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kam es für das Funktionieren der Wachmannschaften auch nicht an.104 Noch Ende 1943 begrüßte der Kommandant des Konzentrationslagers Stutthof eintreffende Trawniki-Männer aus dem Vernichtungslager Treblinka als Freiwillige und Kameraden.105

      Es gibt auch keine Anhaltspunkte für unmittelbaren Zwang. Nur in einer Aussage vor der sowjetischen Polizei wird behauptet, die Auswahlkommission habe widersetzliche Kriegsgefangene erschossen:

      »Einer von unseren Kriegsgefangenen […] trat aus der Reihe nach vorn und sagte, er habe nicht vor, bei den deutschen Truppen zu dienen. Dieser junge Mann wurde auf der Stelle von einem deutschen Offizier, dem Kommandeur der 8. Kompanie, dessen Nachnamen ich nicht weiß, erschossen.«106

      Eine Möglichkeit, den SS-Dienst abzulehnen, bestand in Wirklicheit aber nicht. Denn die Trawniki-Männer waren eine typische Zwangsorganisation.107 Wer dieser Truppe einmal beigetreten war, konnte sie nur zu den von der Organisationsleitung definierten Bedingungen verlassen: gar nicht oder unter Inkaufnahme der Gefahr, erschossen zu werden.

      Bei der Aufnahme im Lager wurden die Personalien der Kriegsgefangenen aufgenommen und ein Personalbogen wurde angelegt. Anzugeben waren u. a. Dienstzeiten und Waffengattung in der Roten Armee, der letzte Dienstrang sowie Sprachkenntnisse und besondere Fähigkeiten. Die Lagerverwaltung nahm einen Abdruck des rechten Daumens und erstellte eine knappe Personenbeschreibung, damit im Fluchtfall nach den Betreffenden gefahndet werden konnte. Sie wurden uniformiert und in Uniform fotografiert. Die Wachmänner bekamen ab November 1941 einen Dienstausweis, der sie zum Tragen einer Waffe berechtigte. Diesen Ausweis mussten sie beim Wechsel in eine andere Dienststelle mit sich führen.108

      Beide Dokumente wurden mit einer laufend vergebenen Erkennungsnummer versehen. Eine niedrige Nummer dokumentiert eine frühe Anwerbung. Diese Erkennungsnummern behielten die Wachmänner während ihrer gesamten Dienstzeit bei der SS. Seit Frühjahr 1943 enthielt der Personalbogen zusätzlich das Aufnahmedatum in Trawniki. Bis dahin hatte man es mit der Datierung der Personalbögen oft nicht so genau gehalten. Nicht selten wurden Personalbögen zudem erst Wochen nach der Ankunft der Rekruten ausgefüllt; bisweilen dürften sie auch gar nicht registriert worden sein.109

      Die Wachmänner mussten eine eidesstattliche Erklärung unterschreiben, dass sie arischer Abstammung und nicht Mitglied der KPdSU oder ihres Jugendverbandes Komsomol gewesen seien. Auf diesem Blatt war Platz für Anmerkungen, wo Urlaubszeiten, Bemerkungen zur Führung, verhängte Strafen und Versetzungen eingetragen werden sollten.110 Bei Beförderungen erhielten die Wachmänner die Durchschrift einer schriftlichen Ernennungsmitteilung, die in das Original der Personalakte eingeheftet wurde.

      Entgegen der deutschen Absichten kamen durchaus auch Komsomolzen nach Trawniki, Offiziere der Roten Armee und dem Vernehmen nach sogar Grenzsoldaten des NKWD.111 Die Lagerverwaltung war nicht in der Lage, die Lebensläufe der Betreffenden ernsthaft zu überprüfen. Diese setzten sich allerdings der Gefahr aus, von ihren eigenen Kameraden denunziert zu werden. Mutmaßliche Juden wurden im Lager sofort erschossen.112

      Bis zu seiner Räumung Ende Juli 1944 gingen rund 5 100 Männer durch das Ausbildungslager Trawniki und wurden von dort auf ihre Einsatzorte verteilt.113 Die ständige Belegung des Lagers schwankte um rund 1 000 Personen. Peter Black hat durch die Auswertung von Personalbögen mehrere Rekrutierungswellen der Trawniki-Männer identifiziert. Diese korrespondieren auffällig mit dem Verlauf der »Aktion Reinhardt«114:

      •Zwischen September 1941 und Anfang März 1942 wurden rund 1 250 sowjetische Kriegsgefangene angeworben.115 Diese stammten fast ausschließlich aus deutschen Kriegsgefangenenlagern im Distrikt Lublin (Cholm, Zamość, Biala Podlaska) und im Bezirk Białystok, der dem ostpreußischen Gauleiter Koch unterstand. Die Wachmänner dieser ersten Welle kamen in geringer Zahl in das Konzentrationslager Majdanek sowie in die Zwangsarbeitslager Lublin-Lipowa und Treblinka (nicht zu verwechseln mit dem späteren Vernichtungslager), dann aber auch in die Vernichtungslager der »Aktion Reinhardt«, wo im März/April 1942 zusammen etwa 300 Wachmänner eingesetzt waren. Trawniki-Männer waren ferner in erheblichem Umfang an der ersten Massendeportation aus dem Ghetto Lublin beteiligt. Daneben stellten sie die Wachkommandos von SS-Gütern im Distrikt Lublin und verrichteten eine Vielzahl von im Einzelnen unbekannten Objektschutzaufgaben.

