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rümpfte die Nase. »Der Geruch ist mir aufgefallen. Erst dachte ich mir nicht viel dabei, aber heute Morgen stank es dann so penetrant, dass ich nachgesehen habe.« Der Postbote wurde aschfahl. »Das werde ich wohl mein Lebtag nicht vergessen.«

      Malin nickte verständnisvoll. »Ist Ihnen in den letzten Wochen irgendetwas aufgefallen? Hat sich jemand auf dem Grundstück aufgehalten oder hat Dr. Wenninger ungewöhnlichen Besuch bekommen? Haben Sie etwas beobachtet?«

      Stefan Biedermann wich ihrem Blick aus und schüttelte den Kopf.

      Malin unterdrückte ein Seufzen. »Können Sie mir sonst noch etwas über Dr. Wenninger erzählen?«

      Der junge Mann nahm einen weiteren Schluck Wasser. Er hatte einen konzentrierten Gesichtsausdruck und es schien, als müsse er seine Antwort gründlich abwägen. »Er war früher mal so ein Nervenarzt.«

      Malin zückte ihr Notizbuch. »Sie meinen Psychiater oder Neurologe?«

      »Genau. Er hat mir mal davon erzählt.« Stefan Biedermann grinste schief.

      Etwas daran löste bei Malin Unbehagen aus. »Was hat er Ihnen erzählt?«

      Der Postbote ruderte augenblicklich zurück. »Nicht viel. Nur dass er mal eine Praxis in Volksdorf hatte. Aber das ist schon ewig her.«

      »Wir würden gerne mit den Angehörigen von Dr. Wenninger sprechen. Frau Schröder erwähnte eine Schwester. Wissen Sie vielleicht den Namen?«

      Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Sie heißt Ilse. Ilse Wenninger.« Stefan Biedermann errötete leicht. »Ich habe ihren Namen mal auf einem Brief gesehen.«

      »Woher wissen Sie, dass es sich dabei um die Schwester handelt?«

      Er griff nach dem Wasserglas und trank einige Schlucke, bevor er antwortete. »Mein Fehler. Als Sie mich eben nach Dr. Wenningers Schwester fragten, bin ich automatisch davon ausgegangen, dass es diese Ilse ist. Dabei könnte sie natürlich genauso gut eine Nichte, Tante oder sonstige Verwandte sein.«

      »Können Sie sich zufällig an die Absenderadresse erinnern?«

      »Es war eine 224er Postleitzahl. Demnach müsste Frau Wenninger irgendwo in Hummelsbüttel, Langenhorn oder Niendorf wohnen. Mehr weiß ich nicht.«

      Malin sah ihn erstaunt an. »Alle Achtung, dass Sie sich sogar einen Teil der Postleitzahl gemerkt haben.«

      Das Gesicht des Postboten verschloss sich, doch zumindest erwiderte er diesmal ihren Blick. Ein eigentümlicher Ausdruck lag in seinen Augen. »Dr. Wenninger bekam selten Post.« Er schob abrupt das Glas beiseite und erhob sich. »Kann ich jetzt gehen? Ich muss noch die restlichen Briefe verteilen.«

      Malin reichte ihm ihre Visitenkarte. »Danke, Herr Biedermann. Möglicherweise kommen wir noch mal auf Sie zu.«

      Der Postbote ließ die Karte ungelesen in die Hosentasche gleiten, nuschelte einen kurzen Abschiedsgruß und verließ die Küche. Aus der oberen Etage ertönte Kindergeschrei.

      Malin sah nachdenklich zu der Tür, durch die Stefan Biedermann verschwunden war. Der Mann war mehrfach ihrem Blick ausgewichen. Zufall? Oder hatte er etwas zu verbergen?

      4

      »Wo, verdammt, warst du!?« Wolfgang Herzog rieb sich die graumelierten Schläfen.

      Verena schwieg, stand vor ihm und strafte ihn mit hochmütigem Blick. Sie war eine schöne Frau. Hochgewachsen und schlank, mit brünett getöntem Haar, das ihr schimmernd um die Schultern floss. Ihr Gesicht war oval, mit hohen, ausgeprägten Wangenknochen und klaren blauen Augen. Das flaschengrüne, enganliegende Seidenkleid umschmeichelte ihre perfekt geformte Figur. Niemand würde jemals ihr wahres Alter erraten.

      »Jetzt sag doch endlich was.« Mit allem kam er zurecht. Mit ihren Vorwürfen. Ihrer Wut. Doch ihr Schweigen zermürbte ihn. »Verena.« Er streckte die Hand nach ihr aus und bemerkte, wie sich ihre rot lackierten Fingernägel in die Lehne des vor ihr stehenden Stuhls krallten.

      Er verstand sie kaum, als sie endlich sprach. So leise war ihre Stimme. »Du widerst mich an.« Sie drehte sich um und verließ das Zimmer.

