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ich mich dem Panther in großem Bogen näherte. Die Bestie ließ vollends von Teena ab und richtete ihre Aufmerksamkeit auf mich. Wir umkreisten einander. Sie knurrte wieder. Doch anstatt mich davon einschüchtern zu lassen, stürmte ich auf sie zu. Das Tier duckte sich. Dass ich nicht das kleinste bisschen Angst zeigte, verunsicherte es. Es schlug mit der Tatze nach mir, und seine Krallen hinterließen blutige Striemen auf meinem Arm. Brennender Schmerz. Mir war beinahe zum Lachen zumute. Harmloser Schmerz. Im Unterrumpf hatte ich tausendfach Schlimmeres erfahren. Ich hob den Dolch und stach damit auf die Bestie ein. Sie wich zurück. Ich setzte sofort nach, gönnte ihr keinen Moment. Zögere nicht. Töte ihn, sonst tötet er dich.

      Ich rammte der Bestie die rostige Klinge in den Leib. Sie schnappte nach mir, und ich verpasste ihr einen Tritt, zog den Dolch heraus und stach wieder zu. Vier, fünf Mal. Zuletzt schlug ich ihr mit dem Knauf der Waffe auf den Schädel und rammte ihr die Klinge durchs Auge.

      Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen sah ich zu Teena. Die kleine Frau stand hinter mir, den Arm erhoben, einen Dolch in den Fingern.

      Unsere Blicke trafen sich.

      Dann warf sie die Klinge.

       Blackworth

      Rauschen und Surren. Jäh unterbrochen vom Geräusch eines Schlüssels, der im Schloss herumgedreht wurde. Die Tür des Zellenblocks wurde geöffnet, und herein kamen samt fahrbarem Kessel jene beiden Männer, die das Essen ausgaben. Schweigend stellten die Insassen ihre Holzschalen vor die Zellentüren. Auch End. Die Essensausgeber füllten sie mit grauem Brei. Am Ende des Gangs blickten sie in Ends Zelle.

      „Man sagte uns, dass End hier einsitzt“, meinte der Größere. Seine Stimme klang gedämpft unter dem Mundschutz, den er trug. „Du bist also er?“

      End schwieg.

      „Du bist schuld am Bürgerkrieg“, fuhr der Mann fort. „Du bist schuld, dass mein Bruder im Kampf gegen die aufständischen Bergbauer starb.“

      „Er ist bei einer Gasexplosion gestorben“, flüsterte sein Partner. End und der Sänger hörten es dennoch.

      „Uninteressant“, meinte Ersterer. „Hätte das Gas ihn nicht getötet, wäre er im Kampf gefallen.“ Er schöpfte eine Kelle grauen Breis aus dem Kessel und hielt sie neben Ends hölzerner Schale über den Boden.

      „Ups.“ Den Blick auf Ends reglose Miene gerichtet drehte er die Kelle um. Der Brei klatschte neben der Schale auf den Boden. Anschließend zog der Essensausgeber geräuschvoll die Nase hoch und den Mundschutz herunter, räusperte sich und spuckte auf den grauen Fleck.

      „Guten Appetit“, sagte er und verbarg das höhnische Grinsen, das sich bis in die Augen erstreckte, hinter dem Mundschutz.

      Der Sänger sah Ends Blick. Seine kalten Augen, in denen kein Zorn lag. Nur die Gewissheit, dass sein Peiniger zahlen würde, und er erschauderte. Sah der Mann die Gefahr nicht? Er hatte soeben in ein Hornissennest gepisst. Die Gitterstäbe würden ihn vor End genauso wenig schützen wie vor einem Schwarm wild gewordener Insekten.

      Die Essensausgeber verließen den Zellenblock.

      „Gib mir deine Schale, End“, sagte der Sänger leise. „Wir teilen.“

      „Lass nur“, meinte End. „Hunger ist ein alter Freund von mir.“

      Der Sänger sah End verständnislos an. Dann zuckte er die Achseln und tauchte zwei Finger in den Brei. Stille gesellte sich zu den Insassen. Indes sah End aus dem Fenster. Er sah zum verhangenen Himmel und träumte von der Sonne. Von dem Gefühl, wenn ihr Licht einem die Haut wärmte.

      Er seufzte stumm.

      In diesem Moment landete eine Krähe auf der Bank von Ends vergittertem Fenster. Sie sah krank aus. Mager. Ihr Gefieder war so dünn, dass man stellenweise die entzündete Haut sehen konnte. Sie öffnete den Schnabel und gab ein kraftloses Krächzen von sich. Schwarzes Blut sprenkelte die Fensterbank.

      End erhob sich und trat vor das Tier. Es erinnerte an eine sterbende Fliege, dem Tode zu nahe, um sich vor irgendwas zu fürchten. Kurzerhand erlöste End es von seinen Leiden.

