ТОП просматриваемых книг сайта:
Meister Pippin. Franz Eugen Schlachter
Читать онлайн.Название Meister Pippin
Год выпуска 0
isbn 9783958932791
Автор произведения Franz Eugen Schlachter
Жанр Контркультура
Издательство Автор
Schwerbeladene Handwerksburschen laufen aber nicht so schnell wie der Rhein, und unsere beiden Kameraden waren nach zwölfstündigem Marsch müde genug, sich an den Ufern des schönen Stromes nach einem Nachtquartier umzusehen, um so mehr, als es eben sieben Uhr schlug, nicht auf Sepplis Wälderuhr, die ja auf ihres Meisters Rücken nicht gehen konnte, wohl aber an der alten Turmuhr des Schlosses, auf welches die beiden müden Wanderer ihre Schritte lenkten.
Auf dem rechtsseitigen Rheinufer – nur ein halbes Stündchen oberhalb Rheinfelden, der aargauischen Stadt, aber auf der andern, der badischen Seite des Flusses – erhebt sich, dicht an dem Strom, ein großes Schloss, das mit seinen Umfassungsmauern, Gräben und Tortürmen den Eindruck einer kleinen Festung macht. Sein ältester Teil, eine Burg, die ihr ergrautes Gestein in den Wellen des Rheines spiegelt, datiert aus mittelalterlicher Zeit. Neben dieselbe wurde um die Mitte des vorigen Jahrhunderts von den damaligen Besitzern der Burg, den Rittern des deutschen Ordens, ein geräumiges, vierstöckiges Haus gestellt, an das eine schöne Schlosskirche stößt. Ein ausgedehnter Park mit schattigen Lindenalleen zieht sich hinter dem Schloss den Rhein hinauf. Einst hatte in diesen Räumen ein üppiges Treiben geherrscht. Einer der Comthurn6 des deutschen Ritterordens, der in der Umgebung große Ländereien besaß, residierte hier. Ehemals ernsten und heiligen Zwecken geweiht, geriet dieser ritterliche Bund, als er reich und mächtig geworden war, in bedenklichen Verfall. Auch die letzten Comthurn von Bukein oder Beuggen, wie das Schloss, von dem wir reden, hieß, versanken in die wüsteste Schwelgerei. Bälle und Schmausereien, die in wahre Orgien ausarteten, entweihten das ehrwürdige Schloss. Man verprasste die Abgaben, welche die Bauern von ihrem mühsam erworbenen Gut aus Tenne und Keller zu liefern hatten. Drehte sich der Braten am Spieß und wollte das Feuer darunter nicht helle brennen, so warf der Koch einen Butterweck7 in die Flamme und schürte damit.
Freilich zu der Zeit, von welcher wir reden, war solche Üppigkeit aus den Mauern des Schlosses längst verbannt. Der deutsche Ritterorden war schon unter Napoleons Herrschaft aufgehoben worden und die Staaten zogen seine Güter ein. Das Schloss am Rhein war in der Folgezeit lange dagestanden wie ein ausgeraubtes Nest, die kurze Zeit, bevor unsere beiden Handwerksburschen demselben ihren Besuch abstatteten, eine Armen–Erziehungsanstalt darin untergebracht worden war. Da wurden denn keine Butterwecken mehr ins Feuer geworfen; es hat sich kaum hie und da einer in die Kaffeetassen verirrt, wenn auch keineswegs Meister Schmalhans, sondern christliche Nächstenliebe der Anstalt den Speisezettel schrieb.
Das Vesperglöcklein8 auf der alten Schlosskirche kündigte eben mit heller Zunge Betzeit an, als unser Wälderpaar durch den Torweg schritt. Die Kirche war nämlich, trotzdem die Anstalt unter protestantischer Leitung stand, dem alten Glauben treu geblieben, denn in ihr waren und sind bis auf den heutigen Tag die beiden benachbarten katholischen Dörfer eingepfarrt. Seppli erinnerte sich beim Ton der Betglocke an die Ermahnung, welche ihm seine Mutter gegeben, als er den Wanderstab ergriff. „Geh´ an keiner Kirche vorbei“, hatte sie ihm gesagt, „ohne dass du ein Vaterunser betest, und an keinem Kreuze vorüber, ohne dass du den Hut abnimmst und ein Ave-Maria sprichst.“
Diesen mütterlichen Rat hatten die beiden Wanderer bis jetzt treulich befolgt und es war ihnen eigentümlich, was für ein heimatliches Gefühl sie bei jedem Kirchlein und Kapellchen, dessen sie auf ihrem Wege ansichtig wurden, beschlich. Bleibt doch auch der wanderlustige Bursche, der pfeifend und singend seine Straße zieht, von dem sonderbaren Gefühl, das man Heimweh nennt, nicht verschont, und mancher wäre schon gerne, wie der Peter in der Fremde, gleich am ersten Abend wieder zum mütterlichen Herd zurückgekehrt. Da ist es denn gut, wenn ein Mensch eine Heimat kennt, die er überall wieder finden kann. Und zu solcher Heimat hat uns der liebe Gott auf Erden die Kirche gemacht, und damit wir überall eine Heimat finden können, die Kirchen und Kapellen in der ganzen Welt zerstreut. Glücklich der Mensch, heiße er nun Katholik oder Protestant, der im Hause Gottes seine Heimat gefunden hat! Ihn decket der Herr in Seiner Hütte zur bösen Zeit, Er verbirgt ihn heimlich in Seinem Gezelt.
