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Mysterien, wie z.B. das der Dreieinigkeit. Daher lohnt es sich, hier noch einmal etwas genauer hinzuschauen. Was ist Erleuchtung? Grundsätzlich ließe sie sich definieren als das tief empfundene Gefühl der Einheit oder auch der Zustand der Einheit, der mit einem Gefühl tiefen Friedens einhergeht. Ist dieses Erleben, ist dieser Zustand nun dauerhaft? Er ist sicher bei einigen Menschen in dem Sinne dauerhaft, als sie ihn für ihr ganzes irdisches Leben nicht mehr verlieren. In der Literatur wird zwar unterschieden zwischen dauerhaften und nicht dauerhaften Erleuchtungszuständen (Savikalpa Samadhi, Kevala Nirvikalpa Samadhi, Sahaja Nirvikalpa Samadhi), aber auch wenn Sahaja Nirvikalpa Samadhi als dauerhafter Zustand - das heißt: als das Ende des Kreislaufs der Wiedergeburten - beschrieben wird („wie ein Fluss, der sich mit dem Ozean vereinigt hat“), so ist eben diese Behauptung nicht auf Erfahrung gegründet, weshalb man sie als die eigentliche Offenbarung des Vedanta (bzw. des Buddhismus etc.) bezeichnen kann. Die Behauptung, dass man als erleuchteter Mensch nicht wiedergeboren wird, ist letztlich ein Glaubenssatz.

      Uns erscheint das Weltbild, das auf Nahtoderfahrungen beruht, insofern als das umfassendere, philosophisch gesehen vollständigere, als hier die Vielheit nicht bloß als Täuschung, sondern als Realität gesehen wird (wenn auch nur als relative Realität, während die Einheit die absolute Realität darstellt). Der Satz „Der Vielheit liegt eine Einheit zugrunde, die tiefer ist als die Vielheit“ ist ein Satz, der mehr Wahrheit enthält, als der Satz „Es gibt nur Einheit und Vielheit ist bloße Täuschung“. Einheit-in-der-Vielheit und Vielheit-in-der-Einheit ist das Letzte und Tiefste, was man über die Realität sagen kann, ist die tiefste Realität. Realität heißt auf deutsch „Wirklichkeit“. Bloße Einheit ist keine Wirklichkeit, denn in der absoluten Einheit kann nichts wirken. Wenn man zur intuitiven Erkenntnis der Einheit aller Dinge kommt, verschwindet dadurch ihre Vielheit? Das tut sie nicht. Das östliche Weltbild würde da anfangen, falsch zu sein, wo behauptet wird, dass die Vielheit sich wirklich und in jedem Sinne auflöst, denn diese Auflösung wäre auch das Ende der „Realität“. Die Erfahrung der Einheit ist in jedem Fall ohne die Erfahrung der Vielheit unvollständig oder unmöglich. Keine „Einheitserfahrung“ ohne „Vielheitserfahrung“.

      Wir müssen die Lehren aus Nahtoderfahrungen und die Lehren des Vedanta in einen gemeinsamen Kontext bringen: Das ist der einzige Weg zu einem wirklich ganzheitlichen und modernen Weltbild, zu einer wirklich ganzheitlichen und modernen Spiritualität. Beide Weltbilder sind in ähnlicher Weise zueinander komplementär wie in der Quantenphysik die Interpretationen der Realität als Teilchen und als Welle sich komplementieren. Niels Bohr formulierte folgende Interpretation des Doppelspaltexperiments: „Die Begriffe Teilchen und Welle ergänzen sich, indem sie sich widersprechen; sie sind komplementäre Bilder des Geschehens.“ Das Komplementaritätsprinzip in der Physik ist ein hervorragendes Analogon zum Verhältnis unserer Weltbilder, insofern, als die Art der Beobachtung determiniert, welches Weltbild als richtig erscheint. Hier ist es nun so, dass man ganz und gar vom Standpunkt des eigenen Bewusstseins ausgehend zur Nicht-Dualität gelangt; dies wäre der „östliche“ Standpunkt. Man betrachtet also das eigene Bewusstsein als das zunächst einzige Gegebene, als einzige unmittelbare, „sichere“ Realität, während man die vom eigenen Bewusstsein unabhängige Realität „äußerer“ Objekte als potentiell illusorisch ansieht („von innen betrachtet“). Wenn man hingegen das eigene Bewusstsein mehr „von außen“ betrachtet, indem man die Phänomene, die sich in diesem Bewusstsein darstellen, also den „Inhalt“ des Bewusstseins, interpretiert und auslegt, wenn man Offenbarungen, die Transzendierungen des individuellen Bewusstseins sind, miteinbezieht, gelangt man zum „westlichen“ Weltbild, welches stärker die Realität der Vielheit und Multidimensionalität betont. Wie in der Quantenphysik ergeben zwei unterschiedliche Standpunkte, von denen aus man die Welt betrachtet, zwei unterschiedliche „Weltbilder“ (der sogenannte „Welle-TeilchenDualismus“), die man als sich ergänzend und nicht als sich widersprechend sehen kann und sollte. Man könnte sogar sagen, dass vom Standpunkt der Vielheit aus die Wahrnehmung der absoluten Einheit eine Täuschung ist und dass vom Standpunkt der Einheit aus die Wahrnehmung der absoluten Vielheit eine Täuschung ist. Jedes „Entweder-Oder“ ist hier automatisch falsch, nur ein „Sowohl-als-Auch“ nähert sich der Wahrheit an, auch wenn natürlich die Einheit das Erste ist und daher ihr Standpunkt der höhere, umfassendere, der aber für sich genommen die Realität nicht vollständig beschreibt.