      „Was tust du?“, fragte der Sänger angewidert, als End anfing, den Vogel auseinander zu rupfen. End antwortete nicht und setzte seine makabere Arbeit fort, bis er einen kleinen, weißen Knochen in den Händen hielt.

      „Vergiss es“, meinte der Sänger. „Der Knochen wird brechen. Das Schloss der Zellentür ist zu schwer.“

      „Das Schloss der Zellentür vielleicht“, meinte End, „aber das der Handschellen nicht.“ Er fing an, mit dem Knochen darin herumzustochern. „Wo war ich stehengeblieben?“

       End

      Das Messer verfehlte mich knapp. Es wirbelte um Haaresbreite über meine Schulter hinweg und bohrte sich in den Stamm eines Baumes. Ich knurrte. War das ihr Dank?

      Teenas Augen weiteten sich vor Schreck. Sie griff in die Tasche ihrer Leinenhose und holte jenes runde Fläschchen mit durchsichtiger Flüssigkeit hervor, mit dem sie mir schon bei unserer letzten Begegnung gedroht hatte. Es enthielt, wie ich mich erinnerte, ein Gift namens Vacuúm, dessen Dämpfe allein tödlich waren.

      „Keinen Schritt …“ Weiter kam sie nicht. Wer den Tod nicht fürchtet, zögert nicht. Schon war ich bei ihr und schlug ihr das Fläschchen aus der Hand. Es wirbelte durch die Luft. Teena keuchte. Ich fing es mit der Linken und umschloss mit der Rechten ihren schlanken, braunen Hals. Mühelos hob ich sie hoch und drückte sie gegen einen Baumstamm. Ihre kleinen Hände zerrten an meinem schraubstockartigen Griff – vergeblich. Sie zückte ein zweites Messer und stach damit auf meinen Arm ein. Die Klinge schnitt durch meine Haut, schien jedoch einfach an den Muskeln darunter abzugleiten, als träfe sie auf blanken Stahl. Die Wunden bluteten kaum. Teenas Bewegungen wurden schwächer, das Messer entglitt ihren Fingern. Sie hob einen zitternden Arm – ihr Blick flackerte – und deutete mit ausgestrecktem Finger hinter mich. Ich wandte den Kopf, ohne sie loszulassen, und sah das Messer. Auf seiner silbernen Klinge steckte wie auf einem Bratspieß eine fette Spinne und zuckte mit ihren Kieferklauen. Teena hatte nicht versucht, mich zu töten.

      Sie hatte mir das Leben gerettet.

      Ich setzte sie auf ihre Füße und ließ sie los. Sie wankte. Ihre Beine gaben nach, und sie sank zu Boden. Ich kniete mich neben sie und bettete das Vacuúmfläschchen auf ein weiches Polster aus Moos zwischen zwei Wurzelsträngen. Anschließend hielt ich einen Finger unter Teenas Nase. Sie atmete. Schwach, aber sie lebte.

      „Was kümmert dich die schwarze Schlampe?“, fragte Hunger. „Sie war es doch, die dich die Regeln des Unterrumpfes gelehrt hat. Töte sie. Und nimm das Peeerl, das sie bei sich hat.“ Die letzten Worte flüsterte er und seine Augen erglühten. Ich knurrte, packte das Fläschchen mit Vacuúm und holte zum Wurf aus …

      Mitten in der Bewegung erstarrte ich. Hunger hatte die bandagierten Hände zu abwehrender Geste erhoben. Er lächelte spöttisch. „Bist du wirklich so dumm?“

      Ich seufzte genervt und ließ den Arm sinken. Kurzerhand zückte ich mein Messer und schnitt einen kleinen Beutel, durch dessen Leder das Licht des Perls leuchtete, von Teenas Gürtel. Ich ließ ihn in die Tasche meiner abgewetzten Hose gleiten und erhob mich. Als ich ging, stöhnte Teena leise.

      Die Nacht kehrte in den Wald ein. Ich erreichte den Strand, als die Sonne bereits halb im Meer versunken war. Auch für jemanden, der nicht Jahre lang in Dunkelheit gelebt hatte, war dies ein besonderer Anblick. Die See war dunkel, die Sonne ein flimmernder Feuerball. Der Himmel ein Lavameer, das gen Zenit zu einem dunklen Blau abkühlte. Darin funkelten Millionen kostbare Diamanten. Vorübergehend vergaß ich sogar das Verlangen nach Perl.

      Ich ließ mich am Strand nieder und vom Anblick des Sonnenuntergangs gefangen nehmen. Zu meiner Rechten leuchteten die Lagerfeuer der Piraten. Ich hörte sie leise rufen, manchmal Gesang. Kein störender Lärm, eher einschläfernd. Gedankenverloren beobachtete ich einige Möwen, die als schwarze Silhouetten der untergehenden Sonne entgegenflogen. Bald war nur noch ein kleines Segment des flammenden Runds zu sehen,

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