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sich auf ihrem Zimmer umkleidete.

      Sie hatte jetzt auch die nötige Ruhe, sich alles noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen, denn sie war von manchen Zweifeln bewegt. Aber ihre Neugier siegte. Sie wollte möglichst viel über diesen Mann herausfinden, der ihr Vater gewesen sein sollte. Einen Irrtum oder eine Verwechslung konnte man ausschließen.

      Sie steckte den Brief ein, legte ein Stirnband um, weil ihr Haar so weich war, daß sie es kaum bändigen konnte, und ging dann zu Niklas.

      »Gehen wir«, sagte Antonia munter. »Du kannst nachher den Brief lesen und dir ein Urteil bilden, während ich telefoniere. Selbstverständlich bezahle ich das Gespräch.«

      »Willst du mich beleidigen?«

      Sie sah ihn ganz erschrocken an. »Bestimmt nicht, ich halte das für selbstverständlich, denn sicher wird es teuer.«

      »Das ist nicht so schlimm. Ich telefoniere oft mit der Schweiz, aber dessen ungeachtet wäre ich gekränkt, wenn du mir Geld geben würdest.«

      Sie waren beide ziemlich erhitzt, als sie beim Haus ankamen und mußten erst einen kühlen Drink nehmen. Die Klimaanlage lief, und so war es drinnen erträglich.

      Antonia gab Niklas den Brief und nahm nur die Geschäftskarte, auf der drei Telefonnummern vermerkt waren. Eine für Genf, eine für Dr. Latinger in Quebec und die dritte für die Kanadische Fluggesellschaft. Gedacht hatte dieser Dr. Latinger wirklich an alles. Das fand auch Niklas, der den Brief eingehend studierte, während Antonia mit der Bank telefonierte.

      Als sie sich zu ihm setzte, lachte sie leise auf. »Ich komme mir jetzt direkt großartig vor, so zuvorkommend behandelt man mich. Ich könnte ab Genf fliegen, es würde alles für mich erledigt, nur meinen Paß brauche ich. Und auch für meine Begleitperson kann alles geregelt werden. Wirst du also die Begleitperson sein?«

      »Doch nicht auf deine Kosten.«

      »Es sind ja nicht meine Kosten, mein unbekannter Vater hat anscheinend einiges hinterlassen, es sei denn, die Bank will sich ein Stückchen abschneiden von dem Kuchen.«

      »Wie kommst du denn darauf?«

      »Umsonst machen sie nichts. Hast du mal nachgerechnet, wieviel sie für die Kontenführung berechnen? Ich verdiene nicht die Welt, aber mir fällt das auf. Ich habe allerdings von früher Kindheit an rechnen gelernt, und es will mir nicht in den Sinn, daß mein Vater nicht mehr zu rechnen brauchte. Meine Mutter hat noch lange genug gelebt, daß er ihr etwas hätte geben können. Ich kann für ihn nichts empfinden.«

      »Das verlangt auch niemand, Antonia, aber wenn du die einzige Verwandte bist, steht es dir auch zu, was er hinterläßt.«

      »Vielleicht gibt es noch andere Verwandte, die benachteiligt werden.«

      »Dann war es sein Wille. Er wird eingesehen haben, daß er viel an dir versäumt hat. Manchmal beginnen Menschen erst nachzudenken, wenn sie dem Tode nahe sind. Wurde dir ein Termin gesetzt?«

      »Nein, das nicht, aber ich möchte das noch innerhalb meines Urlaubs erledigen, denn ich würde bestimmt nicht gleich wieder welchen bekommen. Ich wäre gern länger hiergeblieben, aber wenn du mich begleitest, fällt mir der Abschied nicht schwer.«

      Es rührte ihn, daß sie nicht daran dachte, daß sie ihre Stellung vielleicht nicht mehr brauchen würde, daß vielleicht ganz andere Aufgaben auf sie warten könnten. Aber er dachte darüber nach, wie sich wohl diese neue Entwicklung auf ihre Beziehung auswirken würde. Es war kein angenehmer Gedanke für ihn, daß sie eine reiche Erbin sein könnte. Unwillkürlich mußte er daran denken, wie negativ ein plötzlicher Reichtum sich auf Olivia ausgewirkt hatte. Er hatte nicht mehr an sie denken wollen, aber jetzt kam er gegen solche Gedanken nicht an.

      Antonia blieb völlig gelassen. Keine Spur von Aufregung war ihr anzumerken, wo andere vielleicht euphorisch reagiert hätten.

      »Wann willst du reisen, Antonia?« fragte er.

      Sie stützte den Kopf in die Hand und ließ den Blick in die Ferne schweifen.

