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      »Ich sage nur: Ein Wellness- und Sporthotel muss das werden. Das Schwimmbad: wettkampftauglich«, hatte sein Vater geschwärmt. »Mit allem, was ein Hochleistungssportler heutzutage braucht. Und dann an die richtigen Stellen ran und Werbung machen. Das bringt’s!« Das Motto dieses Mannes war nun einmal: Wenn schon, dann richtig. Dafür ging der durchaus schon mal über Leichen. Frank grinste. Na ja, der Ausdruck war wohl ein bisschen übertrieben. Aber dass er einen äußerst zielstrebigen Vater hatte, das hatte er bereits bei ihrem ersten Treffen erkannt.

      »Einen Vater gibt es nicht«, hatte seine Mutter mehr als zwanzig Jahre lang behauptet. Bis sie Frank vor gut einem halben Jahr die Wahrheit gesagt hatte. Kurz bevor sie gestorben war. Und man konnte von dem Mann halten, was man wollte: Als Frank bei Jan Wybrands auf der Matte gestanden hatte, mit dem abgebrochenen BWL-Studium, hatte der ihn sofort aufgenommen. In seine Familie und in die Firma.

      »Wir hängen das nicht an die große Glocke«, hatte sein Vater gesagt. »Verdien du dir erst mal Anerkennung bei mir und den Angestellten, dann sehen wir weiter.«

      Frank hatte zugestimmt, und so wusste auch Klara nicht, dass er der Sohn des alten Wybrands war. Sie würde noch früh genug erfahren, dass die Position als rechte Hand des Chefs vergeben war.

      Einen Pächter hatte sein Vater für das Luxusobjekt auch schon, obwohl es im Moment nur auf dem Papier und in seinem Kopf existierte. Selbst die eher abgeschiedene Lage am Rande des Ostdorfes konnte ihn nicht abschrecken.

      Frank wusste, dass sein Vater nichts unversucht lassen würde, die Pläne umzusetzen. Das war spätestens klar geworden, als er hatte verlauten lassen, dass dann eben als besonderes »Bonbonchen« für die Gäste des neuen Hotels Elektrokarren angeschafft werden müssten. »Das ist genau das, was ich von euch erwarte. Dass ihr bei dem Bürgermeister reingeht, und wenn ihr wieder rauskommt, habt ihr die Unterstützung für die E-Karren-Sache in der Tasche. Klar? Denn wenn der blockiert, wird es ewig dauern, bis der Punkt bei einer Gemeinde­ratssitzung auf die Tagesordnung kommt.«

      Klar. Natürlich. Genau diese Vorgabe seines Vaters würde er erfüllen. Er! Dann musste nur noch die Unterschrift unter den Kaufvertrag. Aber sein Vater hatte nur abgewinkt. »Da mach dir man keine Gedanken drüber«, hatte der gesagt. »Das ist ein Klacks.«

      Frank schaute auf die Uhr. Es war Zeit für den Rückweg. Außerdem war ihm warm. Viel zu warm. Über die Hellerwiesen auf der Südseite der Insel kam kein Lüftchen. Wenn überhaupt, war es ab und zu der Hauch eines drückenden Landwindes, der ihm die Schweißperlen auf die Stirn trieb. Sie liefen langsam an seiner Wange herunter und sammelten sich an seiner Hemdöffnung. Hektisch fummelte er in den Taschen seiner leichten Leinenhose, doch die waren leer. Kein Taschentuch weit und breit. Ärgerlich strich er sich mit dem Handrücken über die Stirn.

      Aufrecht hielt ihn einzig der Gedanke, dass sein Arbeitseifer bestimmt belohnt werden würde. Spätestens wenn er seinen Vater dezent darauf hinwies, dass er derjenige gewesen sei, der die Arbeit gemacht habe. Sollte er noch einen Abstecher ins – was stand da auf dem Hinweisschild? – Kluntje machen? Nein, es war einfach zu warm. Er würde in der Wohnung warten, bis seine Kollegin von ihrem Strandausflug zurück war.

      Als Frank auf das Grundstück der Steenkens einbog, hörte er eine leise Melodie. Neugierig schaute er über die niedrige Buchsbaumhecke in den Garten. Was er sah, verschlug ihm den Atem. Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie eine so schöne Frau gesehen wie die, die es sich gerade auf der Liege bequem machte. Sie trug ein weißes, mit bunten Blumen bedrucktes T-Shirt und einen langen, dunkelblauen Leinenrock. Ihre bloßen Füße steckten in roten Riemchensandalen und ein schmaler, roter Schal, der um ihre Schulter geschlungen war, wehte leicht hin und her. Er hatte das Gefühl, die Zeit bliebe stehen. Frank wagte kaum, sich zu bewegen, in der Angst, das Bild würde zerplatzen wie eine Seifenblase. Aber das Bild blieb. Auch nachdem er einige Minuten fast reglos gestanden hatte, saß das wunderschöne Mädchen noch immer auf der Liege, schaukelte leicht mit dem Oberkörper und summte ein Lied.

      Ganz langsam nahm Frank Visser den Fotoapparat hoch, schaute durch den Sucher, konnte kaum glauben, was er sah, dann drückte er ab. Die Frau musste das leise metallische Klicken gehört haben. Sie lächelte ihn an und winkte.

