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dann ist unsere Hochzeitsreise gesichert.« Im nächsten Jahr wollten sie heiraten. Nur über das Ziel ihrer Hochzeitsreise waren sie sich noch nicht einig. Sonja zog es in die Karibik, sie selbst würde lieber nach Jordanien fahren. Petra, die geheimnisvolle Stadt, das würde sie reizen.

      »Wir werden erst einen auf Kultur machen, und uns danach am Strand unter Palmen erholen«, hörte sie ihre Freundin sagen. »Das müsste doch drin sein.«

      »Klar, mit Strand fange ich jetzt schon mal an. Allerdings ohne Palmen. Aber immerhin. Mensch, was wäre das schön, wenn du jetzt hier wärest. Und nicht Kollege Frank, diese Flachpfeife«, bedauerte Klara.

      »Leider muss ich arbeiten, liebste Freundin. Ich habe meinen Urlaub deinetwegen verschoben, vergiss das nicht. Aber es dauert ja nicht lange. In drei Tagen seid ihr wieder zurück.«

      »Wenn alles klappt. Ich hoffe es sehr. Bis heute Abend. Wünsche mir einen Gute-Nacht-Anruf.«

      Nachdem Sonja ihr noch etwa dreimal hatte versprechen müssen, abends anzurufen, beendete Klara das Gespräch, überquerte den Marktplatz und sah bald eine mächtige weiße Holzbrücke, die den Fußweg in einiger Höhe überspannte. Lachend blieb sie stehen. Da wies doch tatsächlich ein Verkehrsschild darauf hin, dass das Unterqueren der Brücke nur für Fahrzeuge mit einer Maximalhöhe von 3,7 Metern möglich sei. Ein echter Gag. Ob es auf dieser autofreien Insel tatsächlich Fahrzeuge mit so hohen Aufbauten gab?

      Rechts, in einer Senke, sah sie zwei Tennisplätze, das Gras von der Sonne verbrannt. Bis auf ein paar Tauben, die dort vergeblich nach Nahrung suchten, waren die Plätze leer. Kein Wunder, ging ihr durch den Kopf. Mir wäre es jetzt auch viel zu warm, um hinter kleinen, weißen Bällen herzujagen. Ich will nur noch zum Strand.

      Sie bog ab, den roten Klinkerpfad entlang, der die Randdünen durchschnitt. Am Strand streifte sie ihre Schuhe ab und fühlte den warmen Sand angenehm unter ihren Füßen.

      Klara breitete ihr Handtuch aus, zog sich bis auf den knappen Bikini aus und machte sich mit einem wohligen Seufzer lang. Eigentlich hatte sie sofort zum Wasser gehen wollen, aber nun waren ihr die paar Meter dorthin schon zu viel. Später, dachte Klara. Später. Erst einmal werde ich hier faul rumliegen und an gar nichts denken.

      Doch sie merkte schnell, dass das gar nicht so einfach war. Ihr Job ließ sie nicht los und ihre privaten Sorgen rückten ihr unaufhaltsam auf die Pelle. Noch kurz vor ihrer Abreise hatte Klara mit ihrer Mutter wieder eine dieser unsäglich überflüssigen Diskussionen gehabt, die unausweichlich in dem Satz gipfelten: »So werde ich nie Enkel kriegen. Das habe ich nicht verdient.« Spätestens bei diesem Satz haute Klara grundsätzlich ab. Sie konnte den Mist einfach nicht mehr ertragen.

      Ihr Vater sah ihre Liebe zu Sonja erheblich gelassener. Aber auch er konnte seine Frau nicht davon überzeugen, dass das Leben der Tochter nicht nur darin Erfüllung zu finden hatte, Enkelkinder für sie in die Welt zu setzen.

      Klara sprang auf. Selbst hier am Strand, wo die Luft flirrte vom Lachen der Menschen und der Duft nach Sonnenöl sich mit dem Geruch von Salzwasser und Tang zu einer unvergleichlichen Mischung verband, konnte sie ihre trüben Gedanken nicht verdrängen.

      Durfte sie ihr Handy wohl unbeaufsichtigt in ihrer Tasche lassen, während sie schwimmen ging? Sie beschloss, es zu riskieren. Klara wickelte ihre Tasche ins Badehandtuch und wollte schon losgehen, als ihr das Arrangement viel zu auffällig erschien. Es lädt geradezu zum Diebstahl ein, überlegte sie und legte alles wieder hin, als ob sie nur mal kurz drei Meter zur Seite spaziert wäre.

      Das Meer hatte sich schon weit zurückgezogen. Eine lange Schlange Menschen watete durch das seichte Wasser auf die vorgelagerte Sandbank. Andere versuchten zu schwimmen und wieder andere lagen auf Luftmatratzen und paddelten wild drauflos. Sie mochte sich dem Strom nicht anschließen. Klara bog rechts ab und lief an der Wasserkante entlang Richtung Osten. Die Sonne brannte unbarmherzig auf ihre blassen Schultern. Warum hatte sie ihr T-Shirt nur in der Ferienwohnung gelassen? Es hätte ihr mehr Schutz geboten als das giftgrüne Top mit den dünnen Trägern. Wenn sie heute Nacht Ruhe finden und nicht vom Sonnenbrand geplagt werden wollte, musste sie umkehren. So schwer es ihr fiel. Denn hier, direkt mit den Füßen im Wasser, ließ es sich eigentlich gut aushalten. Immerhin – der Apotheker, der ihr am Tag vor ihrer Abreise auf die Insel die After-Sun-Lotion verkauft hatte, hatte von größtmöglicher Wirkung gesprochen …