      »Ich werde nur fahren, wenn du mich begleitest. Ich möchte das ganz genau wissen.«

      »Bin ich dir wirklich so wichtig?«

      Sie nickte. »Ich will dich nicht verlieren. Es ist so selten, daß man einen Menschen findet, dem man so vertrauen kann. Liebe ohne Vertrauen hat kein Fundament.«

      Niklas legte den Arm um ihre Schultern. »Ich würde dich gar nicht allein gehen lassen, nicht für alles Geld der Welt. Wann starten wir?«

      »Am Freitag. Ich werde das nachher gleich mit dem Hotel regeln. Sie werden ja keinen Verlust haben. Ich denke, das kann ich meinem toten Vater auch in Rechnung stellen. Ein komisches Gefühl ist das schon, plötzlich zu wissen, wer eigentlich mein Vater war. Was Tante Erni wohl sagen würde, wenn sie das erlebt hätte? Sie hatte mich übrigens auch als Erbin eingesetzt. Und nun das. Es ist mir direkt ein bißchen unheimlich.«

      »Wer war Tante Erni?«

      »Meine Großtante, die Schwester von Mamas Vater. Sie war nicht verheiratet und hatte als Schneidermeisterin ein sehr gutes Einkommen. Ich konnte auch in ihrer Wohnung bleiben. Neunzehn war ich, als ich zu ihr kam. Sie war pflegebedürftig, aber eine wirklich liebe Frau. Dr. Norden hat sie ärztlich versorgt, und er hat mir auch sehr geholfen, wenn ich Rat brauchte. Mein Gott, was wird er sagen, wenn er das erfährt! Er hat mich immer damit geneckt, daß ich ein echtes Christkindl sei, weil ich am Heiligabend geboren bin, und ein Christkindl würde vom Herrgott selbst in die Wiege gelegt.«

      »Du hast also darunter gelitten, keinen Vater zu haben?«

      »Mir war es peinlich, darüber zu reden. Ich war nicht selbstbewußt, das mußte ich erst lernen. Dazu hat Dr. Norden auch beigetragen. Immer wenn ich für irgend etwas einen Fragebogen ausfüllen mußte, war es mir peinlich, wenn nach meinem Vater gefragt wurde. Mir wurde erst bewußt, daß es Schlimmeres gab, als der Vater einer Mitschülerin ins Gefängnis mußte. Da dachte ich, daß es besser sei, keinen Vater zu haben, als einen, der einen anderen Menschen getötet hat.«

      Sie hoffte, daß er auch von seinen Eltern sprechen würde, und das tat er auch.

      »Manchmal ist es auch so, daß man Eltern hat und doch keine Beziehung zu ihnen. Meine Eltern haben sich getrennt, als ich sechs war. Ich wurde zwischen beiden hin und her geschubst. Eigentlich war ich ihnen lästig, weil sie nur an ihre Karriere dachten. Ich wurde so bald wie nur möglich in ein Internat gesteckt, und manchmal bekam ich Besuch von ihnen. Natürlich kamen sie nie gemeinsam, oder ich durfte sie auch mal besuchen und lernte dann ihre jeweiligen Partner kennen, die mehrmals gewechselt haben. Meinst du, daß das für ein Kind angenehm ist?«

      »Es macht mich traurig«, sagte Antonia leise.

      »Ich wurde dadurch sehr schnell erwachsen. Ich wollte unabhängig sein und habe es schnell geschafft. Als mein Name bekannt wurde, zeigte meine Mutter plötzlich Interesse für mich, aber ich wollte nichts mehr von ihr wissen. Mein Vater verunglückte tödlich. Er hatte eine hohe Lebensversicherung auf meinen Namen abgeschlossen, was meiner Mutter nicht gefiel. Sie ging vor Gericht, hatte aber keinen Erfolg mit ihrer Klage. Ich habe das Geld nicht abgelehnt, sondern es gut angelegt. Es erschien mir als Begleichung einer Schuld für die verlorene Liebe. So solltest du das Testament deines Vaters auch sehen.«

      »Deine Mutter lebt noch?«

      »Ja, irgendwo hat sie einen Mann gefunden, der sie tatsächlich geheiratet hat. Ich habe kein Bedürfnis, sie zu sehen. Es ist kein Haß in mir, nur Gleichgültigkeit.«

      Seltsame Gedanken kamen Antonia. Wie vielen Menschen mochte es wohl ebensogehen, daß sie keine Beziehung zu ihren Eltern hatten? Früher hatte sie über so etwas gar nicht nachgedacht, obgleich sie auch keine Beziehung zu ihrem Vater hatte. Aber wie sollte das auch möglich sein, da sie gar nichts von ihm wußte. Jetzt überlegte sie, was für ein Mensch er gewesen sein mochte.

      »Verstehst du nicht, daß ich so denke?« fragte Niklas heiser.

      »Natürlich verstehe ich dich. Was sind das für Menschen, die Kinder

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