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Shana, das Wolfsmädchen, und der Ruf der Ferne. Federica de Cesco
Читать онлайн.Название Shana, das Wolfsmädchen, und der Ruf der Ferne
Год выпуска 0
isbn 9783401802909
Автор произведения Federica de Cesco
Жанр Учебная литература
Издательство Readbox publishing GmbH
Haus und Garten gehörten uns. Mein Großvater, der nicht nur ein geschickter Gärtner, sondern auch ein guter Zimmermann gewesen war, hatte es mit eigenen Händen gebaut. Die Farbe war von Regen und Schnee abgebeizt, das Holz war grau, aber solide wie alte Knochen. Das gab dem Haus Beständigkeit. Meine Mutter hatte Gardinen genäht und Elliot, der zum Teil das Talent seines Vaters geerbt hatte, die Möbel selbst gezimmert.
Fährt man durch Beaver Creek, sieht man einige hübsche Häuser mit gepflegten Gärten. Viele jedoch sind verkommen, von Unkraut überwuchert. In diesen Gärten häuften sich lauter Dinge an, die eigentlich nicht dorthin gehören: alte Matratzen, kaputte Sofas und Sessel, ausrangierte Fernsehgeräte und Eisschränke, Werkzeug und Küchenabfälle.
Hier und da findet man auch einen alten Wohnwagen oder ein rostiges Autowrack. Die Weißen stören sich mit Recht daran. Viele von uns finden das auch nicht gut und versuchen, den Leuten beizubringen, dass man Müll und Sperrgut zu entsorgen hat. Aber im Gegensatz zu den Weißen, die nur die Nase rümpfen, wissen wir, woher diese Angewohnheit kommt. Vor nicht allzu langer Zeit waren wir Nomaden oder Halbnomaden. Und alles, was wir nicht mehr brauchten, ging zurück zur Natur, die alles Organische wieder aufnahm. Es gab kaum Dinge, die nicht im Laufe der Jahreszeiten wieder zu Erde wurden. Der Kreislauf von Sommer und Winter verwandelte alles, im Abfall fanden Insekten und kleine Tiere ihre Nahrung und aus der Asche wuchsen frische Blumen. Aber Eisen rostet, Chemie und Düngemittel vergiften die Erde und Plastikflaschen überstehen Jahrhunderte. Irgendwie hatten das die Alten immer noch nicht kapiert. Indianer konnten mit der Abfallzivilisation nicht umgehen. Man hatte neben Beaver Creek eine Müllhalde aufgetürmt, die entsetzlich stank, was die Sache nicht besser machte. Solche Deponien waren mit unseren Gefühlen für Harmonie unvereinbar. Deswegen brachten die Alten ihren Abfall nach wie vor lieber in den Garten. Es konnte ja sein, dass man das Zeug noch irgendwann mal wieder brauchen würde.
Das war ein Gedanke, der ebenfalls aus der Armut entstanden war.
Auch mein Vater hatte Haus und Garten lange Zeit verlottern lassen. Doch als Mike den Wagen nun vor dem frisch gestrichenen Gartenzaun anhielt, sahen wir auf den ersten Blick, wie gepflegt alles aussah. Es war schon gegen fünf, die Sonne beleuchtete die Apfelbäume, die ihre Früchte wie kleine rote Lampions trugen. Im hinteren Teil des Gartens sah ich meinen Vater vor den Bienenstöcken stehen. Ein paar Kinder drängten sich um ihn herum und sahen ihm bei der Arbeit zu. Elliot winkte erfreut und kam uns entgegen. Er umarmte mich, schüttelte Mike die Hand.
»Schön, dass ihr da seid!«
Ich blickte ihn überrascht an.
»Du siehst gut aus!«
Elliots Haut war jugendlich und glatt. Sein langes Haar, das er zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, glänzte in der Sonne. Früher hatten ihm etliche Zähne gefehlt. Aber mit meiner ersten Gage hatte ich ihn zu einem guten Zahnarzt geschickt. Die neuen Zähne wirkten echt und er hatte ein schönes Lächeln.
»Findest du?«
»Finde ich.«
»Mir geht es auch gut«, gab er zu. »Die Arbeit mit den Bienen macht mir viel Freude.« Er kniff ein Auge zu.
Ich sah zu den Kindern hinüber, die sich respektvoll im Hintergrund hielten. »Sie kommen oft«, sagte Elliot, als er meinem Blick gefolgt war.
Gemeinsam gingen wir zu den Bienenstöcken zurück. Die Sammelbienen kehrten zu dieser Tageszeit zum Bau zurück und tanzten und flirrten im Sonnenschein.
»Tag«, sagte ich zu den Kindern.
Ein kleines Mädchen beobachtete aufmerksam eine Biene, die an den Maschen ihres Pullovers hing.
