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gezogen und alles mit einer Eibenhecke eingefasst. Sicher gab es Insulaner, die meinten, dass ein parkähnlicher Garten für Baltrum untypisch sei. Sie aber hatte sich davon nicht abbringen lassen. Gerdje hatte sich mit dem Garten einen Traum erfüllt. Und am Ende des Gartens lag unterhalb der Düne der Geräteschuppen, der nun nicht mehr ihrer sein sollte.

      Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Sie merkte nicht einmal, dass zwei Gäste den Weg heraufkamen, sie neugierig und verwundert anschauten und dann auf der anderen Seite wieder verschwanden. Und dann war da noch … Nein, sie konnte es nicht zulassen. Sie würde es ihm verbieten. Schlichtweg verbieten. Immerhin hatte sie das ganze Anwesen mit in die Ehe gebracht. Er hatte sich in seinem ganzen Leben nicht um den Garten und den Flakstand gekümmert. Sie konnte die beiden Räume, die vor langer Zeit in den Fuß der Düne gegraben worden­ waren, nicht aufgeben. Sie konnte einfach nicht.

      Langsam ließen ihre Seitenstiche nach und ihr Blick suchte das Wasser. Unaufhörlich rollten die Wellen an den Strand. Wie im richtigen Leben, dachte sie. Es geht immer weiter, mal oben, mal unten, und immer muss man rudern, um das Gleichgewicht zu halten, nicht unterzugehen. Und irgendwann kommt die letzte Welle und rollt im weichen Strandsand aus.

      Langsam liefen ihr Tränen über die Wangen und tropften­ auf ihre Hose. So saß sie eine lange Zeit und dachte nicht mehr an ihren Einkauf.

      Donnerstag

      Fynn fuhr Inga mit dem Auto von Worpswede zum Bremer Hauptbahnhof. Nicht, um ihr einen Gefallen zu tun, das war ihr klar, sondern weil er dem Paula-Modersohn-Becker-Museum in der Böttcherstraße einen Besuch abstatten wollte.

      Er versuchte allerdings, ihr noch einmal ernsthaft ins Gewissen zu reden. »Du hast wohl vergessen, dass unsere Abschlussarbeiten in der nächsten Woche abgegeben werden müssen.« Süffisant grinste er sie von der Seite an. »Aber so sind meine Chancen, ausgezeichnet zu werden, natürlich noch etwas höher. Tak for det.«

      Sie hatte ihm nicht erzählt, dass ihre Lieblingsskulptur, der Leopard mit den wachen Augen, bereits auf dem Tisch der Juroren lag. Sie war glücklich über ihre letzte Arbeit, denn sie hatte genau das aus dem Holz herausarbeiten können, was ihr wichtig erschien. Das Spiel der Muskeln beim Absprung – fast meinte sie, die Bewegung spüren zu können, wenn sie über das warme Holz strich.

      Inga machte es sich im Regionalexpress gemütlich. In Norden würde der Bus der Reederei Baltrum-Linie auf sie warten und sie nach Neßmersiel bringen. Und dann noch eine Schifffahrt, dachte sie, so habe ich an einem Vormittag fast alle gängigen Verkehrsmittel durch.

      Es war ruhig im Zug. Inga lehnte sich entspannt zurück und dachte an den Mann mit dem mächtigen Schnurrbart und dem ausladenden Künstlerhut.

      Sie hatte viel unternommen in den letzten Tagen, um ihrem neu erkorenen Lieblingsmaler näher zu kommen. Sie hatte sich im Internet bei Artprice seine Bilder angesehen, die Biografie gelesen und sich in den Worpsweder Museen und Galerien umgeschaut. In der Käseglocke, einem kleinen, runden, wunderschönen Museum mit außergewöhnlicher Architektur mitten im Wald, hatte sie in einer gläsernen Vitrine Geschirr entdeckt, das von seiner Frau Erna bemalt worden war. Auch vor dem ehemaligen Wohnhaus Bertelsmanns, einem der ältesten Bauernhäuser in Worpswede, hatte sie gestanden, aber nicht den Mut gefunden, die Klingel zu drücken.

      Inga hatte auch versucht, etwas über das Baltrum im Jahre 1905 zu erfahren, dem Jahr, in dem Walter Bertelsmann die Insel besucht hatte. Allerdings waren da die Informationen eher mager gewesen. Sie hoffte, direkt auf der Insel mehr herauszufinden.

      *

      Es war November, als er sich auf den Weg nach Baltrum machte. Ein aufregender Entschluss, denn um diese Jahreszeit gab es die Annehmlichkeiten des gerade erblühenden Tourismus auf der Insel nicht, und die Verbindung dorthin war recht langwierig. Aber er wusste, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Er stieg in Bremen in den Schnellzug, der ihn in die kleine Stadt Norden brachte. Von dort nahm er die ostfriesische Küstenbahn für eine halbstündige Fahrt nach Dornum. Unterkunft fand er im Hof von Ostfriesland.

      »Wohin soll Ihr Weg gehen?«, fragte ihn der Hotelbesitzer­ Wilhelm Fokken.

