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der Rheinprovinz von Deutschland zu erreichen.

      Im September 1923 war die Lage eskaliert, es kam zu Angriffen auf Verwaltungs- und Regierungsgebäude. Wilhelm selbst hatte den bewaffneten Angreifern gegenübergestanden, die in das Rathaus von München-Gladbach eingedrungen waren.

      Später hatte er seiner Frau Gerta erzählt: »Unter Einsatz meines Lebens in vorderster Linie, habe ich brav und unerschrocken als deutscher Mann und Beamter meine vaterländische Pflicht erfüllt.«

      Gerta hatte ihn angesehen, mit jenem nüchternen Blick, in dem hin und wieder etwas aufblitzte, das sowohl Leidenschaft als auch Schalk sein mochte und er hatte einmal mehr gewusst, wie sehr er sie liebte und ihr verbunden war.

      Sein Vater Heinrich, ursprünglich Drechsler, später dann kaufmännischer Bezirksrevisor, hatte stets von ihm erwartet, dass er eine Beamtenlaufbahn einschlug, doch das Wälzen von Akten war Wilhelm nie genug gewesen.

      Es zog ihn in die Politik, dorthin, wo sich etwas verändern und bewirken ließ. Sein entschlossenes Auftreten und seine eloquente Ausdrucksweise ließen ihn schnell in der Politik Fuß fassen, was auch daran liegen mochte, dass man nach Männern wie ihm suchte, nach dem Entsetzen des Krieges, dem Abdanken des Kaisers; nach Männern, die sich in dieser neuen, aufregenden Welt zurechtfanden, zwar gottesfürchtig waren, aber keine Angst hatten, sich die Hemdsärmel schmutzig zu machen. Als eben so ein Mann verstand sich Warsch. Sein Glaube war ihm mindestens ebenso wichtig wie seine Liebe zum Vaterland.

      Zweifellos hätte er seinen Weg wohl auch noch unter dem alten Kaiser gemacht, doch so, wie die Dinge nun lagen, war ihm das um einiges lieber, galt es doch nun, selbst etwas zu erreichen. Hinfort mit den alten, verstaubten Institutionen, der preußischen Starre, Neues musste her und Warsch fand, dass sich ihre Republik durchaus sehen lassen konnte. Immerhin hatten sie sogar das Frauenwahlrecht geschaffen, wenn auch Frauen nicht in Ämter gewählt werden konnten, doch gab es verrückte Anführerinnen, die genau das forderten.

      Frauen mochten wählen dürfen, doch ihr Platz war das Heim und die Familie, wo sie in Sicherheit waren und den Zauber ihrer Sanftheit in voller Wirkung entfalten konnten. so sah es Warsch; so und mit dieser Meinung war er nicht alleine. Mit der zunehmenden Berufstätigkeit junger Frauen war er nicht einverstanden, ebenso wenig mit der Not, die die halbe Million Kriegswitwen in Deutschland zum Arbeiten zwang.

      Die Ponte erreichte das andere Rheinufer. Der Fährmann wandte sich der Stadtfront Uerdingens zu, die im hohen Licht des Spätsommertages leuchtete und strahlte wie frisch gewaschen.

      Die markante Silhouette der Rheinstadt mit ihren drei Kirchtürmen, den rauchenden Schornsteinen, den Mühlen und den vielen alten Gebäuden war schon beeindruckend.

      »Os Oeding es on blivt de Perl an de Rhien, och wenn et van lenks on reits in de Tang jenomme weed«, sagte er laut.

      Wilhelm verabschiedete sich und verließ die Ponte, um einen ausgedehnten Spaziergang in den Rheinauen zu machen, während dem er sich Gedanken über die Themen des bei ihm anstehenden Hausempfangs und seine Begrüßungsrede machen wollte.

      »Ich hörte, Warsch, dass Sie sich ebenfalls mutig den Separatisten entgegengestellt haben, drüben in München-Gladbach«, sagte Johannes Johansen, von seinen Ratsherren gern »doppelter Johann« genannt, während er einen vorsichtigen Schluck aus seinem Weinglas nahm.

      Gerta hatte für den besonderen Anlass extra die teuren Kristallgläser aus dem Schrank geholt. Wie durch ein Wunder war es ihr und Martha mit vereinten Kräften gelungen, alle Spuren des Umzugs verschwinden zu lassen, so dass die Gäste heute in einem perfekt hergerichteten Salon speisen konnten. Immer wieder hob einer der Männer zu einem Loblied auf Gertas Künste als Hausfrau und Köchin an, die sie vor Freude erröten ließen. Noch bevor sie beim Hauptgang angekommen waren, wusste Wilhelm, dass der Abend ein voller Erfolg war.

