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Trotzdem – der Jäger hatte seinen Hund nicht im Griff gehabt. Röder hatte es kaum ertragen können, seinen blutenden Hund im Arm zu halten. Damals war extra ein Tierarzt von Norderney herübergekommen und hatte Amir genäht. »Wo steckt Cicero?«

      »Draußen in der Hütte. Wie es sich für einen Hund gehört.«

      Amir würde sich bedanken, wenn er seinen Tag nicht im Kreise der Familie auf dem Sofa verbringen durfte. Röder tat Cicero leid. Aber der war nichts anderes gewohnt.

      »Unsere Kriminaltechniker haben Patronenhülsen gefunden, die wir nicht zuordnen können. Wer schießt mit so was?« Er zog den Zettel mit der genauen Bezeichnung aus der Tasche und reichte ihn Weber.

      ».22kurz. Das sind Randfeuerpatronen, die zum Sportschießen eingesetzt werden. Sie sind nur für kurzläufige Waffen geeignet.« Jörg schüttelte den Kopf. »Zur Jagd benutzen wir andere Munition. Und Gewehre.« Er zeigte auf den verschlossenen Schrank in der Ecke des Zimmers. »Du hast sie gestern bereits gesehen. Als Munition benutzen wir meistens Schrot bei der Kaninchenjagd und Vollmantelgeschosse, wenn wir auf Rehwild gehen. Natürlich in Öko.« Er grinste. »Ohne Blei drin. Damit der Braten gesund ist, den wir auf den Tisch bringen. Aber wie gesagt, ich kann meine Hand nicht ins Feuer legen für meine Kollegen.«

      »Alles klar. Wenn du neue Informationen hast, lass sie uns bitte zukommen. Und sollten dir ein paar Namen zum Thema Wilderei auf Baltrum einfallen – du weißt, wo du mich findest.« Er unterhielt sich noch einen Moment mit dem Jagdpächter, dann verabschiedete er sich.

      Als Röder an der geschlossenen Wohnzimmertür vorbeikam, hörte er das Summen eines Staubsaugers. Er grüßte kurz zum Keiler hinauf und ging zurück zur Wache, sein Fahrrad holen. Reinhart Petri und die anderen Jäger waren als Nächstes dran.

      Doch er wollte erst einmal hören, was seine Kollegen Neues in Erfahrung gebracht hatten.

      Eilert sah zu ihm hoch, als er die Tür zur Wache öffnete. Neben ihm saß Arndt und tippte mit einer Schnelligkeit, die Röder ihm gar nicht zugetraut hätte, auf der Tastatur des PCs herum. Von Gero war nichts zu sehen. Konnte er gut mit leben. »Na, wie schaut’s aus?«

      »Seeberg hat sich nicht blicken lassen«, sagte Eilert Thedinga. »Um den werde ich mich gleich mal intensiv kümmern. Was sagtest du – er arbeitet bei der Reederei?«

      Röder nickte.

      »Vielleicht kommt er in der Mittagspause zu uns. Ich rufe mal eben dort an.« Er wählte und bat darum, Seeberg sprechen zu können, doch zu seiner Überraschung wurde ihm gesagt, dass der heute nicht zur Arbeit erschienen war.

      »Nicht mal abgemeldet hat er sich«, sagte die Mitarbeiterin und versprach, sofort Bescheid zu geben, wenn Enno Seeberg auftauchte.

      »Eilert, du solltest ihn besuchen. Wir werden nicht warten, bis er von alleine wieder auftaucht. Seine Aussage gestern Nacht war mir einfach zu dürftig. Wenn du Hilfe brauchst, melde dich«, sagte Arndt Kleemann bestimmt, wandte sich dann an Röder. »Es scheint heute nicht unser Tag zu sein. Auch Melissa Harms habe ich nicht angetroffen. Bist du wenigstens erfolgreich gewesen?«

      Röder erzählte seinem Kollegen von dem Gespräch mit dem Jagdpächter. »Du siehst, er war zwar da, aber so ganz viel Neues habe ich nicht erfahren. Bis auf die Information über die Munition gab es nichts. Ach ja, und dass man sich, wenn man sein Haus betreten möchte, die Schuhe ausziehen muss.«

      »Immerhin etwas.« Arndt Kleemann lachte. »Was meinst du, hat deine Frau wohl …«

      »Ich bin sicher.« Kurz darauf kam Röder mit einer Thermoskanne voll Kaffee und zwei Stück Apfelkuchen zurück. »Sandra ist zwar nicht da, aber sie hat vorgesorgt. Es steht sogar noch Reserve in der Küche.«

      »Schön von Sandra. Wir haben zwei klasse Frauen, oder?« Arndt schaute ihn aufmerksam an. »Wenn wir uns gestärkt haben, versuchen wir noch einmal, Melissa Harms zu erreichen. Was anderes fällt mir im Moment nicht ein. Ich habe das Gefühl, wir stecken irgendwo fest. Ich sehe kein Licht am Ende des Tunnels.«

      Röder war fast der Bissen im Halse stecken geblieben. Ob sein Freund und Kollege etwas ahnte? Was sollte das mit den ›klasse Frauen‹? Hatte er sich zu auffällig benommen? Mühsam nickte er, dann wandte er sich wieder intensiv Sandras selbstgebackenem Apfelkuchen zu. Doch er hatte keinen Appetit mehr.

