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manch einen ist die Zeit stehen geblieben und irgendwie meine ich, haben sie die neue Zeit seit der Wende gar nicht begriffen oder sogar schlimmstenfalls nicht verdient.

       Nur mal lesen

      Ein Samstagsommertag in Düren, kurz nach 9 Uhr. Die Sonne ist gleißend hell, die Luft schwül und unwetterschwanger. Der Wochenmarkt ist wie fast immer, kurz vor dem Wochenende eine willkommene Abwechslung, um ins Städtchen zu gehen, das ansonsten, die Dürener mögen es mir verzeihen, für mich wenig Anziehungskraft hat und mir kaum ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Aber dies sei nur mal so angemerkt.

      Ohne große Aufregung komme ich über den Kreisverkehr, kein Autofahrer übersieht mich heute und auch der Radfahrer steigt vom Fahrrad, um auf eigenen Füßen regelgerecht auf dem Zebrastreifen auf die andere Straßenseite zu gelangen. Ich singe leise, meinen nicht sehr harmonischen Gesang, vor mich hin. Am Adenauer Park beobachte ich freche Spatzen, die sich um Brotkrumen und Sonnenblumenkerne zanken. Sonnenstrahlen liebkosen den großen Staatsmann aus rostigem Metall, der ziemlich nachdenklich oder ungehalten auf die großen dominierenden Abfallbehälter für die verschiedenen Glassorten in der Nähe seines Zuhauses schaut. Der grüne Park mit Rasenflächen und knorrigen alten Bäumen ist neben dem Friedhof gegenüber, der einzige Farbtupfer im Einheitshäusermeer. Doch wer geht eigentlich über den Gottesacker, wenn er nicht muss oder ohne eigenes Zutun eines Tages, hoffentlich nicht so bald, dort hingetragen wird? Ich nicht! Früher als Kind allerdings habe ich gerne die aus Stein geschlagenen, traurig blickenden Engel geschaut und die Inschriften buchstabiert, mir an den Fingern abgezählt, wie alt die Verblichenen eigentlich waren als sie zu Grabe getragen wurden. Doch mit dem Erkennen der Endlichkeit meines Lebens, vermeide ich es lieber, solche Orte zu betreten.

      Heute habe ich außer dem Kauf bunter Vitamine an übervollen Marktständen noch etwas anderes vor. Ich möchte verschenken, ja Sie haben richtig gelesen, ich verschenke. In meine große Umhängetasche habe ich mein Buch gepackt. Darauf wartet eine Frau, die Schwester meines ehemaligen Friseurs, die in seinem Salon die Aufnahmeformalitäten hinter der kleinen Theke managt. So habe ich sie damals kennengelernt. Jetzt als Nichtmehrkunde begrüßt sie mich noch immer freundlich. Wir sprechen das eine oder andere Wort zusammen, wenn sie vor der Ladentür steht und ihr Zigarettchen raucht. Unverblümt am Anfang der Woche kam sie auf das Thema Buch. „Frau Pansch, sie haben doch ein Buch geschrieben. Wo kann ich das bekommen? Es interessiert mich sehr“, sprudelte es aus ihr heraus. Ich antwortete gerne und beschrieb ihr ausführlich die unterschiedlichen Erwerbswege über Buchhandlungen oder über das Internet. Irgendwie bemerkten meine feinen Antennen, ich erreichte sie nicht. Dann ihre Antwort: „Ich kenne mich mit Computern und so nicht aus, können sie mir nicht eines von ihren geben? Frau Pansch, ich will es ja nur lesen, einfach nur mal lesen“.

      Ja was macht man auch sonst mit einem Buch? Es heißt nicht umsonst Lesen und normaler Weise kauft man sich dann eines, wenn man es lesen will.

      Bücher sind für mich was Besonderes, die ich mir kaufe und die nach dem Auslesen noch immer geliebt und auch später noch, ab und an durchgeblättert und regelmäßig abgestaubt werden. Ebenso die andere Art von Büchern, die dank Internet auf mich warten, um auf PC, Kindle und Co, ohne Eselsohren und Sonnenmilchflecken überall gelesen werden können, sind für mich was Besonderes.

      Ich weiß es, wie viel Arbeit in einem Buch steckt, nicht nur das Beschreiben der einzelnen Seiten. Seitdem ich selbst Bücher schreibe, spüre ich das ganz besonders und tief in mir drin. Von der Idee, bis ich dann endlich das Manuskript in den Händen halte, ist es ein langer Weg. Meine Autobiografie hat mich ein ganzes langes Jahr beschäftigt. Sie hat viel von mir gewollt, eigentlich alles. Zeit, die ich ihr gerne gab, schlaflose Nächte und Träume, die mich alles nochmal durchleben ließen. Schmerzliches und Dinge zum Schmunzeln packte mir mein Gedächtnis nicht nur auf ein silbernes Tablett. Begebenheiten, die ganz hinten in einer Schublade meines Gehirns darauf warteten, entstaubt und aufgearbeitet zu werden.

