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tu’s nicht!

      Die Dämonin schob ihren grünbestückten Finger auf ihre feuchte rosafarbene Zunge zu.

      Ich konnte nicht anders, als hinzustarren, während sich mein Magen zu einem harten kleinen Knoten zusammenzog.

      Grün auf Rosa. Der Fingernagel dreckig. Ein klebriger, durchhängender Faden.

      Die Dämonin leckte sich den Finger an der Stelle ab, an der das grüne Ding gewesen war. Ich musste wohl wild auf der Bank hin und her gerutscht sein, denn Dad packte mein Knie und flüsterte: »Hör zu!« Aber natürlich hatte er weder die unsichtbare Dämonin noch ihren grausamen Folterakt gesehen. Die Dämonin lächelte mich mit befriedigten schwarzen Augen an. Dann drehte sie den Kopf und die Tortur war vorbei. Ihre Mutter strich ihr mit behaarten Fingern über die feurigen Haare, als wäre sie das süßeste kleine Mädchen, dem Gott je seinen Atem geschenkt hatte.

      Reverend Lovoy bat die Gemeinde zum Gebet. Ich senkte den Kopf und kniff die Augen zu.

      Und etwa fünf Sekunden in das Gebet hinein prallte etwas hart an meinem Hinterkopf ab.

      Ich drehte mich um.

      Horror packte mich: Direkt hinter mir saßen Gotha und Gordo Branlin mit ihren zinnfarbenen Augen, der gleiche Farbton wie geschärfte Messerklingen. Ihre Eltern waren links und rechts von ihnen tief im Gebet versunken. Ich nahm an, dass sie um Erlösung von ihren Gören beteten. Beide Branlin-Jungs trugen dunkelblaue Anzüge und weiße Hemden. Auch ihre Krawatten sahen ähnlich aus, nur dass Gothas weiß mit schwarzen Streifen war und Gordos rote Streifen hatte. Gotha, der ein Jahr älter als sein Bruder war, hatte die weißer gebleichten Haare; Gordos waren etwas gelblicher. Ihre Gesichter waren wie scheußliche Schnitzereien in braunem Stein, und selbst in ihren Knochen – dem vorspringenden Unterkiefer, Wangenknochen, die fast durch die Haut stießen, eine Stirn wie eine Granitplatte – lag die Andeutung von geballter Wut. In den kurzen Sekunden, die ich es wagte, in diese verschlagenen Visagen zu gucken, stieß mir Gordo seinen ausgestreckten Stinkefinger entgegen. Gotha schob die nächste Erbse in seinen Strohhalm.

      »Cory, dreh dich wieder um!«, flüsterte meine Mutter und zupfte an meinem Ärmel. »Mach die Augen zu und bete!«

      Das tat ich. Die zweite Erbse prallte an meinem Kopf ab. Die Dinger stachen wie Wespen. Den ganzen Rest des Gebets hindurch konnte ich die Branlins hinter mir wie böse Trolle wispern und kichern hören. Mein Kopf war ihre Zielscheibe des Tages.

      Als das Gebet zu Ende war, sangen wir noch eine Hymne. Ankündigungen wurden gemacht und Besucher willkommen geheißen. Die Kollekte wurde gesammelt. Ich steckte einen Dollar, den Dad mit extra dafür gegeben hatte, in das Säckchen. Der Chor sang zum Klavier- und Orgelspiel der Glass-Schwestern. Hinter mir kicherten die Branlins. Dann erhob sich Reverend Lovoy erneut, um seine Osterpredigt zu halten – und in dem Moment landete die Wespe auf meiner Hand.

      Ich hatte meine Hand auf mein Knie gelegt. Ich bewegte sie nicht, obwohl die Angst mir wie ein Blitzschlag über den Rücken schoss. Die Wespe zwängte sich zwischen meinen Zeigefinger und Mittelfinger und blieb mit zuckendem blauschwarzem Stachel sitzen.

      Lasst mich ein paar Dinge zum Thema Wespen sagen.

      Sie sind anders als Bienen. Bienen sind dick und fröhlich und surren von Blume zu Blume, ohne ein Interesse an Menschenfleisch zu haben. Schwebfliegen sind neugierig und temperamentvoll, aber normalerweise so vorhersehbar und vermeidbar wie Bienen. Eine Wespe dagegen, besonders die dunklen, schlanken Wespen, die wie ein Dolch mit Kopf aussehen, ist dazu geboren ihren Stachel in Haut zu versenken und einen Schrei zu entlocken wie ein Weinconnaisseur, der einen guten Jahrgang entkorkt. Wenn man mit dem Kopf gegen ein Wespennest stößt, kann man im Nu das Gefühl haben, mit Schrotkugeln beschossen zu werden, habe ich mir sagen lassen. Ich habe das Gesicht eines Jungen gesehen, der eines Sommers in die Lippen und Augenlider gestochen wurde, als er ein altes verlassenes Haus auskundschaftete – grausam pralle Schwellungen, die ich nicht mal den Branlins wünsche. Wespen sind jenseits von Vernunft und Verstand. Sie stechen ohne Veranlassung oder Sinn. Sie würden dich bis ins Knochenmark stechen, wenn sie ihren Stachel so tief in dir versenken könnten. Sie sind voller Wut, genau wie die Branlins. Wenn der Teufel ein Haustier hat, dann ist es keine schwarze Katze, kein Affe und keine lederhäutige Echse: Es ist schon immer eine Wespe gewesen und wird immer eine sein.

