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70 Tage Pandemie. Hendrike Piper
Читать онлайн.Название 70 Tage Pandemie
Год выпуска 0
isbn 9783347097148
Автор произведения Hendrike Piper
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
Tag 9
Im Elsass scheinen die Krankenhäuser zuzulaufen, in einer Art Panikreaktion (oder angemessen?!) wurde ein Hausarrest für diese Region verhängt. Unser offenbar nicht um Menschen an sich, sondern um „seine“ Baden-Württemberger besorgter tattriger Ministerpräsident spricht nicht etwa von Hilfsmaßnahmen, stattdessen philosophiert er über Grenzschließungen.
Als direkte Reaktion auf den Notbehelf mancher verzweifelter Familie auf die Schulschließung erfolgt im Übrigen eine öffentliche Mahnung: Die Kinder zur Betreuung bei der „Risikogruppe“ (auch dieser Begriff übrigens ein heißer Tipp für das (Un?) Wort des Jahres) Großeltern abzugeben sei nicht angeraten, nein, sogar gefährlich und unverantwortlich. Die kleinen Keimschleudern, die schon vor der großen Schulschließung in starkem Verdacht gestanden hatten, zur Verbreitung auch des neuesten Virus kräftig beizutragen, sollten doch am besten zu Hause bleiben. Wie lange? Keine Antwort!
Lustig (oder eben auch gerade so gar nicht!) auch die neue Regelung für Restaurants: dort darf jetzt nur noch von 11: 00 bis 17: 00 gespeist werden – jegliche echt geduldigen Erklärungsversuche der Gastronomen gegenüber der Obrigkeit, dass hiermit genau jene Zeit, in der ein Großteil der Einnahmen erzielt werde, gestrichen werde, bleiben wirkungslos. Und ich frage mich, ob Rocona abends ansteckender und tödlicher ist als mittags?!
Das neue Gesicht neben Kanzlerin Kermel ist „Star-Virologe“ Frosten. Er erklärt uns mantraartig, dass es um ein „Abflachen der Kurve“ (der Neuinfektionen) geht, die 1-Million-Dollar-Frage, was passiert, wenn die Kurve denn dann abgeflacht ist, stellt keiner.
Tag 10
Immer noch kein Klopapier. Langsam wird’s wirklich knapp. Auch im Seifenregal bei DM klaffen riesige Lücken, ein paar wenige gibt’s noch. Die Kinder dürfen aussuchen, wir kaufen zum ersten Mal in unserem Leben vegane Share-Flüssigseife „Weißer Lotus – Mandelöl“ zu Freudenhauspreisen. Zu Hause stellt sich heraus: das Zeug riecht total gut, wer hätte das gedacht!
In den sozialen Netzen kursieren Posts, welche Länder was horten (s.u.), sehr lustig!
Hamsterkäufe
USA: Medikamente und Waffen
Italien: Zigaretten und Grappa
Frankreich: Kondome und Rotwein
Holland: Haschisch und Käse
Schottland: Whisky
Deutschland: Klopapier und Mehl
Ich bin im falschen Land!
Die Grenzen sind nun übrigens wirklich dicht. Einfach so! Rüber darf nur noch, wer einen triftigen (schriftlich verbrieften versteht sich!) Grund hat. Nicht nur nach Frankreich, sondern wohl auch anderswo. So richtig weiß das keiner, die Gerüchteküche (und nicht nur diesbezüglich) kocht seit Tagen, eigentlich seit Beginn dieser Simulation vor sich hin. Weitere Inhalte sind die Herkunft des Virus (laborgezüchtet und so – mal ehrlich, dafür ist dieses Rocona doch ein bisschen lame1, oder?!), mögliche weitere drastische Maßnahmen, die uns drohen (und die Leute sagen mit einem lustvoll schaudernden Unterton „bald dürfen wir auch nicht mehr raus“ – als wären die in einer Simulation und nicht ich!), Todeszahlen, Infektionsketten, …. Ich habe das Gefühl im falschen Film zu sein (bin ich ja irgendwie auch) und merke, dass es unpopulär wird, „das Ganze nicht ernst genug zu nehmen“.
