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von Byblos«, die mit der Göttin Hathor identifiziert wird. Der Ort war auch eine wichtige Station für den Handel mit Lapislazuli und Türkisen. Eine Inschrift in Sinai berichtet, dass ein Mann namens Chebded, der »Bruder« des Herrschers von Byblos, mehrere Unternehmungen anführte, bei denen semitische Arbeiter in den Sinai aufbrachen, um dort Türkise auszugraben.

      Wenn wir uns erinnern, welche Rolle die Türkisgruben des Sinai und ihre Schutzgöttin Hathor bei der Entwicklung des protosinaitischen Alphabets spielten, verwundert es nicht, dass manche Forscher neuerdings Byblos statt Ugarit als Mutterstadt des Alphabets identifizieren wollen. Diese These wurde 2013 auf der schon erwähnten Konferenz in Jerusalem von der italienischen Assyrologin Maria Vittoria Tonietti und dem französischen Epigraphiker Émile Puech vertreten. In den Ruinen von Byblos fand man Zeugnisse einer bisher nicht entzifferten Silbenschrift, deren Zeichen auffällig den Konsonantenzeichen der phönizischen Schrift und des altägyptisch-sinaitischen Uralphabets gleichen. Die älteste für Lehrzwecke genutzte Tontafel stammt aus der Ur-III-Periode der Stadt, die von 2112 bis 2004 v. Chr. angesetzt wird. Sie listet teilweise schon Silbenzeichen nach dem ersten Konsonanten auf. Laut Émile Puech, der einige Inschriften aus dem Türkisabbaugebiet des Sinai auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts v. Chr. datiert (darunter auch die Inschrift der schon erwähnten Sphinx), könnte das Alphabet im Lande Retjenu erfunden worden sein – so nannten Ägypter die Region, zu der Kanaan, der Libanon und Syrien gehörten. Die Hieroglyphenschrift sei dafür sicher eine Inspiration gewesen, doch einige Buchstabenformen korrespondierten mit keinem ägyptischen Zeichen. Mit den Expeditionen des genannten Herrscherbruders Chebded wäre das Alphabet zu den Semiten in Ägypten und den Sinai gekommen.

      Dazu scheint zu passen, dass man im 20. Jahrhundert etwa 25 frühsemitische Alphabetinschriften in dem geographischen Raum fand, der heute zum Libanon und zu Israel gehört. Sie stehen auf einem Dolch, Pfeilspitzen und Scherben von Töpfergut. Der Dolch datiert wahrscheinlich aus der Zeit vor 1650 v. Chr., einige Scherben könnten noch einmal hundert Jahre älter sein. Die ältesten Funde stammen allerdings aus dem Süden des genannten Gebiets. Das ist ein Indiz dafür, dass sich das Alphabet vom Sinai kommend an der Küste entlang nach Norden ausgebreitet hat. Das wiederum spräche gegen die Theorie von Ugarit oder Byblos als Geburtsort des Alphabets. Im letzten Jahr des alten Jahrtausends wurde die Ugarit-oder-Byblos-Hypothese dann durch eine Entdeckung im inneren Ägypten erschüttert.

      Graffiti in der Wüste

      Die sogenannte Farschût-Straße, die von Theben in die Libysche Wüste führt, lag nicht immer so menschenleer da wie heute. Einst war sie eine viel berittene und begangene Piste, über die ägyptische Polizei- und Militärkommandos nach Westen und Süden aufbrachen. Die Straße verband die Hauptstadt mit Hu und Abydos im Norden und den Oasen Charga und Dachla in der – wie die Ägypter sie nennen – Westlichen Wüste. In dieser Gegend waren vor allem in unruhigen Zeiten immer Soldaten stationiert.

      Inmitten der Farschût-Straße liegt das Wadi el-Hol. Ein Wadi ist ein ausgetrocknetes Flussbett, das sich nur bei den wenigen Regen in der Wüste mit Wasser füllt. Dieses Wadi war ein Ort, der Soldaten dazu anregte, Graffiti zu hinterlassen, bevor sie – vielleicht ohne Wiederkehr – in die Wüste zogen. Die Stimmung dürfte oft so gewesen sein wie im berühmten Lied von Freddy Quinn: »Hundert Mann und ein Befehl und ein Weg, den keiner will.« Der Vergleich liegt auch deshalb nahe, weil es sich bei den Soldaten häufig um eine Art Fremdenlegionäre handelte, also Männer, die »fern von Zuhaus« für fremde Herrscher kämpften.

      Hunderte von Inschriften und Bildern hat man bis heute im Wadi el-Hol gefunden. Die meisten stammen aus der Zeit zwischen 2000 und 1700 v. Chr. Während des späten Mittleren Reiches und der Zweiten Zwischenzeit befand sich hier ein Militärstützpunkt, der Theben gegen Überfälle aus der Wüste sichern sollte. Der größte Teil der Inschriften ist in hieratischer Schrift geschrieben.