      Eine dritte Erbse traf mich am Hinterkopf. Es tat richtig weh. Aber ich starrte mit rasendem Herzen und Gänsehaut auf die Wespe, die zwischen meinen Fingern saß. Etwas flog an meinem Gesicht vorbei, und als ich hochsah, beobachtete ich, wie eine andere Wespe den Kopf der Dämonin umkreiste und oben auf ihren Haaren landete. Die Dämonin musste ein Kitzeln gespürt haben. Sie griff sich an den Kopf und wedelte die Wespe weg, ohne zu wissen, was es gewesen war, und das Insekt flog mit verärgert summenden schwarzen Flügeln hoch. Ich war mir sicher, dass die Dämonin gestochen werden würde, aber die Wespe musste ihre Artgenossen bemerkt haben, denn sie flog zum Dach empor.

      Reverend Lovoy ging jetzt ganz in seiner Predigt auf, über die Kreuzigung von Jesus und Marias Tränen und den Stein, der weggerollt wurde.

      Ich sah zur Decke hoch.

      In der Nähe eines der sich drehenden Ventilatoren war ein kleines Loch, nicht größer als eine Fünfundzwanzig-Cent-Münze. Noch während ich hinsah, kamen drei Wespen heraus und summten zur Gemeinde herunter. Ein paar Sekunden später kamen noch zwei und surrten durch die schwüle parfümierte Luft.

      Über der Kirche krachte Donner. Der Lärm des Regens ertränkte fast die wogende Stimme von Reverend Lovoy. Was er sagte, wusste ich nicht; ich sah zwischen der Wespe auf meiner Hand und dem Loch in der Decke hin und her.

      Immer mehr kamen heraus, flogen in Spiralen durch die dunstig verrammelte regenfeuchte Kirche. Ich zählte. Acht, neun … zehn … elf. Manche hielten sich an den Flügeln des Ventilators fest und blieben sitzen, als fuhren sie Karussell. Vierzehn … fünfzehn … sechzehn … siebzehn. Eine dunkle, zuckende Faust aus Wespen drückte sich aus dem Loch heraus. Zwanzig … einundzwanzig … zweiundzwanzig. Bei fünfundzwanzig hörte ich auf zu zählen.

      Oben im Dachstuhl musste ein Nest sein, dachte ich. Ein ballgroßes Nest, das wie ein Herz im Dunkeln schlägt. Ebenso hypnotisiert wie Maria von dem Fremden auf der Straße gewesen sein musste, der ihr die Wunden an seiner Körperseite zeigte, sah ich ein weiteres Dutzend Wespen aus dem Loch brodeln. Niemand sonst schien es zu bemerken; waren sie so unsichtbar wie die Dämonin, als sie den Popel aus ihrer Nase geholt hatte? Langsam kreisten die Wespen in Imitation der Ventilatoren an der Decke. Inzwischen waren es so viele, dass sie sich zu einer dunklen Wolke verdichten konnten, als hätte das Gewitter einen Weg herein gefunden.

      Die Wespe zwischen meinen Fingern bewegte sich. Ich betrachtete sie und zuckte zusammen, als mich eine Erbse am Nacken traf, wo meine Haare kurzrasiert waren. Die Wespe krabbelte über meinen Zeigefinger und machte am Knöchel Halt. Ihr Stachel ruhte auf meiner Haut und ich konnte die winzige scharfe Spitze wie einen Glassplitter spüren.

      Reverend Lovoy war jetzt ganz in seinem Element. Er schwenkte die Arme und seine Haare begannen in Richtung Stirn zu rutschen. Draußen krachte der Donner und Regen trommelte aufs Dach. Es tönte wie am Tag des Jüngsten Gerichts, als wäre es an der Zeit ein Boot zu bauen und die Tiere paarweise zusammenzutreiben. Alle außer den Wespen, dachte ich. Diesmal konnten wir Noahs Fehler begleichen. Mit einer Mischung aus Faszination und Furcht beobachtete ich weiter das Loch in der Decke. Mir kam der Gedanke, dass Satan einen Weg gefunden hatte, am Ostergottesdienst teilzunehmen, und dass er auf der Suche nach Fleisch über unseren Köpfen kreiste.

      Dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig.

      Reverend Lovoy hob die Hände und sprach in seinem lauten Predigertonfall: »Und an jenem glorreichen Morgen nach dem finstersten Tag kamen die Engel, und aaaah!« Er hatte seine Hände den Engeln entgegengestreckt und entdeckte plötzlich, dass lauter kleine Flügel auf ihnen herumkrabbelten.

      Meine Mom nahm meine Hand, auf der die Wespe saß, und drückte ergriffen zu.

      Sie wurde im selben Moment gestochen, in dem die Wespen beschlossen, dass Reverend Lovoys Predigt lange genug angedauert hatte.

      Sie

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