      Ich gehe ins Ladengeschäft, begrüße alle freundlich und reiche der Schwester meines ehemaligen Friseurs mein Buch „Vom Ossi zum Wessi“. Sie sagt: „Danke, ich wusste, dass sie an mich denken…“

      Ja, ich habe an sie gedacht und mir ist später diese Kurzgeschichte eben mal „zugeflogen“, denn Schreiben ist doch keine Arbeit. Arbeit strengt an, schafft Werte und erhält eine entsprechende Entlohnung. Ich habe einige Zeit gesessen, überlegt, formuliert und meinen Laptop strapaziert. Als Ergebnis steht jetzt diese kleine Episode. Fertig!

      Aber jetzt muss ich erstmal etwas essen und trinken und das bekomme ich nicht geschenkt.

       Führerschein

      Als kleines Mädchen habe ich mich immer gewundert, dass mein Vater ein höchst distanziertes Verhältnis zum Auto hatte. Als Beifahrer saß er gewichtig den Weg weisend und rauchend neben dem Fahrer, der ihn im Trabant, gern auch im schneidigen Wartburg oder sogar im sowjetischen Wolga, der Edelkarosse der führenden Klasse, über die schlaglöchrigen DDR-Straßen kutschierte. Wenn ich ihn wissbegierig darauf ansprach, warum er keine Fahrerlaubnis besitze - so hieß dieses Dokument in der DDR - bog er gleich zu einer anderen Themenstraße ab.

      Übrigens, das Wort Führerschein durfte uns DDR-Bürgern, aus einem wenig einleuchtenden Grund, nicht über die Lippen kommen. Es erinnerte so sehr an die Zeit, als sich ein sogenannter „Führer“ die ganze Welt unter den Nagel reißen wollte. "Fahrerlaubnis" also, eine neue, sozialistische Wortschöpfung, wie so viele andere auch, die den friedliebenden Charakter unserer jungen Republik zeigen sollten.

      Der geneigte Leser merkt spätestens an dieser Stelle, dass ich die Tochter meines Vaters bin, ich komme nämlich auch ganz geschickt auf ein Nebenthema. Also zurück zum Ausgangspunkt.

      Mein Vater setzte sich in seinen Lieblingslehnsessel mit dem grünbraunen Gobelinmuster und bedeutete mir, mich zu ihm zu setzen. Was ich gehorsam auch tat, obwohl es mir nicht gerade Wohlbehagen einflößte, denn auf diesem Sessel landete mein Blick auf den auf dem Rauchtisch thronenden großen Ton-Uhu, der als Rauchverzehrer diente. Vor dem hatte ich Angst, er starrte mich mit seinen blinkenden grünen Augen giftig, wenn nicht sogar angriffslustig, an. Wie sollte ich mich da konzentrieren können? Doch meine Neugier war stärker als die Angst vor dem doofen Vogel. Ich wollte doch alles erfahren. Vater zündete sich seine Casino-Zigarette an und sog den Rauch genussvoll ein, streifte die Asche in den braunen Tonaschenbecher, der ein weiteres Accessoire auf dem gehäkelten Deckchen des Rauchtisches war. Dann deutete er auf einige Fotos, die vor ihm lagen und begann zu erzählen. Dabei schielte ich neugierig auf die älteren, schon etwas verblichenen Fotos.

      Es wurde eine längere Geschichte, einige Zigaretten lang:

      Als mein Vater ein 14jähriger Bub war, musste er zur Hitlerjugend. Das war damals so, erklärte er mir. Ihm hatte es sogar Freude gemacht, denn er durfte auf dem Chemnitzer Flughafen bei den Segelfliegern mitmachen. Da wurde für ihn ein Traum wahr, denn er hatte schon immer gerne Modellflugzeuge gebastelt. In einem der leichten schwingenden Vögel hoch oben über der Welt zu segeln, das war damals sein Wunsch. Doch ohne Fleiß kein Preis, zuerst stand Bücherwälzen auf dem Plan. Er lernte, wie so ein Flieger die Schwerkraft überwindet und andere physikalische Gesetze. Aber nicht nur sein Kopf war gefragt, auch seine Kraft. Die Jungen zogen die Segler an Seilen, bis die Leichtgewichte sich den Aufwind schnappten und hinein in den Himmel starteten. Ihre Gemeinschaft machte sie stolz, besonders ihre ledernen Fliegerkappen.

      Nachdenklich blickte mein Vater auf das Foto, das ihn als einen dünnen Jungen zeigte, der lachend an einem Flugzeug lehnte. Das war kurz vor seiner praktischen Segelflugausbildung. Doch aus Spaß wurde bitterer Ernst; der 2. Weltkrieg. Mein Vater war glücklicherweise noch zu jung, um im Eilverfahren ausgebildet zu werden, um dann in einem Motorflieger für Volk und Vaterland in den Krieg zu müssen. Wie war ich doch erleichtert, als ich das von ihm hörte, da konnte der Uhu noch so angriffslustig schauen.

      Ich erfuhr auch, dass dieser Flughafen, der war, wo wir an der Chemnitzer Stollberger Straße unseren Schrebergarten hatten und wo ich aus luftiger Höhe oben im Apfelbaum, das Ikarus-Gebäude, den Kontrollturm und die Flugzeuge beobachten konnte. Mein Vater hatte mir neben dem Erdbeerbeet einen kleinen Holzflieger mit einem drehbaren Propeller gebaut, jetzt wusste ich auch

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