1 lame [le
m] = Englisch für: lahm, schwach, dürftig, unzureichend, wenig überzeugendTag 11
Tja, das finden wohl auch Frau Kermel und der sie neuerdings wie ein Schoßhündchen begleitende Frosten (oder ist das Verhältnis zwischen ihnen vielmehr anders herum? Ach, egal). Jedenfalls traten sie heute gemeinsam vor die Presse um uns (ihrem Land, ihren Bürgern) mit Grabesmiene genau das vorzuhalten. Weil so viele von uns (diese unsolidarischen Schweine, könnte man als Unterton herauslesen…) zu viele Kontakte gepflegt hätten, auch sogar in der letzten Woche noch, als man uns doch schon so ausdrücklich gewarnt habe [usw., usw.] – müsse man diese jetzt gesetzlich unterbinden. Deshalb (zum Schutz aller und vor allem der Risikogruppe und um die erwartete Infektionswelle soweit hinauszuzögern („flattening the curve“, kennen wir ja jetzt alles schon)) müssen wir jetzt alle zu Hause bleiben und dieses nur noch im Kreise der Familie verlassen, sprich, es ist verboten, Freunde zu treffen. Und die Restaurants und Frisöre und was auch immer sind nun auch zu (war mittags wohl doch auch zu ansteckend…).
Sacht mal, Kermel und Frosten, seid Ihr meine Mama und Papa?! Weil wir nicht artig waren, müssen wir bestraft werden und wenn wir wieder nicht artig sind – ja, was dann? „Damit wir nicht so Bilder wie in Italien sehen müssen“. Ach so.
Ich fühle mich bevormundet, machtlos, einfach nur schlecht. So hab` ich mir das Pandemie (ach so, ja, die wurde nebenbei auch mal an einem der letzten Tage ausgerufen, um die gerade verabschiedeten Gesetze zu rechtfertigen) - Szenario nicht vorgestellt: Immer noch keine Leichenberge, aber mir von Mutti sagen lassen müssen, was ich zu tun und was zu unterlassen habe. Ich spiele mit dem Gedanken, das Ganze abzubrechen, bin aber, da die Simulation noch weitere 59 Tage dauern soll, doch zu neugierig, was noch geschehen wird. Aber heute gebe ich mir das Versprechen, wachsam zu bleiben, was hier passiert und notfalls agierend einzugreifen (wenn möglich).
Tag 12
Kurioses, Teil 518: Heute beim Bäcker! Schon auf dem Weg dahin (relativ früher Morgen) zählen wir (neidisch?!!) die Menschen, die mit Klopapierpackungen unterwegs, ergo, uns Langschläfern zuvorgekommen sind und die kärgliche morgendliche Lieferung aus dem Supermarkt direkt weggekauft haben. Wir stellen uns auf einen weiteren Tag ohne Hakle und co ein. Welch` erfreuliche Überraschung, beim Bäcker in der Auslage neben Brötchen und Gebäck Mehl, Seife und - joheiassa! - Klopapier zu finden! Die nette Bäckersfrau erklärt uns, dass sie das für ihr (gestern per Dekret geschlossene) Café jetzt erstmal alles nicht mehr braucht und es deshalb angesichts des allgemeinen Mangels ihren Kunden verkauft. Da wir nicht so viel Geld dabeihaben, werden es jetzt halt ein paar weniger Brötchen, aber egal! Diese kreative Freundlichkeit unseres Stammbäckers beschwingt, zum ersten Mal kann ich die schon seit Tagen in der Zeitung gelobte Solidarität (von wegen Einkaufen für die Risikogruppe und so) ein Stück weit nach- und mitfühlen. Die ergatterte Packung gibt Sicherheit, jetzt kann nichts mehr schiefgehen!
Einkaufen an sich ist übrigens über Nacht völlig unentspannt geworden: Wie aus dem Nichts schießen Trennscheiben (der inoffizielle despektierliche Name lautet: Spuckschutz!), die die freundlichen Kassiererinnen vor der feuchten Aussprache ihrer Kunden (und vice versa) schützen sollen, aus dem Boden und an die Supermarktkassen. Außerdem gibt es in manchen Läden nun vorgeschriebene Laufwege, die mit Pfeilen auf dem Boden gekennzeichnet sind. Die besonders hygienebewussten Betreiber desinfizieren nach jedem Kunden die Grifffläche des Einkaufswagens. Letztere dienen in den meisten Geschäften nun als Kundenzähler. Wenn alle weg sind, heißt es draußen warten. Passiert aber eh kaum, da es völlig leer ist, sitzen wohl alle angsterfüllt zu Hause. Irgendwie spooky2, das Ganze, ich gehe lieber auch wieder schnell nach Hause!
2 spooky ['spu: ki] = Englisch für: gruselig, gespenstisch, schauerlich, geisterhaft, schaurig, schreckhaft
Tag 13
Wieder mal wandern. Heute alleine, denn mit Freunden ist ja verboten. Dieselben, die am letzten Wochenende noch so lustige Klopapier-Witze im WhatsUpp-Status