»Margaret, magst du die Bienen?«, fragte Elliot.
Die Kleine hob die Augen.
»Wenn ich groß bin, will ich auch welche haben.«
»Habt ihr nicht Angst, gestochen zu werden?«, fragte Mike.
Alle schüttelten heftig den Kopf und ein kleiner Junge sagte:
»Bienen sind nicht so doof wie Wespen! Sie spüren, ob wir sie mögen oder nicht.«
»Ja, und wenn sie uns stechen, verlieren sie ja den Stachel«, sagte ein anderer. »Und dann sind sie schnell tot.«
»Dürfen wir morgen wiederkommen?«, fragte Margaret, während sie behutsam die Biene von ihrem Pullover entfernte.
Elliot nickte und fügte mit einem Blick auf Margarets Pullover neckend hinzu: »Sie würde am liebsten bei dir bleiben.«
»Das geht nicht, ich habe schon ein Kaninchen«, sagte Margaret, worauf alle lachten. Dann verabschiedeten sich die Kinder, schlossen höflich das Gartentor und liefen dem Dorf entgegen.
»In ein paar Jahren«, sagte Elliot, »wird sich ganz Beaver Creek von Honig ernähren!«
Lachend gingen wir ins Haus, wo es nach frischem Kaffee duftete. Alles war aufgeräumt und sauber, wie ich es ganz früher, als meine Mutter noch lebte, gewohnt war. Auf dem selbst gezimmerten Bücherbrett stand eine Anzahl Bücher. Vermutlich dieselben, die ich früher gelesen hatte. Ich trat näher. Doch nein, es waren neue Bücher. Und alle handelten von Bienen. Fragend sah ich meinen Vater an. Er zog etwas verlegen die Schultern hoch.
»Es interessiert mich einfach.«
Ich nickte. Im Wohnzimmer hatte sich kaum etwas verändert. Alles war noch wie früher: der Fußboden aus Linoleum, hässlich, aber praktisch, der Tisch mit den vier Stühlen, der hellblau gestrichene Küchenschrank, der entsetzlich quietschende Schaukelstuhl vor dem Fernseher. Nur das braune Sofa war neu. Eine bunte Quiltdecke war über die Kissen gebreitet. Und auf dem Tisch lag ein sauberes Wachstuch.
»Du kannst nicht mit leerem Magen nach Kamloops weiterfahren«, sagte Elliot zu Mike. »Ich mache dir etwas zu essen.«
Mike bedankte sich höflich.
»Etwas Warmes könnte ich schon vertragen.«
Ich fragte meinen Vater, ob ich helfen konnte, doch er schüttelte den Kopf.
»Lass mich nur machen. Erzähle inzwischen!«
Er freute sich ganz offensichtlich, dass wir da waren, und machte sich zwischen Gasherd und Kühlschrank zu schaffen. Lange dauerte es nicht. Er hatte das Essen schon vorgekocht. Die Mahlzeit war genau so, wie ich es von früher her kannte: Rindfleisch in einer braunen Soße, Teigwaren und Gemüse aus dem Garten. Auch wenn ich mittlerweile ganz anderes gewohnt war, schmeckte noch immer nichts so gut wie dieses einfache Essen. Zum Trinken gab es Wasser. Kein Bier mehr. Elliot rührte nichts mehr an, was nahe oder fern mit Alkohol zu tun hatte. Ich erzählte, dass ich zum ersten Mal Gastspiele in Europa geben würde. Elliot wollte wissen, ob ich mich freute.
»Doch, eigentlich schon«, sagte ich. »Aber ich habe auch ein bisschen Angst!«
»Das sagt sie nur so«, meinte Mike heiter. »Aber ich glaube ihr kein Wort!«
»Es ist gut, dass du die Welt kennenlernst«, sagte Elliot. »Manche Städte in Europa sind älter als tausend Jahre. Die Kanadier sind stolz, wenn ihre Städte hundert Jahre alt sind. Aber was ist das schon im Vergleich? Und eigentlich hätten sie gar nicht gebaut werden dürfen. Das Land gehörte nämlich uns. Und wir haben ihnen nicht die Erlaubnis gegeben.«
Ich starrte ihn an. Es war das erste Mal, dass ich ihn so reden hörte. Elliot merkte, wie erstaunt ich war, denn er fügte hinzu: »Früher habe ich nie darüber nachgedacht. Aber in der letzten Zeit habe ich viel von den Bienen gelernt.«
»Was haben denn die Bienen damit zu tun?«
Mike, ebenso verblüfft wie ich, hob fragend die Brauen. Elliot nickte ihm zu.
»Die Bienenvölker erneuern sich ständig. Sie sind praktisch unsterblich.«
»Unsterblich?«, murmelte ich.
»Ja. Sie ernähren sich von der Energie der Natur. Ich erkläre den Kindern immer,