      »Ich möchte nach Baltrum, obwohl das Wetter nicht gerade zum Baden einlädt.« Er zeigte auf seinen großen Reisekoffer. »Aber ich habe genügend wetterfeste Sachen dabei. Als Norddeutscher ist man mit Sturm und Kälte vertraut, nicht wahr? Außerdem stecken hier noch viele Mal-Utensilien drin. Sagen Sie, wie komme ich morgen nach Neßmersiel? Von dort fährt doch das Schiff, wenn ich mich richtig informiert habe?«

      Fokken nickte. »Ich bin nicht nur Hotelier, sondern auch Fuhrunternehmer hier im Ort. Ein Landauer und eine offene Chaise stehen bei mir im Stall. Damit könnte ich Sie morgen nach Neßmersiel bringen. Ob das Schiff fährt, kommt auf die Wetterlage an. Haben wir Sturm, besonders starken Ostwind, müssen Sie noch ein wenig länger meine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen.«

      Walter Bertelsmann versprach, am nächsten Morgen gleich nach dem Frühstück reisebereit in der kleinen Hotelhalle zu warten.

      Er nutzte die Zeit und schaute sich in dem beschaulichen­ ostfriesischen Ort das Schloss und die alte Kirche mit ihrer prächtigen Orgel an.

      Am nächsten Tag wartete er bereits ungeduldig auf seine Kutsche, als Wilhelm Fokken hereinkam. »Sie haben Glück, heute fährt der Postbus nach Neßmersiel, so ersparen Sie es sich, in der kalten Kutsche zu sitzen. Sehen Sie«, er zeigte nach draußen, »dort steht er schon. Er fährt zwei Stunden vor Ablegen des Schiffes los, denn es kann immer sein, dass das Schiff wegen schwankender Wasserverhältnisse etwas früher als im Fahrplan ausgedruckt die Leinen lösen muss. Nun kommen Sie. Ich trage Ihren Koffer.«

      Am kleinen Hafen unterhalb des Fährhauses lag das Schiff bereit zur Abfahrt. Er sah, dass außer ihm noch ein paar andere Gäste die Überfahrt antreten wollten. Auch ein wenig Fracht wurde noch geladen. Dann ging es unter Segeln durch einen gewundenen Priel Richtung Wattenmeer. Das Wetter war klar, und bald schon konnte er die Silhouette der Insel mit den kleinen Insulanerhäuschen in der Ferne liegen sehen. Kapitän Eilts, so hatte der Schiffsführer sich vorgestellt, hatte ihm erzählt, dass das Schiff bis zur Buhne M des Schutzwerkes fahren würde, von dort könne man ganz bequem in einem kurzen Fußmarsch die Insel erreichen.

      Bertelsmann hatte vor der Reise einen Brief von seinem Vermieter erhalten, der seine Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht hatte, dass jemand mitten im Winter­ Baltrum besuchen wolle. Dennoch hatte der Mann versprochen, ihn an der Buhne abzuholen, und ihm ein Zimmer in seinem kleinen Hotel zur Verfügung zu stellen. Frühstück, Mittagessen und Abendessen wird in der geheizten Küche bereitgestellt, hatte er am Schluss seines Briefes geschrieben. Und mit Hinrich Janssen Küper, Hotelier unterschrieben.

      Inga schlug verschlafen die Augen auf. Der Zug fuhr gerade langsam in den Emder Bahnhof ein. Glück gehabt, dachte sie, hätte ich nur ein wenig länger geträumt, wäre ich womöglich erst in Norddeich aufgewacht, und das wäre für meine Reise nach Baltrum ganz bestimmt nicht günstig gewesen.

      Den Rest der Fahrt verbrachte sie damit, die Felder und Wiesen zu bewundern, die sich rechts und links des Schienenstranges bis zum Horizont erstreckten. Ab und zu fuhren sie durch einen der kleinen ostfriesischen Orte. Marienhafe las sie. Hatte hier nicht der berühmte Pirat Klaus Störtebeker im Kirchturm gehaust und zusammen mit den Ostfriesen der Hanse die Stirn geboten?

      In Norden am Bahnhof stand der Bus schon bereit. Inga machte es sich auf einem Fensterplatz gemütlich. Am Marktplatz stiegen noch einige Leute ein, beladen mit Einkaufstaschen und voll bepackten Rollwagen. Bald entspann sich unter den Zugestiegenen eine angeregte Unterhaltung. Das müssen Insulaner sein, kombinierte Inga messerscharf, denn sie verstand nicht ein einziges Wort. Sie stammte zwar aus Schleswig-Holstein, konnte aber kein Plattdeutsch. Das kann ja heiter werden, dachte sie. Hoffentlich verstehen die mich auf der Insel überhaupt!

      Nach einer knappen halben Stunde sah sie den Hafen vor sich. Eine große Fähre legte gerade an, und ein kräftiger Wind wehte ihr beim Aussteigen um die Nase. Inga bestieg das Schiff und schaute sich auf dem Oberdeck um. Die meisten der blauen Bänke waren noch leer, obwohl herrlicher Sonnenschein dazu einlud, die Überfahrt draußen zu genießen.

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