      Vorsichtig machte er Schritt für Schritt auf sie zu, setzte sein nettestes Lächeln auf, immer noch in der Angst, das Bild könnte sich einfach in Luft auflösen. »Hallo, ich heiße Frank, und du? Wohnst du hier?«

      Die junge Frau blickte ihn fröhlich an, gab aber keine Antwort. Irritiert wartete er auf eine Reaktion, doch sie sagte nichts.

      »Wie heißt du?«, fragte er, plötzlich nicht mehr sicher, ob er sie nicht besser hätte siezen sollen. »Entschuldigung, Frank Visser. Ich bin Gast hier im Haus. Sie auch?«, versuchte er es erneut.

      Sie schwieg. Dann stand sie langsam auf, schaute ihn noch einmal an und ging ins Haus.

      So etwas war ihm noch nie passiert. Sprachlos starrte Frank Visser auf die blaue Plastikliege, die ausgeblichen von der Sonne in Steenkens Garten stand. Keine Spur war mehr da von dem Sommerwunder, das ihn eingehüllt und bis in sein Innerstes getroffen hatte. Wer war sie? Sie konnte doch nicht einfach gehen. Ihn hier zurücklassen, ohne ein Wort zu sagen. Für einen Moment war sie ihm wie eine Verheißung erschienen, dann war sie davongeschwebt und hatte ihn im Garten stehen lassen. Wo gehörte sie hin? Er würde seine Vermieterin fragen. Spätestens morgen beim Frühstück.

      Jetzt war es Zeit zu duschen und auf Klara zu warten. Mal sehen, ob der Abend erfolgreicher werden würde.

      *

      Sorgsam spülte Arnold Steenken das Haarsieb in dem alten metallenen Waschbecken ab, trocknete es ab und legte es in die Schublade des dunkelbraunen Küchenschrankes. Er schaute sich zufrieden um. Gemütlich hatte er es in seinem Keller. Als Margot zwei Jahre zuvor ihre neue Kücheneinrichtung bekommen hatte, hatte er die alten Schränke abgebaut und in seiner »Giftküche« wieder aufgebaut. Nur die Spüle, die hatte er nicht ersetzt. Sie war eine Erinnerung an die Zeit, als seine Schwiegermutter diesen Raum für die Herstellung und Lagerung ihres Eingemachten verwendet hatte. Er hatte die Frau, die er nie ohne ihre geblümte Kittelschürze angetroffen hatte, sehr gemocht.

      Sie hatte ihm oft erzählt, dass es für die meisten Insulaner unvorstellbar gewesen war, in den Jahren des Aufbaus einen Raum im Haus nicht zu vermieten, sondern als Vorratsraum zu nutzen. Doch seine Schwieger­mutter hatte an ihrem Vorrats- und Arbeitsraum eisern festgehalten. Und jetzt war es der Ort, an dem er seine Liköre kreierte. Seine große Leidenschaft. Walnusslikör, Honiglikör, Erdbeerlikör – alle Zutaten fein abgestimmt und in Flaschen gefüllt.

      Er schnupperte. Sog dann tief das Aroma durch die Nase. Glückwunsch, Arnold, dachte er. Da hast du wieder was Gutes hingekriegt. Heute war seine neueste Schöpfung fertig geworden. Im Jahr zuvor hatte er Sanddorn geerntet, der auf der Insel reichlich wuchs. Er durfte das. Insulaner hatten eine Sondergenehmigung der Nationalparkverwaltung, auch in den Ruhezonen Beeren zu pflücken. Den Sanddorn hatte er zu Saft verarbeitet und vor einigen Wochen mit diversen Kräutern, Kandis und Korn angesetzt. Jetzt musste er nur noch einen Namen für das Getränk finden und auf dem PC einen Aufkleber entwerfen. Er drehte den Schraubverschluss auf die letzte Flasche und stellte sie mit einer liebevollen Bewegung neben die anderen in die Vitrine.

      »Arnold, das Abendessen ist fertig. Kommst du?«, hörte er Margots Stimme von oben. Glück gehabt, dachte er. Gerade fertig geworden. Nach dem Essen würde er ein Gläschen spendieren. Seine Frau war stets die Erste, die seine neuen Sorten probierte. Und wenn sie ihr Okay gab, dann gehörte es zu den festen Ritualen, dass er mit seinem Kollegen Georg Hanefeld im Büro einen Feierabendschluck nahm.

      »Ich komme«, rief er, während er immer zwei Stufen auf einmal nehmend in die Küche lief.

      Hilda saß bereits an ihrem angestammten Platz am Kopfende des massiven Tisches. Die Küche war seit jeher der wichtigste Raum für Familie Steenken. Hier traf man sich, saß mit oder ohne Gäste gemütlich zusammen, löste Probleme und feierte. Hier hatten Margot und er gesessen, als sie die Nachricht erreichte, dass ihre Tochter Hilda am Strand von einem Sandabbruch begraben worden war. Die Kinder hatten an den Randdünen gebuddelt, als sich ein Sandbrett gelöst hatte.

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