      •Bis Sommer 1942 folgten neben einzelnen Zivilrekrutierten weitere 1 250 Rotarmisten aus weiter östlich gelegenen Kriegsgefangenenlagern (Grodno, Rovno, Shitomir), deren Insassen seit der deutschen Frühjahrsoffensive in Gefangenschaft geraten waren.116 Teilweise holte man auch aus Stammlagern im Reichsgebiet (Breslau) Gefangene ab.117 Dies hing mit der Deportation von Hunderttausenden Juden aus Warschau und den Distrikten Lublin und Radom sowie mit einem wachsendem Personalbedarf der Vernichtungslager zusammen, deren Wacheinheiten nunmehr jeweils auf Kompaniestärke gebracht wurden. Nach ersten Einsätzen gegen Partisanen ab Mai 1942 wurde der »Bandenkampf« ab Sommer dieses Jahres zu einem weiteren wichtigen Einsatzfeld, wobei zunehmend die Jagd auf geflüchtete Juden in den Vordergrund trat. Ferner stellten Trawniki-Männer die Wachkommandos in Zwangsarbeitslagern für Juden besonders im Distrikt Lublin und wurden weiterhin zur Bewachung von SS-Gütern und kriegswichtigen Objekten, darunter Sägewerke, abgestellt.

      •Ab Spätherbst 1942 warb Streibel nur noch Zivilisten an, weil Kriegsgefangene nicht mehr zur Verfügung standen. Gründe dafür waren der Hungertod und Erschießungen in deutschen Lagern sowie der Abtransport sowjetischer Kriegsgefangener als Zwangsarbeiter nach Deutschland. Zunächst trafen bis Januar 1943 rund 500 Zivilisten aus den Distrikten Lublin, Krakau und Galizien, aus Wolhynien/Podolien und dem Reichskommissariat Ukraine ein. Wenn Rekruten von sich aus bei den Trawniki-Werbern um Aufnahme baten, wurde dies gelegentlich als Gütemerkmal im Personalbogen festgehalten. Diese Anwerbung deckte den seit Herbst 1942 wachsenden Bedarf an Wachmännern in Zwangsarbeitslagern des Lubliner SS- und Polizeiführers sowie für die Vertreibung von Polen aus dem Gebiet Zamość.

      •Mitte Februar 1943 war das Lager Trawniki laut Mitteilung Streibels von einsatzfähigen Wachmännern »entblößt«, mit anderen Worten: Dort befanden sich nur die in Ausbildung befindlichen Rekruten der letzten Welle.118 Daher holte die SS bis April 1943 weitere 500 Jugendliche aus dem südlichen Distrikt Galizien in das Lager. Benötigt wurden sie vor allem für Zwangsarbeitslager im Distrikt Lublin und in anderen Teilen des Generalgouvernements. Eine Anzahl dieser teils aufgrund freiwilliger Meldung, teils durch Einberufung zur Musterung rekrutierten Ukrainer wurde aber auch in das Vernichtungslager Bełżec abkommandiert.119

      •Ende Juni/Anfang Juli 1943 wurden weitere rund 1 000 meist ukrainische Rekruten aus dem Südosten des Distrikts Lublin in das Lager gezogen. Sie kompensierten zahlenmäßig einen Verlust von rund 600 Wachmännern, die das nunmehr zum SS-Ausbildungslager avancierte Lager Trawniki ab September 1943 in die staatlichen Konzentrationslager abstellte. Die jüdischen Zwangsarbeiter wurden größtenteils bei der »Aktion Erntefest« im November 1943 erschossen.

      •Die letzte Welle von rund 600 Männern traf im Winter 1943/44 ein und spülte neben Landarbeitern Kollaborateure der deutschen Besatzungsverwaltung aus weiter östlichen Gebieten in das Lager, die vor der Roten Armee die Flucht ergriffen hatten.

      Die nationale Zusammensetzung der Gesamtgruppe ist nur in groben Zügen zu erfassen, aber doch aufschlussreich: Zunächst kamen volksdeutsche Kriegsgefangene, meist aus der Wolgarepublik stammend, später auch Ukrainer. Die Russlanddeutschen stellten die kleinste Gruppe im Lager und im Einsatz. Sie genossen wegen ihrer Sprachkenntnisse und aus ideologischen Gründen Vorzüge, wurden im Allgemeinen schneller befördert und übernahmen Vorgesetztenfunktionen gegenüber »Trawnikis« und jüdischen Funktionshäftlingen.120 Für das Funktionieren des Systems waren sie absolut unentbehrlich, denn die SS verfügte nicht über genügend eigenes Personal, um die Trawniki-Hilfspolizisten zu ersetzen oder selbst anzuleiten.121

      Ukrainer stellten die größte ethnische Gruppe unter den Trawniki-Männern. Daher wurden sie in Augenzeugenberichten wie den bekannten Aufzeichnungen Kurt Gersteins sowie in der historischen Forschung lange Zeit pauschal als »Ukrainer« bezeichnet, obwohl auch Litauer, Letten und Esten unter den Wachmännern waren.122 Neben Russen, die aus ideologischen

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