flotter Sound übertönte das Geräusch des Scheibenwischers, machte das Fahren angenehmer aber nicht ungefährlicher.

      »Mama!« Claudia tippte ihr auf die Schulter. »Ich hab’ keine Lust nach Verona zu fahren!« brüllte sie. »Ist schon schlimm genug, daß Papa mir den Chopin aufgehalst hat. Kannst du ihn nächste Woche nicht anrufen und sagen, ich bin krank?«

      Sofort stellte Annalena das Radio leiser und bedeutete ihrer Tochter, die Stöpsel aus den Ohren zu nehmen. Dann warf sie ihr über den Innenspiegel einen ernsten Blick zu.

      »Hör zu, mein Kleines. Ich muß dir etwas sagen.«

      »Nee! Nicht schon wieder vom Klavierüben anfangen!« entgegnete Claudia trotzig. »Wenn Papa das macht reicht’s schon.«

      Sie bemerkte, daß im Blick der Mutter ein Lächeln entstand.

      »Du wirst es in Zukunft leichter haben, Claudia. Nur wenn du Lust dazu hast, sollst du Klavier spielen.«

      Claudia verdrehte die Augen. »Das sagst du! Aber Papa?

      »Papa wird uns in Zukunft kaum noch besuchen.«

      »Das tut er doch jetzt schon.«

      Annalena überlegte. Sollte sie warten, bis sie Italien erreicht hatten? Nein, dann blieb ihr kaum noch Zeit für eine längere Erklärung. Sie mußte Claudia schon jetzt die ganze Wahrheit offenbaren.

      »Hör zu, mein Kleines. Wir fahren nicht an die Adria in unser Haus, Claudia. Wolfgang erwartet uns im Haus seiner Familie am Gardasee.«

      »Warum? Übernachten wir dort? Was heißt Familie? Hat er Kinder?«

      »Nein, nein. Aber seine Schwester hält sich dort gerade auf. Sie hat zwei kleine Jungens. Seine Mutter ist auch anwesend. Du wirst Spaß haben, Claudia. Uns stehen herrliche Zeiten bevor.«

      »Aber Papa hat nichts davon gesagt«, wunderte Claudia sich.

      Ihre Mutter holte tief Luft und trat noch stärker aufs Gas. Sie rast nun auf eine kurvige Strecke zu. Die Straßen

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