      Schwer atmend setzte sich Wolfgang auf den Stuhl hinter seinen Schreibtisch. Er war todmüde und sein Kopf schmerzte. Die halbe Nacht hatte er wach gelegen und auf Verena gewartet. Immer wieder hatte er auf die Leuchtziffern seines Weckers gestarrt. Hatte gebetet, dass sie endlich nach Hause kam. Doch erst in den frühen Morgenstunden war eine Autotür vor dem Mehrfamilienaltbau am Hofweg zugeschlagen worden. Minuten später hatte sie endlich die Wohnung betreten. Erst da hatte er für wenige Stunden in den Schlaf gefunden.

      Er wusste, er würde Verena verlieren. Und es gab nichts, was er dagegen tun konnte.

      Der Leichenwagen der Rechtsmedizin rollte langsam an Malin vorbei, als sie über den knirschenden Kies ging. Die Sonne hatte die Wolken verdrängt und warf lange, dunkle Schatten über die Thujenhecke.

      Malin hatte in den letzten anderthalb Stunden weitere Anwohner des Schleusenredders befragt, jedoch nichts Neues in Erfahrung bringen können. Die wenigsten der Leute, die sie zu Hause antraf, hatten Kurt Wenninger gekannt. Eine Frau berichtete, sie hätte den Doktor einmal auf einen Kaffee eingeladen, doch er hätte abgelehnt. Ebenso war es einem Nachbarn ergangen, der Hilfe bei der Gartenarbeit angeboten hatte. Es schien, als hätte Kurt Wenninger den Kontakt zu anderen Anwohnern absichtlich gemieden. Ob das auch für seine direkten Nachbarn, das Ehepaar Tiefenbrunner, galt, konnte Malin nicht feststellen. Dort hatte ihr niemand geöffnet, und die Rolläden waren heruntergelassen.

      Tiedemann stand mit Kriminalhauptkommissar Fricke vor Wenningers Hauseingang. Beim Anblick ihres Vorgesetzten musste Malin unwillkürlich lächeln. Sein Bauch hatte in den letzten Wochen wieder an Umfang zugelegt und zeichnete sich deutlich unter seinem Schutzanzug ab. Ein gutes Zeichen, dachte Malin. Nach der Trennung von seiner Frau vor einigen Monaten hatte Fricke rapide an Gewicht verloren. Jetzt befand er sich zumindest äußerlich wieder im Normalzustand. Gerade lüpfte er die Kapuze seines Overalls und zerzaustes, aschblondes Haar kam zum Vorschein. Malin hätte darauf gewettet, dass er unter dem Schutzanzug eine seiner obligatorischen Cordhosen und ein kariertes Hemd trug.

      »Moin«, sagte Fricke. Sein Gesicht war von tiefen Furchen durchzogen und die hellen Augen waren leicht unterlaufen. »Tut mir leid, dass ich dich eher zurückholen musste, Brodersen. Du kannst die restlichen Überstunden bei nächster Gelegenheit abbummeln.«

      »Schon gut«, wehrte Malin ab. »Es waren ohnehin nur noch zwei Tage. Hat sich hier in der Zwischenzeit etwas Interessantes getan?«

      Tiedemann schüttelte den Kopf. »Aber die Spusi ist auch noch nicht ganz fertig.«

      »Zunächst sollten wir sehen, dass wir das Opfer identifizieren«, brummte Fricke. Er wandte sich an Malin. »Haben die Befragungen der Nachbarn etwas ergeben?«

      »Von denen, die ich angetroffen habe, hat niemand etwas Ungewöhnliches bemerkt. Bei den Nachbarn zwei Häuser weiter habe ich erfahren, dass es eine Schwester geben soll.« Sie berichtete von ihrem Gespräch mit dem Postboten. »Ein merkwürdiger Zeitgenosse. Der konnte mir kaum in die Augen sehen.«

      »Vielleicht stand er noch ein wenig unter Schock. Die Leiche ist nicht gerade der schönste Anblick.« Fricke wies mit dem Kopf zum Nachbarhaus hinter der Hecke. »Was ist mit den Leuten nebenan? Da müsste doch jemand die Schüsse gehört haben.«

      »Die Rollläden sind alle heruntergelassen. Vermutlich sind die Bewohner im Urlaub.«

      »Dann versuche herauszufinden, wann sie wiederkommen oder wie wir sie kontaktieren können.«

      Malin nickte und sah zum angrenzenden Wald. »Vielleicht war es ein Einbrecher, der dachte, es gäbe bei Dr. Wenninger etwas zu holen.«

      »Wenn man sich den Zustand des Hauses so anschaut, glaube ich das eher weniger.« Fricke musterte die fleckige Fassade.

      »Drinnen ist auch alles stark abgewohnt.« Tiedemann streifte die Latexhandschuhe ab. »Das Einzige, was hier noch einigermaßen in Schuss ist, ist der Garten.«

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