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nicht näher bezeichneter »Dienst- und Disziplinarvorschriften« durch die neuen Rekruten.166

      Das war funktional im Sinne der Disziplin. Denn die deutschen Vorgesetzten hätten bei Anwendung der Dienststrafordnung bestenfalls dreiwöchigen Arrest als Höchststrafe verhängen können. Himmler selbst erklärte Ende 1942, man habe zwar die Schutzmannschaften in den Besatzungsgebieten der Sowjetunion ebendieser Strafordnung unterstellt, um wenigstens irgendein Mittel zur Aufrechterhaltung der Disziplin zu haben. Es verstehe sich aber von selbst, dass eine so milde Strafordnung für rassisch minderwertige Schutzmänner ungeeignet sei. Daher erließ Himmler eine besondere Disziplinarordnung für die Schutzmannschaft, die das Arreststrafrecht erheblich verschärfte und »einheimischen Führern der Schutzmannschaft« Strafbefugnisse zugestand. Die von vielen Vorgesetzten gewünschte Prügelstrafe lasse sich hingegen »nicht vertreten«, es sei denn zur Disziplinierung aufsässiger Gefangener im Arrest.167

      Den Trawniki-Männern erging es schlechter. Sie unterlagen einem schärferen informellen Strafregiment. Ausgangs- und Urlaubsüberschreitungen nach Dienstschluss, Rückkehr in die Unterkunft in betrunkenem Zustand168 und dergleichen mehr wurden häufig vermerkt169, ferner auch die Übertretung einer wegen Seuchengefahr verhängten Lagersperre im Konzentrationslager Lublin, um einen polnischen »Puff« zu besuchen.170 Die Skala der Strafen reichte von der Verwarnung und Degradierung im Wiederholungsfall – mit späterer Gelegenheit zur Bewährung – über geschärften Arrest, der von einigen Tagen bis zu drei Wochen dauern konnte, bis zur Prügelstrafe durch deutsche Vorgesetzte.171

      So verhängte der Leiter des SS-Wachmannschaften in Majdanek, SS-Oberscharführer Erich Erlinger, 25 Stockschläge wegen unerlaubten Verlassens gegen zwei seiner Trawniki-Untergebenen und verprügelte sie eigenhändig. Sie hatten die Lagersperre zum Einkauf von Zwiebeln und Salz im Dorf übertreten. Für Erlinger waren die Wachmänner »Bolschewisten«, von denen eine beständige Gefahr der Meuterei ausging, solange sie nicht plündern konnten.172 In den Vernichtungslagern peitschten Trawniki-Unterführer ihre Untergebenen aus.173 Die Wachmänner wurden anscheinend mit denselben Reitpeitschen misshandelt, mit denen ihre Vorgesetzten Häftlinge der jüdischen Arbeitskommandos malträtierten.

      Erst im Mai/Juni 1943 mussten die Trawniki-Männer eine Belehrung unterschreiben, dass sie »in strafrechtlicher Hinsicht der Vorläufigen Dienststrafordnung für Polizeitruppen vom 19. 4. 1940 unterliegen und damit bei allen Vergehen und Verbrechen von den deutschen SS- und Polizeigerichten abgeurteilt« würden.174 Woher diese späte Unterstellung unter die SS-Gerichtsbarkeit rührte, ist unklar. Ein formaler Grund könnte darin bestanden haben, dass die Wachmänner die Ausführung verbrecherischer Befehle unter Berufung auf das Militärstrafgesetzbuch hätten verweigern können. Dies kam aber bestenfalls theoretisch in Betracht, weil die »Trawnikis« mit ziemlicher Sicherheit das Militärstrafgesetzbuch gar nicht kannten. Zudem war die explizite Berufung auf den einschlägigen Paragraph 47 selbst bei deutschen Polizeioffizieren ausgesprochen unerwünscht und wurde gerichtlich sanktioniert.175

      Man wird die Neuregelung in erster Linie als Ausdruck der Status- und Besoldungsverbesserung der Trawniki-Männer interpretieren, die nun als vollwertige Polizisten gelten sollten. Dies geschah bezeichnenderweise zu einem Zeitpunkt, als die »Aktion Reinhardt« schon weitgehend abgeschlossen war. Den Trawniki-Männern kann sich der Eindruck aufgedrängt haben, sie würden durch die Verbesserung ihrer Rechtsstellung für treue Dienste bei der Ermordung der Juden belohnt.176 Tatsächlich wurde die Prügelstrafe jetzt nicht mehr angewendet.177 Gegen zwei russischstämmige Wachmänner des Zwangsarbeitslagers Krakau-Plaszów wurde stattdessen im Mai 1943 Strafanzeige beim SS- und Polizeigericht wegen unerlaubten Verlassens und Plünderung erstattet.178

      Da den Wachmännern jedenfalls bis 1943 ein legales Recht zur Befehlsverweigerung fehlte, stellt sich die Frage nach einem möglichen Befehlsnotstand. Sowjetische Ermittlungsbehörden ließen dieses Argument regelmäßig nicht gelten. Bundesdeutsche Gerichte urteilten diesbzüglich uneinheitlich. Die Staatsanwaltschaft Hamburg stellte ihr Ermittlungsverfahren gegen zahlreiche ehemalige Trawniki-Männer im Sommer 1968 ein, weil ihnen zumindest ein Putativnotstand zur Seite stehe. Diesen sah das Gericht durch die Zwangslage gegeben, in der sich die Rotarmisten bei ihrer Anwerbung im Kriegsgefangenenlager befanden, durch fehlendes Wissen über die mörderischen Aufgaben, die sie erfüllen sollten, sowie durch die Gefahr der Rückversetzung ins Gefangenenlager oder der Erschießung wegen Befehlsverweigerung.