      Die zwei philosophischen Perspektiven, die dem Gedanken der Einheit-in-der-Vielheit unterzuordnen sind, sind Realismus und Idealismus. Der Realismus sagt „Die Realität ist viele Dinge“, der Idealismus sagt „Die Realität ist mein Bewusstsein“. Können wir, statt ewig zwischen diesen beiden hin- und herzuwechseln, beide Standpunkte transzendieren? Schon der alte Kantische und Schopenhauersche Gegensatz von „Ding-an-sich“ und „Erscheinung“ ist, richtig verstanden, erhellend, kann aber auch irreführend sein, wenn man die Konzepte als Dualismus auffasst. Brahman ist das „Ding-an-sich“, aber die Erscheinungswelt ist nichts von Brahman Verschiedenes (kein dualistisches Gegenteil), sondern er erscheint sich selbst, oder, wie die Yoga Vasishta Sara es ausdrückt: So wie ein einzelnes Gesicht in vielen Spiegeln als viele erscheint, so erscheint das eine Selbst in vielen Intellekten als viele. Aber nur die Reflexionen können unklar oder verunreinigt sein, das Urbild bleibt immer rein und klar. Oder christlich ausgedrückt: Gott schuf den Menschen nach „seinem Bilde“; das göttliche Urbild bleibt immer vollkommen, auch wenn die Seelen, die Kinder des Höchsten, es nicht vollkommen realisieren.

      Nicht-dualistische mystische Lehren gibt es natürlich nicht nur in den indischen Traditionen, sondern auch im Westen. Nicht-Dualität ist auch keine exklusive Lehre der Upanishaden oder Jesu Christi (etwa im Johannesevangelium und einigen Apokryphen), sondern findet sich in vielen anderen großen Traditionen, dem Buddhismus, Sufismus, Taoismus, gnostischen Schriften, letztlich in jeder Mystik von Meister Eckhart bis zu Ramana Maharshi. Aber Advaita Vedanta und die Person Christi sind als Zugangspunkte besonders hilfreich, weil sie von zwei unterschiedlichen Seiten darauf hinwirken, das falsche Weltverständnis des bloß rationalen Verstandes aufzulösen. Advaita Vedanta zeigt systematisch, was alles nicht die „wahre Realität“ sein kann. Durch diese Methode der Elimination bleibt schließlich nur das „wahre Ich“, Atman, übrig. Jesus Christus zeigt durch sein Beispiel, dass durch die Kraft der Liebe, durch das Verständnis des Herzens, sich die vermeintlichen Beschränkungen der materiellen Welt, Maya, auflösen. Grundsätzlich ist die Gefahr, mystische, offenbarte Lehren misszuverstehen bei den Offenbarungsreligionen noch viel größer, wenn die Gläubigen keinen „Abgleich“ oder keine Verifizierung und Erforschung des Gelernten mit Hilfe von Innenschau betreiben. Auch sind natürlich keineswegs alle Offenbarungen echt - und doch gibt es auf der Erde immer wieder Offenbarungen des Allerhöchsten.

      Die Entwicklung des Bewusstseins hin zur Präsenz, zur Nicht-Dualität, wie sie Eckhart Tolle und Rupert Spira lehren, ist für die allermeisten Menschen sicher der wichtigste spirituelle Entwicklungsschritt, den sie hier auf der Erde machen können: daher die Wichtigkeit, der hohe Wert dieser Lehrer. Ihr historischer Prototyp ist Buddha, der Erleuchtete. Wenn wir aber an transzendente Welten und Offenbarungen glauben, gibt es jenseits dieses Schrittes noch unabsehbar viele Möglichkeiten der geistigen Entwicklung. Wenn sich die Erkenntnis der Einheit-in-der-Vielheit bei einem geistigen Wesen verfestigt hat, ist dieses Wesen bereit für neue Aufgaben, denn es sieht seine Rolle im Kosmos nun ganz anders, nämlich als Teil eines großen göttlichen Plans, einer Evolution des Geistes, und nicht als eine getrennte Einheit, die nur auf das eigene Überleben bedacht sein muss.

      Erleuchtungserfahrungen sind keineswegs abhängig von östlichen Philosophien; sie geschehen spontan und die Philosophien helfen nur, sie im Nachhinein zu erklären (wobei sich die „Erleuchtung“ durch bestimmte spirituelle „Techniken“ zwar vorbereiten, aber nicht erzwingen lässt). Auch der „Weg der Liebe“ ist natürlich nicht abhängig vom christlichen Kontext; entsprechend sollte man sowohl hinduistische als auch christliche Lehren als Hilfestellung sehen. Wir brauchen ein neues Weltbild, das über traditionelle östliche religiöse Ansätze ebenso hinausgeht, wie über traditionelle christliche Ansätze und dessen vielleicht wichtigste Quelle Nahtoderfahrungen sind. Tiefe Nahtoderfahrungen geben uns Aufschlüsse über den geistigen Kosmos und unseren Platz in ihm. Wir sind im Moment noch dabei, alte Traditionen im Lichte neuer Offenbarungen durch Nahtoderfahrungen einzuordnen.

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