Скачать книгу

ihren neuen Lieblingsmaler zu beginnen, aber der Wunsch nach einer Abkühlung war stärker. Sie zog ihren Bikini an und kurze Hose und T-Shirt darüber, packte Badelatschen und Handtuch ein, schnappte sich eines der Räder und nahm Kurs auf den nächstbesten Strandaufgang.

      Im Schutz der Randdünen stand ein hellblau gestrichenes Holzhaus. Stark’s Strandladen stand über der Tür. Vor dem Blockhaus waren Menschen gut gelaunt damit beschäftigt, ihren Hunger mit großen Portionen Pommes und Bratwurst, Burgern und Pizzastücken zu stillen. Eine große Schar laut kreischender Möwen kreiste über der Idylle und wartete auf den richtigen Moment zum Her­ab­stürzen und Zupacken. Gerade als Inga den Imbiss hinter sich gelassen hatte, passierte es. Sie drehte sich um und konnte sich ein Lächeln kaum verkneifen. Kind schrie, Mutter schimpfte, Wurst war weg, Möwe auch!

      Sie lehnte ihr Fahrrad an den Zaun, der die Randdünen eingrenzte, und lief auf dem von der Sonne aufgewärmten Holzbohlensteg zum Strand. Ihre Füße tauchten in den weichen, weißen Sand, und sie fühlte sich so gut wie lange nicht mehr. Inga atmete kräftig durch und empfand plötzlich ein tiefes Gefühl von Freiheit. Fynn, ihre Juroren in Worpswede und auch die Gedanken über die Zukunft hatten sich in den hintersten Winkel ihres Gehirns verkrochen.

      Viele Strandkörbe waren besetzt und fröhliches Lachen­ schallte zu ihr herüber. Sie lief zu dem hölzernen Wachturm der DLRG, hängte ihre Tasche auf einen der Haken des Gestells daneben und legte sich ausgestreckt in den warmen, feinen Sand.

      Doch schon nach kurzer Zeit richtete sie sich wieder auf und schaute aufs Wasser. Sie spürte große Lust, sich in die Fluten zu stürzen, aber sollte sie es wirklich wagen? Schließlich war das hier die freie und wahrscheinlich ziemlich kalte Nordsee und kein schnuckelig aufgewärmtes Freibad. Eine Informationstafel am Turm gab die Wassertemperatur mit 20 Grad an. Inga fragte sich, ob das stimmte und sie sich also gar nicht so zieren musste, oder ob in die Angabe ein satter Strandwächter­bonus eingearbeitet war, damit die Aufpasser in den orangenfarbigen Shirts wenigstens ein paar Schwimmer bewachen konnten. Da hörte sie eine Stimme, die ihr bekannt vorkam.

      »Hallo, Mädel, wir hatten heute schon mal das Vergnügen, oder nicht?«

      Genau zwischen ihr und der Sonne hatte sich der blonde Typ von vorhin mit einem seiner Kollegen breitbeinig aufgestellt. Und darauf hatte Inga überhaupt keine Lust. »Ob Vergnügen, weiß ich nicht. Hatte noch keine Gelegenheit, das rauszufinden. Und ich für meine Person gehe jetzt ins Wasser.«

      »Lass uns doch erst mal ein bisschen miteinander reden«, sagte der Blonde. »Schwimmen kannst du gleich auch noch.«

      Inga lachte und stand auf. »Dann ist das Wasser womöglich verschwunden. Vergesst nicht, hier gibt es Ebbe und Flut. Wahrscheinlich ist es ganz schön kalt, aber den Kick brauch ich jetzt. Ihr nicht?«

      Sie rannte los, wich zwei Kindern aus, die auf einer grünen Luftmatratze in Richtung Strand paddelten und war plötzlich mitten in der Brandung. Eine Welle schlug über ihrem Kopf zusammen. Salzwasser lief ihr in Mund, Augen und Nase. Inga strampelte verzweifelt mit den Beinen auf der Suche nach Grund, aber vergebens. Ruhe bewahren und schwimmen, hämmerte ihr durch den Kopf. Immer wieder.

      Und es gelang. Ihr Kopf stieß durch die Wasseroberfläche, und sie erspähte verschwommen den blauen Himmel. Langsam beruhigte sich ihr Atemrhythmus. Sie hatte gar nicht auf die Welle geachtet. Ist eben doch nicht das Worpsweder Hallenbad, dachte sie amüsiert. Und salziger als die Ostsee ist dieses Wasser allemal.

      Kurz darauf hatte Inga die Wellenzone hinter sich gelassen. Sie ließ sich rücklings vom Wasser tragen und die Sonne an ihrer Nase kitzeln. Und schnell war sie sich sicher, dass dieses Gefühl von Leichtigkeit nur mit dem Wort ›Paradies‹ beschrieben werden konnte.

      Nach einer guten halben Stunde radelte sie zurück zu ihrer Wohnung. Kräftig trat sie in die Pedalen, denn nichts war ihr jetzt wichtiger, als den nassen Bikini vom Leib zu bekommen, den sie unter ihrem T-Shirt trug.