Allerdings gilt den meisten Handwerksburschen von heutzutage nicht die Kirche, sondern das Wirtshaus und die Kneipe als ihr Heimatort, aber so war es bei Seppli und Toni nicht. Ehe sie sich nach dem Wirtshaus umsahen, betraten sie die Schlosskirche, tauchten ihren Finger ins Weihwasser, bekreuzigten sich ehrfurchtsvoll und knieten andächtig nieder, während der Priester am Altar das Tedeum9 sang, und Seppli wischte sich verstohlenerweise eine Träne ab, denn er dachte an die Mutter, neben welcher er so oft des Abends knieend in der Dorfkirche der Heimat seine Abendandacht verrichtet hatte. Toni konnte sich freilich an das nicht mehr erinnern, denn er hatte sein Mütterlein kaum gekannt, und auch als der Vater von seinen dreizehn Kindern hinwegstarb, war er erst ein kleines Büblein gewesen. Aber als ein guter Katholik schickte er in der stillen Abendstunde einen Seufzer für die Seelen seiner frühverstorbenen Eltern zum Himmel empor, und war es ihm nicht, als winke jener Engel hoch oben an der Kirchendecke ihm freundlich zu: „Deine Mutter denkt in dieser Stunde an dich vor Gottes Thron!“
Nach der Vesper klopften die beiden treuen Söhne der Kirche schüchtern am katholischen Pfarrhaus an, das unweit vom Schloss steht. Sie hofften auf ein Vesperbrot, vielleicht auch auf ein Nachtquartier. Zwar trugen sie wohl einen Zehrpfennig in der Tasche, aber den wollten sie lieber sparen, denn die Reise nach Frankreich war ja noch lange genug. Auf ihr Klopfen erschien des Pfarrers Köchin unter der Tür.
„Was wollet ´r?“ fragte sie die beiden Handwerksburschen in nicht eben erbaulichem Ton.
„O, nix ebbes b´sonders“, – antwortete Toni schüchtern. „Mer sind halt auf der Reis und habe bitte wolle um ebbes fier z´Nacht.“
„Mir habed hier koi Herberg fier d´Landstreicher“, sagte die Köchin erzürnt und schlug den Beiden die Türe vor der Nase zu.
Sie gingen. „Das ist e besi Kechene fier e Pfarrherr“, meinte Seppli, „deheime unserem Herr Pfarrer seini gibt dene Reisende immer was. Hätte mir nur d´r Herr Pfarrer selber troffe, der hätt´ uns g´wiss was gebe.“
Als sie um die Ecke des Schlosses bogen, begegnete ihnen ein freundlicher Herr mit einem schwarzen Sammetkäpplein auf dem Kopf. In der Meinung, dass dies der Herr Pfarrer sein, grüßten sie ihn und brachten ihm ihr Anliegen vor: „Zwei arme reisende Handwerksburschen bitten höflich um e kleine Gab.“
Ihr kommt gerade recht“, sagte der Herr, „es wird gleich zum Nachtessen läuten; geht dort an die Türe und saget, der Inspektor habe euch geschickt.“
Die Beiden meldeten sich. – Man wies ihnen Plätze an in einem großen Saal im Erdgeschoss, wo eben zwei lange Tische gedeckt wurden.
Jetzt ertönte eine Glocke. Auf dieses Zeichen hin ward es lebendig in dem großen, stillen Haus. Eine große Kinderschar ergoss sich die breiten, steinernen Treppen herunter in den Saal. Sie nahmen den einen der langen Tische in Beschlag. Ihnen folgten bedächtigen Schrittes eine Anzahl ernster Jünglinge, die zusammen mit dem Dienstpersonal den zweiten großen Tisch besetzten; dort ward auch den Handwerksburschen ihr Platz angewiesen. An einem kleineren Tisch nahm der Inspektor mit seiner Familie Platz. Er flehte den Segen des Herrn auf die Gaben herab; dann begann auf den zinnernen Tellern ein allgemeines Löffelkonzert.
Nach Beendigung desselben stimmten die Kinder ein Abendlied an und suchten unter Anführung ihrer Aufseher ihre Schlafsäle im obersten Stockwerk des Schlosses auf. Die beiden Handwerksburschen wollten sich eben verabschieden, aber der Inspektor sagte: „Ihr könnt hier übernachten, wenn ihr wollt. Wir sind zwar keine reichen Leute, obwohl wir in einem Schloss wohnen. In unserer Anstalt werden arme Kinder erzogen und Armenschullehrer ausgebildet; aber von dem, was der Vater im Himmel uns Armen beschert, teilen wir gerne noch andern Armen mit.“
Toni und Seppli waren nicht wenig erstaunt über diese unerwartete Gutherzigkeit, und während sie bis zum Schlafengehen im Schlossgarten auf einer Bank saßen, stellten sie Betrachtungen