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entfernte Wolkendecke. Ich war auf dem Weg in eine andere Welt und kam mir vor wie auf meinem ersten großen Abenteuer. Dabei war mein Leben auch bis jetzt recht ungewöhnlich verlaufen. Das immerhin stand fest.

      Es gibt begabte Musiker, die sich für eine Solistenkarriere entscheiden, weil schon die Eltern musizierten und die Kinder nur in ihre Fußstapfen zu treten brauchen. Und es vielleicht noch besser machen wollen. Warum bei mir alles anders war? Die Erklärung fällt mir schwer. Ich habe nie besonders viel geredet. Und ich war auch nicht immer höflich. Aber im Laufe der Zeit habe ich mir ein besseres Benehmen angewöhnt. Auch das gehörte zu dem, was man uns in der Musikschule beibrachte. Leider sind meine Reaktionen weiterhin von den Menschen abhängig. Mag ich sie, ist alles gut. Wenn nicht, werde ich stumm wie ein Fisch. Ich habe da einen sechsten Sinn. Schon als Kind war ich imstande, das Wesen eines Menschen oder eines Tieres schnell und unfehlbar zu erkennen. Meistens passierte es schon, während die ersten Worte oder Blicke getauscht wurden. Heute ist mein Instinkt etwas verwässert, aber im Allgemeinen kann ich mich auf meinen ersten Eindruck immer noch verlassen.

      In der Musikschule – und auch auf meiner ersten Tournee – beobachtete ich stets, wie die jungen Musiker ihre Geige hielten. Es gab solche, die ein technisch perfektes und brillantes Feuerwerk von Klängen produzierten, aber mit ihrem Instrument auf Distanz blieben. Die Geige war einfach »Mittel zum Zweck«. Trotzdem waren sie durchaus gute Musiker. Sie interpretierten brillant; aber genau das war es, sie interpretierten nur. Es galt, das Publikum zu begeistern. Mit den eigenen Gefühlen hatte das wenig zu tun. Niemand bemerkte es, wenn diese Leute gerade gar keine Lust hatten zu spielen, weil sie ihr Instrument perfekt beherrschten.

      Trotzdem gab es auch solche Tage, an denen sie die Zuhörer mitten ins Herz trafen, Begeisterung auslösten und von den Kritikern sehr gelobt wurden. Diese Musiker probierten alle musikalischen Richtungen aus und hatten ihren Spaß dabei. Sie waren launisch wie Kinder und zugleich liebenswert auf ihre besondere Art.

      Und endlich gibt es solche Musiker, die mit ihrem Instrument verwachsen sind, die ihre Gefühle nur musikalisch ausdrücken können. Weil ihre Zunge schwerfällig ist, sprechen sie nur durch ihre Musik. Freude, Leid, Liebe und Wut, nur ihre Geige kann diese Gefühle zeigen. Sie selbst wären dazu nicht fähig. Sie stehen da wie ein Klotz, sind am liebsten immer für sich und in keiner Weise unterhaltend. Auch ich war so jemand.

      Permanent machte ich ein finsteres Gesicht. Ich merkte, wie andere sich darüber amüsierten, und war wütend, weil ich eigentlich dazugehören wollte, es aber nicht schaffte. Ich hatte immer Angst, dass ich ausgelacht wurde.

      Aber zum Glück gab es Mike. Mike Eagle Wing und ich hatten uns in unserem ersten Jahr auf der Musikhochschule in Vancouver kennengelernt, wo wir auf eine professionelle Musikkarriere vorbereitet wurden. Erst später habe ich erfahren, was für ein Glück wir damals hatten: Hunderte bewarben sich jedes Jahr, aber nur knapp zwanzig wurden aufgenommen.

      Mike und ich waren beide Internatsschüler. Mike war ein Cree und ich eine Chippewa, aber das spielte keine Rolle, gehörten wir doch zu den »First Nations«, die heutzutage alle zusammenhalten.

      Eine Zeit lang war ich fest davon überzeugt, dass von uns beiden Mike der wirklich Begabte war und ich eigentlich nur so tat, als ob ich Geige spielen konnte. Nachdem ungefähr zwei Jahre vergangen waren, stellte sich aber heraus, dass Mike es auch mit viel Arbeit höchstens zum zweiten Geiger in einem Orchester bringen würde. Anfänglich wollte ich es nicht wahrhaben, dass ich wirklich besser spielen sollte als er. Doch Robert Castaldi, unser Lehrer, erklärte, warum es so war.