      Genau diese Inschriften wollte der Ägyptologe John Coleman Darnell eigentlich kopieren, als er im Wadi el-Hol forschte. Seit den frühen neunziger Jahren sind der Wissenschaftler, der damals wie heute der Universität Yale angehört, und seine Frau Deborah als Leiter des von Yale finanzierten Theban Desert Road Survey zu mehr als 20 Expeditionen in die ägyptische Wüste aufgebrochen, um dort die alten Straßen zu kartographieren und archäologische Relikte zu finden. Dabei entdeckten sie unter anderem ein Graffito, das den Sieg des ca. 3150 v. Chr. geborenen frühdynastischen ägyptischen Königs Skorpion I. über einen Gegner namens Bullenkopf feiert und im Zusammenhang mit der Gründung eines Einheitsstaates in Oberägypten steht. Es gilt als die älteste geschichtliche Aufzeichnung Ägyptens.

      Was sie im Wadi el-Hol fanden, kann es aber an Bedeutung mit diesem Fund durchaus aufnehmen und übertrifft es sogar. Das gut erhaltene Stück der alten Farschût-Straße entdeckten sie 1992. Es liegt in einem Tal mit gelblichen Sandsteinfelsen. Offenbar war es seit der Antike in Vergessenheit geraten und deshalb an diesem unwirtlichen Ort vor Dieben geschützt gewesen. Vor den Augen der Darnells breiteten sich zahlreiche Überbleibsel aus altägyptischer Zeit aus: Überreste von Dung, Töpferwaren, Fasern von Seilen. Am Fuß der Felswände waren hunderte ägyptische Inschriften eingekratzt von Leuten, die auf ihren Reisen hier vorbeigekommen waren. Die relativ weichen Felsstücke waren teilweise glatt wie Schultafeln und schienen Durchreisende geradezu einzuladen, sich zu verewigen. Auf den ersten Blick sahen die Inschriften nicht ungewöhnlich aus. Es war eine Mixtur aus Hieroglyphen und hieratischen Zeichen, deren Stil typisch war für die Spätzeit des Mittleren Reiches zwischen 2000 und 1600 v. Chr. – unruhige Zeiten, in denen Ägypten von Eroberern aus dem Norden und Süden unter Druck gesetzt wurde. Briganten machten die Wüstenstraßen unsicher. Aus der Königsstadt Theben zogen hier häufig Militärpatrouillen entlang, um die Wege für berittene königliche Nachrichtenkuriere freizuhalten. Im Wadi el-Hol findet sich die Darstellung eines Pferdes mit Reiter, die Signatur eines Stallmeisters des Pharaos Ramses, und auf Stelen der 21. Dynastie wird die Farschût-Straße als »Straße der Pferde« bezeichnet.

      Angesichts des ungewissen Schicksals, das die Soldaten erwartete, wollten sich viele offenbar hier verewigen, bevor sie möglicherweise auf Nimmerwiedersehen in der Wüste verschwanden. Was sie hinterließen, hatte nichts Spielerisches oder Obszönes wie die Graffiti römischer Sexprotze und Maulhelden in Pompeji – es waren vielmehr Grab- oder Gedenksteine für Menschen, die noch lebten. Üblicherweise schrieben die Männer ihren Namen, ihren militärischen Rang und ein kurzes Gebet an eine Gottheit, mit dem sie um Schutz für ihre Wüstenmission baten. Vorüberkommende sollten später den Namen des Schreibers lesen und vielleicht sogar laut aussprechen. Die Ägypter glaubten bekanntlich an ein Leben nach dem Tode. Für die Seele würde es aber hilfreich sein, wenn man sich auf Erden an den Menschen erinnerte.

      Bei seinem dritten Besuch 1994 bemerkte Darnell zwei Inschriften, die sich von den übrigen unterschieden, aber einander ähnelten. Etwas mehr als sechs Meter voneinander entfernt waren sie etwa in Schulterhöhe im Sandstein verewigt. Die Platzierung und die Methode, mit der sie eingeritzt wurden, waren die gleichen wie bei den hunderten anderen – typische Soldatengraffiti aus dem Mittleren Reich. Aber Darnell konnte sie nicht lesen.

      Die zwei Inschriften bestanden aus 16 und zwölf Zeichen, einige kamen doppelt vor. 15 verschiedene Zeichen waren benutzt worden. Einige waren erkennbar Bilder. Darnell identifizierte einen Ochsenkopf, ein Strichmännchen mit erhobenen Armen, Wellenlinien und ein symmetrisches Kreuz. Dem amerikanischen Autor David Sacks sagte Darnell etwa zehn Jahre später in einem Interview: »Auf den ersten Blick sahen sie so ähnlich aus wie die Sinai-Inschriften. Deshalb war ich sicher, dass sie sich auch als alphabetisch herausstellen würden.«

      © Marilyn Lundberg, West Semitic Research, University of Southern California

       Zwei der beiden ältesten bislang bekannten Alphabetinschriften aus dem Wadi el-Hol, Ägypten, ca. 2000–1900 v. Chr.

      Daran zweifelt heute kaum noch jemand. Die Zeichen sind zwar teilweise von hieratischen Zeichen (etwa die Buchstaben »sitzender Mann« und »Mauerecke«) und teilweise von Hieroglyphen (»Rinderkopf«, »gedrehter

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