      Von den beiden, die ihr den Blick zur Sonne verstellt hatten, war nichts mehr zu sehen gewesen. Hätten ja nur ins Wasser nachzukommen brauchen, dachte sie, dann hätte das mit der Bekanntschaft schon geklappt. Und der Blonde, so beschloss sie, der war schon eine Überlegung wert.

      *

      Gerdje Claassen saß mit ihrer Enkelin am Küchentisch. Sie hatte Tee aufgegossen und wartete darauf, dass er die richtige Stärke annahm. »Na, wie wär’s? Ein Stück Stachelbeerkuchen?«

      »Gerne, Oma. Stachelbeeren aus dem eigenen Garten, wie üblich?«

      »Natürlich, giftfreie Inselaufzucht, wie sich das gehört. Und nach der Ernte sofort eingekocht.«

      »Du und dein Garten. Aber schön, dass du so viel Spaß daran hast. Ist auch wichtig zum Abschalten. Wie viele Gäste hast eigentlich im Moment?«

      »Ach, nur fünf. Aber ist vielleicht auch gut so. Bei der kleinen Zahl kommen die sich wenigstens auf dem Klo und in der Dusche nicht in die Quere.« Gerdje legte ein dickes Stück Kluntje in jede der dünnschaligen Teetassen und goss Tee darüber. Das Knacken der Zuckerstücke verbreitete Gemütlichkeit in der altmodischen Küche. »Heidi hat auch gesagt, wir sollten umbauen. In Ferien­wohnungen. Aber schließlich sind wir nicht mehr die Jüngsten. Alle anderen sind in unserem Alter schon drei Mal in Rente. Aber unsereins schuftet weiter und weiter, weil er es nicht anders gelernt hat. Vorruhestand, wenn ich das Wort schon höre …«

      »Aber Opa hat das mit dem Vorruhestand doch prima hingekriegt, oder?«

      Gerdje unternahm den mühsamen Versuch einer Erklärung, wohl wissend, dass sie bei ihrer Enkelin auf taube Ohren stieß. »Dein Opa hatte es im Kreuz, vergiss das nicht.«

      »Klar, die letzten dreißig Jahre. Mensch, Oma, wach doch mal auf.«

      Gerdje seufzte. »Womit wir wieder beim Thema wären, Lena. Bitte tu mir den Gefallen und lass Opa in Ruhe. Ich bin diejenige, die das ausbaden muss, wenn du wieder­ weg bist.« Gerdje strich auf der bunt gemusterten Plastik­decke unsichtbare Falten glatt. »Aber eines ist klar, ich muss bald wirklich mit der Arbeit aufhören. Ja, ja, ich weiß, ihr redet seit Jahren, und ich habe es mir selber aufgehalst, aber es ging immer noch ganz gut, und letztendlich hält der Umgang mit den Gästen jung und geistig rege. Und waschen, mangeln und bügeln ersetzt jedes Fitness-Center. Das glaub man.«

      Noch immer waren Oma Gerdjes Hände unablässig in Bewegung. »Nur, kannst du mir sagen, wie das dann hier weitergehen soll? Habt ihr euch darüber schon mal Gedanken gemacht? Euren Opa kriegt ihr nicht von der Insel, das ist sicher. Das Haus verkaufen? Wo sollen wir dann hier hin? Nicht verkaufen und von unserer fast nicht vorhandenen Rente leben, ist aber auch nicht unbedingt ein Gedanke, der mich aufmuntert. Opa hat nicht viel zusammenbekommen, und ich hab immer nur den Mindestsatz eingezahlt. Aber wenigstens das habe ich gemacht. Gibt genug alte Insulaner, die das nicht für nötig gehalten haben. Schließlich sind wir selbständig­. Uns kann keiner. So war die Meinung damals. Hat sich Gott sei Dank heutzutage etwas geändert, dieser Standpunkt.«

      Lena schaute ihre Oma betroffen an. »Ich muss mich echt entschuldigen, Oma. Es war mir bis jetzt überhaupt nicht klar, was du für Probleme an den Hacken hast.«

      »Und noch eins, Lena. Früher haben wir unser Haus nur im Baltrum-Prospekt angeboten. Die Leute, die ihren Urlaub hier verbringen wollten, haben sich den angesehen und dann einen Brief an uns geschrieben. Später­ kamen die telefonischen Anfragen. Damit konnten­ wir leben, das hatten wir gelernt. Aber heute geht alles nur über den Computer. Wir haben seit bestimmt zehn Jahren keine schriftliche Anfrage mehr bekommen. Die Leute wollen alles schnell wissen, sich sofort ein Bild von ihrer Wohnung machen können. Das ist der Lauf der Zeit. Auch telefonisch tut sich kaum noch etwas. Wenn du keine Homepage hast, kannst du die Vermietung vergessen.«

      Lena lächelte ihre Oma an. »Mensch, Oma, mit was für Worten du herumwirfst. Kompliment.«

      »Jetzt ist es aber gut, Lena, erstens bin ich knapp über siebzig und nicht alt, und zweitens habe ich mir das auf Heidis Computer angesehen. Bei der laufen die Vermietungen prima. Bei ihr kann man sogar einen Rundgang durch die Wohnung machen, und alles sehen, bis in die hinterste Ecke. Also, per Kamera natürlich.«

      »Virtuell

Скачать книгу