      »So war es«, bestätigte Wilhelm, der am Kopf der Tafel saß. »Ich sah mich verpflichtet, mein Vaterland vor diesen marodierenden Horden zu beschützen.«

      »Es ist mehr als 100 Jahre her, dass in Wien die linksrheinischen Gebiete zu Preußen gekommen sind, das ist nun nicht mehr rückgängig zu machen. Wie groß waren doch die Rufe danach, dass wir eine Nation sein sollten, ein geeintes Reich von Deutschen. Und nun ist es diesen Ewiggestrigen wieder nicht recht. Die Zeit der Partikularstaaten ist endgültig vorbei, schaut doch nur, was die Bolschewiken gerade in Russland tun. Sie gründen ein gewaltiges, russisches Reich, das von den Toren Europas bis nach China reicht. Und wir streiten hier um das Rheinland?«, meldete sich Konrad Beck zu Wort, ein weiterer Krefelder Stadtverordneter. Er war ein hagerer Mann, dessen Antlitz unwillkürlich an einen Vogel erinnerte.

      »Machen wir uns doch nichts vor, es geht ihnen einzig um die Industrieanlagen, um den schnöden Mammon. Die ganze Heimatliebe ist doch nur vorgeschoben«, tönte Walter Kaufmann, ebenfalls ein Stadtverordneter, ein untersetzter Mann mit Glatze und Zwicker über der Nase.

      »Nun, meine Herren, ich denke, wir haben es hier mit ganz grundsätzlichen Fragestellungen zu tun«, sagte Johansen, dessen auffälligstes Merkmal sein stets wohlgeformter, dunkelblonder Victor-Emanuel-Bart war. Er stellte sein Glas auf den Tisch und drehte den Stiel zwischen seinen Fingern.

      »Die Zeichen stehen auf Wachstum, nachdem die schrecklichen, mageren Nachkriegsjahre endlich ihrem Ende zu gehen. In Berlin tanzt und feiert man ganze Nächte hindurch, nebenbei werden große Geschäfte gemacht. Fast jeden Tag gibt es eine bahnbrechende neue Erfindung, gerade findet in Paris eine weitere Weltausstellung statt. Die Frage ist, wie sich unser schönes Deutschland in diesen Reigen einfinden wird, doch das sind wohl Fragen, die eher im großen Berlin entschieden werden.«

      »Berlin ist weit weg«, brummte Gerold Meintker, ein ansonsten besonders schweigsamer Stadtverordneter, der seine Ansichten sonst hinter seinen buschigen Augenbrauen verbarg.

      »Das ist richtig, Kollege Meintker, und das sogar, obwohl ihr SPD Mitglied seid«, erwiderte Johansen.

      Verhaltenes Gelächter war zu hören.

      Es gehörte zu den für die SPD traurigen Tatsachen, dass Reichspräsident Friedrich Ebert, Mitglied der SPD, sein Amt auch in Folge des Ruhrkonflikts verloren hatte, was innerhalb der Republik für eine gewisse Verunsicherung sorgte. Hinzu kamen Streitigkeiten um Bayern und Sachsen und schließlich zerbrach die Koalition der SPD mit der Zentrumspartei. Es gab Neuwahlen und anschließend war der Zentrumspolitiker Wilhelm Marx Reichskanzler geworden. Auch wenn Wilhelm mit der SPD als Vertretern der Arbeiter und ihrer Nähe zu den dezidiert republikfeindlichen Kommunisten nicht viel anfangen konnte, so wusste er sehr wohl um die Verdienste von Friedrich Ebert, der immerhin die Währungskrise und damit eine der größten Herausforderungen der jungen, neuen Republik gemeistert hatte.

      Dass der wohlverdiente Politiker nach einem schmählichen Prozess, in dem man ihm im Zusammenhang mit dem vergangenen Weltkrieg »Verrat« seitens von Journalisten und des Gerichts unterstellte, kurz darauf an einem unbehandelten Blinddarm starb, hatte nicht nur in den Reihen der SPD für Empörung gesorgt. Seither gingen die Streitigkeiten in den Parlamenten weiter, erbitterter als je zuvor, dennoch wirkte es, als hätte die Ablösung der SPD eine gewisse Stabilität herbeigeführt.

      »Was schwebt euch vor, Johansen?«, fragte Warsch, dem nicht entging, dass der Krefelder Bürgermeister offenbar angestrengt über etwas nachdachte.

      »Nun«, sagte Johansen. »Wachstum und Zentralisierung, das dürften für euch keine Fremdwörter sein. Warum sprechen wir also nicht über die wohl absehbare Neugliederung der Städte an Rhein und Ruhr? Die Gemeinden Bockum, Verberg und Oppum sind ja bereits seit 1907 Teil von Krefeld. Eine klare Einstellung zur kommunalen Expansionspolitik war vor 14 Jahren ausschlaggebend für meine Wahl zum Oberbürgermeister, als Nachfolger von Prof. Dr. Oehler. Immerhin konnte Krefeld bisher auf diese Weise sein Stadtgebiet in beachtlichem Umfang ausdehnen. Wie steht es denn um Uerdingen? Viele Möglichkeiten gibt es dazu wohl nicht.«

      Wilhelm hielt kurz inne. Alle Blicke richteten sich auf ihn.

      »Wir planen, schon in den nächsten Jahren einen Teil aus der Gemeinde Hohenbudberg-Kaldenhausen einzugemeinden«, sagte er und erntete zustimmendes Nicken.

      »Darüber

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