      »Mike spielt wundervoll Geige, aber bei dir ist es noch etwas anderes.«

      »Etwas anderes?«

      Ich musste ihn ungläubig angestarrt haben. Doch er kannte mich inzwischen und schmunzelte.

      »Also, Shana, was machst du in deiner Freizeit?«

      Castaldi war grauhaarig, mit einem schmalen, schelmischen Gesicht. Seine langen, gelenkigen Arme und Hände ließen mich an Flügel denken. Er hatte mich in sein Büro kommen lassen, mir freundlich einen Stuhl angeboten. Da saß ich nun, steif wie ein Klotz, und wusste nicht, was ich sagen sollte. Mir fiel nichts ein.

      Schließlich zuckte ich mit den Schultern.

      »Ach, nicht viel eigentlich. Spazieren gehen. Im Sommer schwimme ich gerne.«

      »Hast du Hobbys?«

      Der Gedanke, dass ich ein Hobby haben könnte, war mir nie gekommen.

      »Ah… Musik hören, vielleicht?«

      »So, so.«

      Castaldi nickte mit gewichtigem Ernst. »Und welche Musik, wenn ich fragen darf? Disco? Techno? Rap?«

      »Nein, nein!« Ich schüttelte heftig den Kopf. »Mozart. Und Sibelius, den habe ich am liebsten.«

      »Ist das alles?«

      Ich traute meinen Ohren nicht. Der Mann war Professor und Direktor der Musikhochschule. Und fragte mich scheinbar allen Ernstes, ob Mozart und Sibelius »alles« sei.

      Er musste in meinen Gedanken gelesen haben, wie so oft, denn ich sah, wie er vor sich hin schmunzelte.

      »Was machst du denn am liebsten?«

      »Geige spielen.«

      »Auch nach dem Unterricht?«

      Ich nickte.

      »Und wie viele Stunden am Tag?«, fragte er.

      Ich hob die Schultern.

      »Keine Ahnung. Ich vergesse die Zeit.«

      »Und Mike? Hat Mike ein Hobby?«

      »Doch!«, rief ich, froh darüber, dass sich über Mike etwas Normales sagen ließ. »Er spielt Basketball. Da ist er gut. Und Games mag er auch. Star Trek, Prince of Persia… Und er zeichnet gerne.«

      »Was zeichnet er denn?«

      Ich verbiss mir ein Grinsen. »Am liebsten Karikaturen.«

      »Oh?« Castaldi zog fragend die Brauen hoch und schien auf weitere Erklärungen zu warten.

      »Er zeichnet unsere Mitschüler. Und auch die Lehrer.«

      In Castaldis Augenwinkeln zeigten sich kleine Fältchen.

      »So, so. Hat er mich auch gezeichnet?«

      Ich wurde rot und nickte.

      Jetzt ließ er ein Glucksen hören.

      »Da bin ich ja gespannt. Sag ihm, dass ich mir die Karikaturen gerne mal ansehen möchte.«

      Ich war etwas befangen. Aber Mike würde es mir nicht übel nehmen, dass ich über seine Zeichnungen geredet hatte. Er ging sehr offen damit um und hatte keine Hemmungen, sie allen zu zeigen, die sie sehen wollten.

      »Ich werde es ihm sagen.«

      »Macht er auch Karikaturen von dir?«

      Ich zögerte.

      »Karikaturen? Nein, eigentlich nicht. Er zeichnet mich… anders.«

      »Anders? Wie zeichnet er dich denn?«

      Ich sagte: »Manchmal zeichnet er mich mit einem Wolfskopf.«

      »So, so, mit einem Wolfskopf?«

      »Ja. Das sieht… witzig aus. Oder er zeichnet mich als Baum.«

      Castaldi wirkte nachdenklich.

      »Diese Zeichnungen würde ich mir gerne mal ansehen. Natürlich nur wenn Mike nichts dagegen hat. Zeichnungen sind eine ganz persönliche Sache«, setzte er hinzu, und da wusste ich, dass ich ihn richtig eingeschätzt hatte.

      Würdest

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