      Als sie sich umdrehte, kamen ihr zwei junge Mädchen entgegen. Klara schätzte sie auf fünfzehn oder sechzehn Jahre. In ihre Haare waren bunte Bänder geflochten. Die eine trug ein weites, mit großen roten und gelben Punkten bedrucktes Kleid. Der Saum wand sich, schwer von Sand und Feuchtigkeit, um ihre bloßen Füße. Die andere hatte sich in ein weites, bunt gemustertes Tuch gehüllt. Die Mädchen hatten ihre Arme ausgebreitet und drehten sich immer wieder im Kreis, dann hüpften sie fröhlich über die kleinen Wellen, die am Strand ausliefen. Als sie näher kam, hörte Klara, dass die beiden fröhlich sangen. Sie meinte, das Lied schon einmal irgendwo gehört zu haben. Und zwar vor gar nicht langer Zeit. Aber sie konnte sich nicht erinnern. Klara sah ihnen fasziniert hinterher.

      Also, was nun? Links oder rechts? Sollte sie sich den Urlaubern anschließen, die auf dem Weg zur Sandbank waren, oder vernünftig sein? Die große Uhr gleich bei den Randdünen zeigte ihr, dass sie bis zu ihrer Verabredung mit Frank genügend Zeit hatte. Sie konnte nicht widerstehen. Der blaue Himmel, das Wasser, das sich um ihre Füße kräuselte – einfach einladend. Fröhlich querte sie den breiten, mit warmem Wasser gefüllten Priel, dann hatte sie den steilen Anstieg zur Sandbank erreicht. Auf allen vieren kletterte sie hinauf und war bald ganz und gar von nassem Sand bedeckt. Ein guter Grund, sich auf der anderen Seite den Sand von der Nordsee wieder abwaschen zu lassen. Plötzlich war sie glücklich. Frei und unbeschwert. Nichts war mehr von den Gedanken übrig, die sie eben noch geplagt hatten.

      *

      Frank Visser war sauer. Anstatt mit ihm die Insel zu erkunden, aalte sich seine Kollegin am Strand.

      Bei seinem Einstieg in die Firma vor gut vier Monaten hatte er spontan erkannt, dass diese Frau absolut in sein Beuteschema passte. Nicht nur ihr gepflegtes Äußeres, ihre dunkelbraunen, sportlich geschnittenen Haare und der offene Blick gefielen ihm, sondern auch das kleine Grübchen im Kinn, das erschien, sobald sie lachte. Von Anfang an hatte er die Art gemocht, wie sie Dinge anpackte, mit Kunden verhandelte. All das fand er perfekt. Der einzige Knackpunkt war ihre Freundin.

      Vor einiger Zeit hatte Wybrands sie schon einmal zu zweit losgeschickt, um einen Auftrag abzuwickeln. Klara hatte Frank dann in einer späten Stunde an der Hotelbar erzählt, dass Sonja zu ihrem Leben gehörte. Sie hatte ihn gebeten, Jan Wybrands zu verschweigen, dass sie eine Lebensgefährtin hatte. Sie war sich nicht sicher, wie ihr Chef darauf reagieren würde. Frank hatte es Klara versprochen.

      Trotzdem hatte er gehofft, dass dieser Inselauftrag sie einander etwas näherbringen würde. Besonders der Umstand, dass sie gemeinsam in dieser Wohnung übernachten mussten, hatte ihn vor Beginn der Reise mit großer Zuversicht erfüllt. Als er dann allerdings gesehen hatte, wie sie beim Eintreten mit hoffnungsvollem Blick das Sofa suchte, war sein Optimismus auf ein Minimum geschrumpft.

      Frank nahm seine Kamera aus der Reisetasche und ging ins alte Ostdorf. Hier gab es noch einige wenige Insulanerhäuser mit zur Windseite heruntergezogenen Dächern und kleinen Sprossenfenstern. Nautilus las er auf einem Schild an einem der Häuser. Neugierig blickte er durchs Fenster. Die Vielfalt der dort ausgestellten Muschelschalen und Schneckenhäuser erstaunte ihn. Nie hätte er gedacht, dass es diese Tiere in derart unter­schiedlichen Größen und Farben gab. Die mächtigste Muschelschale wies wohl einen Durchmesser von über einem Meter auf. Frank hatte bisher immer nur an den Inhalt von Miesmuscheln gedacht, schön mit Tomatensauce und Baguette, dazu ein trockener Weißwein.

      Er folgte einem schmalen Weg und fand sich kurz darauf am Rand einer hügeligen Dünenlandschaft wieder. Kein Mensch war zu sehen. Nur zwei Fasane scharrten unbeirrt von seiner Anwesenheit Würmer und kleine Insekten aus dem Moos, das die Dünen bedeckte. Frank schaute ihnen eine Weile zu, dann foto­grafierte er die beiden Insulanerhäuser, die abgerissen werden sollten. Er versuchte, sich an deren Platz das neue Objekt vorzustellen, von dem es bisher nur eine Zeichnung gab. Für ein mittelgroßes Hotel wäre genug Raum, aber für

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