      *

      Hajo Akkermann starrte traurig aus dem Fenster. Edith war tot. Die Frau, die ihn vor unendlich vielen Jahren auf der Insel willkommen geheißen hatte. Ihn mit offenen Armen empfangen hatte, als er seiner Heimatinsel Borkum den Rücken gekehrt hatte und nach Baltrum gezogen war. Er liebte das Leben auf einer Insel, nur war Borkum ihm damals schon zu groß geworden, zu voll und zu städtisch. Er hatte sich in Edith verliebt. Darum war er geblieben.

      Er nahm ein Bild von der Anrichte. Ein Foto, das sie am Strand zeigte. Damals hatte es einen Strandfotografen gegeben. Der machte tagsüber Fotos und am nächsten Tag konnte man die Abzüge schon bei Stadtlander abholen. Längst Vergangenheit. Ediths Tochter, Romy, war damals ganz klein gewesen. Ein süßes Mädchen. Eine unbeschwerte Zeit.

      Im Laufe der Jahre hatte Edith sich verändert. Das war wohl auch der Grund, warum sie sich getrennt hatten. Sie hatte immer ihren Kopf durchsetzen wollen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Wer ihr nicht passte, wurde abgewatscht. Das hatte er nicht mehr ausgehalten. Trotzdem hatte er immer ihren Lebensweg verfolgt. Genau zugehört, wenn sich auf der Insel mal wieder jemand über sie aufregte. Neulich erst hatte sie sich mit Melissa Harms gestritten, wie man erzählte. Auch mit dem Seeberg hatte sie wohl Krach gehabt, wenn man dem Inselklatsch glauben durfte. Selbst ihm war sie nur noch mit Misstrauen begegnet, nachdem sie ihn einmal unverhofft besucht und das tote Kaninchen in der Küche gesehen hatte. Sie hatte sogar angedeutet, dass sie ihn anzeigen würde.

      Edith hat sich und ihren Mitmenschen das Leben nicht leicht gemacht, dachte er traurig. Im Laufe der Jahre ist sie immer schwieriger geworden.

      Aber dass ihr Leben so endete, das bedauerte er aus tiefster Seele.

      Er war gespannt, wann die Polizei bei ihm auftauchen würde.

      *

      Der Lesesaal oben im Rathaus war gerammelt voll. Einige Besucher mussten sogar nach Hause geschickt werden. Das hatte Tino Middelborg in seiner zugegebenermaßen kurzen Karriere als Bürgermeister von Baltrum noch nicht erlebt. Die Ratssitzungen hatten sich bisher nicht als Publikumsmagnet erwiesen.

      Hinten rechts saßen die beiden Opitz, links, durch einige weitere Insulaner getrennt, Anke Hasekamp und Mark Tiesler. Die beiden schauten immer wieder herüber zu Ingeborg Opitz, die sich mit einem großen, braunen Umschlag Luft zufächelte. Einige Jäger, unter ihnen der Jagdpächter Jörg Weber, waren ebenfalls erschienen.

      Die Luft stand warm und feucht über den Köpfen der Leute, vereinzelte Tropfen hinterließen Spuren auf den großen Fenstern. Werner Gronewald war bereits da und auch die Ratsherren waren erstaunlich pünktlich.

      Der Ratsvorsitzende Oliver Abels klopfte energisch auf den Tisch, doch es dauerte eine Weile, bis es ruhig wurde. Er eröffnete die Sitzung und begrüßte den Gast aus Norden. Zaghafter Beifall und einige Buh-Rufe aus dem Publikum waren die Folge. »Bitte, meine Herrschaften«, wandte Abels sich an die Zuhörer. »Ich kann nach der Sitzung mit einer lebhaften Diskussionskultur leben. Aber jetzt bitte ich um Ruhe.«

      Es wirkte. Alle schwiegen. Nur Ingeborg Opitz war aufgestanden und hatte einen Umschlag vor Middelborg auf den Tisch gelegt. »Ich muss Ihnen das hier unbedingt geben. Das ist wichtig für die Sitzung. Sie müssen es lesen. Sie – die Ratsherren und auch Herr Gronewald.«

      Tino Middelborg ahnte, was sich darin befand: die paar Unterschriften, die von den Leuten tagsüber gesammelt worden waren. Sie hatten sich vor der Rathaustür aufgebaut gehabt. Er hatte sie freundlich, aber bestimmt verwiesen. Danach hatten sie sich auf dem Dorfplatz lautstark bemerkbar gemacht. Er war gespannt, wie viele Unterschriften zusammengekommen waren, würde aber einen Teufel tun, den Umschlag in diesem Moment zu öffnen.

      Stattdessen ergriff er das Wort. »Frau Opitz, ich darf Sie darauf hinweisen, dass Sie nicht jetzt, sondern

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