      Tatsächlich befanden sich die sowjetischen Kriegsgefangenen bei ihrer Anwerbung spätestens seit Oktober 1941 in einer existenziellen Notlage. Die ersten Rekruten waren allerdings mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in einer weniger prekären Situation als ihre Nachfolger, zumal Sowjetdeutsche aus politisch-ideologischen Gründen als erste Gruppe angeworben, in Trawniki bevorzugt und als Unterführer verwendet wurden. Für die zivilrekrutierten Ukrainer des Frühjahrs 1943 sind neben der Einberufung zum Waffendienst sogar Fälle freiwilliger Meldung dokumentiert.179 Andererseits wurde ein junger Ukrainer, der sich geweigert hatte, in Trawniki Dienst zu tun, im Konzentrationslager Majdanek inhaftiert und ermordet.180

      Was den Kenntnisstand anbelangt, flossen seit November 1941 zumindest gerüchteweise Informationen über ein Tötungslager nach Trawniki. Auch waren die ersten Kontingente der späteren Wachkompanie von Bełżec zuvor beim Aufbau des Konzentrationslagers Lublin-Majdanek oder im Zwangsarbeitslager Lublin-Lipowa eingesetzt gewesen, so dass sie bereits hatten wahrnehmen können, wie die SS die Juden behandelte.

      Die ab März 1942 nach Bełżec versetzten Trawniki-Männern wussten sicher schon vorher, was dort geschah. Auch sprach sich schnell herum, dass die aus Lublin deportierten Juden nicht mehr lebten. Was die Erschießung wegen Befehlsverweigerung anbelangt, bezog sich die Hamburger Einstellungsverfügung nur auf die Teilnahme an so genannten Ghettoaktionen und ließ offen, ob eine solche Exekution eine reale oder eine vermeintliche Gefahr dargestellt habe.181 Auch muss man davon ausgehen, dass die Rücksendung ins Gefangenenlager, die nach Auffassung des Gerichts Gefahr für Leib und Leben nach sich gezogen hätte, dazu hätte genutzt werden können, sich dem Massenmord zu entziehen. Dies mag erklären, warum aus dem Vernichtungslager Bełżec nur eine solche Zurückversetzung bekannt geworden ist.182

      Anders als die Hamburger Justiz beurteilte das Landgericht Düsseldorf den Befehlsnotstand. Es verurteilte 1971 den ehemaligen Zugwachmann Franz Swidersky wegen Beihilfe zum Mord im Zwangsarbeitslager Treblinka I zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe.183 Das Gericht betrachtete es als erwiesen, dass der Angeklagte der SS- und Polizeigerichtsbarkeit unterstanden habe, so dass er das Recht und die Pflicht zur Befehlsverweigerung gehabt hätte. Auch für Wachmänner treffe die Feststellung der historischen Forschung zu, dass eine solche Verweigerung verbrecherischer Befehle keine Lebensgefahr nach sich gezogen hätte. Zwar sei dem Angeklagten eine heroische Befehlsverweigerung nicht zuzumuten gewesen, aber er habe auch nicht von der objektiv gegebenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich aus dem Lager versetzen zu lassen, indem er gegenüber den jüdischen Häftlinge eine neutrale Haltung an den Tag legte.184

      Tatsächlich ist bisher kein Fall dokumentiert, in dem ein Trawniki-Mann wegen der Verweigerung eines Mordbefehls erschossen worden wäre. Jedoch drängten deutsche Vorgesetzte auf die Beteiligung ihrer Untergebenen an Tötungen und verweigerten ihnen die Handlungsspielräume deutscher Polizisten. Hierfür zwei Beispiele:

      Nurgali Nurmuchametow wurde im Februar 1943 zu einer Erschießung von Juden außerhalb Trawnikis herangezogen. Als die Gestapo mit dem Morden begann, wurde dem Wachmann schlecht; er wollte sich entfernen. Daraufhin sagte ein deutscher Offizier: »Schieß!«, und Nurmuchametow tat, wie ihm geheißen.185 Dieser Vorfall unterscheidet sich von ähnlichen Ereignissen bei deutschen Polizisten: Ihnen wurde in der Regel die Mitwirkung an Tötungen erlassen, wenn sie gesundheitliche Gründe vorbringen konnten.186

      Der ehemalige Oberwachmann Roman Davidov gab einen eigenhändigen Mord im Zwangsarbeitslager Krakau-Plaszów zu. Der Kommandant, SS-Hauptsturmführer Amon Goeth, befahl ihm, mit seiner, Goeths Pistole einen zufällig entgegenkommenden Juden zu erschießen. Davidov schoss zweimal absichtlich daneben. Daraufhin »begann der Kommandant mit mir zu fluchen. Dann schoss

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