Скачать книгу

dem Menschen, den du mehr oder weniger fragen wolltest, wo man sich zum Widerstand anmeldet, vorzuspielen, du wärst regierungstreu.“

      „Ich hatte einfach Angst, nicht nur um mich.“

      Roald kraulte seinen Bart. Jede falsche Äußerung konnte nun ziemlich ins Auge gehen. Elisa war scheinbar zum Handeln entschlossen, aber so schlimm der Krieg auch mittlerweile lief, an allen ihm bekannten Stellen war man dauerhaft am Zögern.

      „Du solltest dich noch ein wenig zurückhalten, Elisa. Ich schätzte deinen Mut. Aber übe dich in Geduld, die Zeit ist noch nicht reif.“

      „Aber ich sehe doch, wie alles nach und nach in Scherben geht!“ Elisa nippte am Tee.

      „Du kannst, sagen wir, subtil versuchen, deine Parteifreunde zu überzeugen, sich gegen den Krieg auszusprechen. Aus reiner Vaterlandsliebe.“

      „Meine Intention ist immer nur Vaterlandsliebe.“

      „Ach ja, richtig. Nun, dann halt dich bitte noch eine Weile zurück. Ich kenne niemanden, der im Moment bereit ist, gegen den Kurs aufzustehen. Eher sind noch jene wie ich, die den Kopf einziehen wollen, bis der Sturm vorbei ist, am Werk. Um den Menschen im Land nach dem Krieg eine Zukunft bauen zu können.“

      „Danke. Ich werde mich mäßigen und mich bemühen, die Menschen zu kleinen Dingen zu ermutigen, solange, bis die Zeit wirklich reif ist.“

      „Wenn du wirklich jetzt losschlagen willst, musst du alleine zurechtkommen.“

      Elisa bedankte sich, während der alte Graf sich wieder seinem Literaturführer widmete und anfing, den restlichen Tee auf die Rosenstöcke zu verteilen.

       „Alarm! Alarm! Wenn der Luftschutzwart die Glocken läutet, dann keine Angst, Bürger von Smarberg! Ab in den Keller und Kopf einziehen. Dem Feind, der versucht, unser armes Land mit seinen Angriffen zu überziehen, wird geholfen werden! Die Schüler- und Studentenkompanie von Smarberg ist zur Stelle!

      Ob als Luftraumbeobachter oder Beleuchter, an der Flugabwehrkanone oder im furchtlosen Kampf gegen die Flammen. Unsere Jungen kann niemand aufhalten. Die vorbildliche Erziehung unserer Regierung hat eine Generation geformt, deren Ehre Treue heißt. Treue zum Vaterland. Treu und stets zur Stelle zum Schutze der Heimat. Nicht als Lümmel faul auf der Haut liegend, nein!

       Sondern, während ihre Väter und Brüder für uns alle an der Front ihr Blut geben, sind schon die Jüngsten zur Stelle, um den verwundbarsten, aber auch schönsten Teil unseres Landes zu schützen. Die Heimat! Die Familie! Die Freiheit! Die Schüler- und Studentenkompanie von Smarberg: stets zur Stelle, wenn es darauf ankommt!“

      „Und … im Kasten!“

      „Gut. Wir bedanken uns bei der schmeichelhaften Darstellung durch die Wochenschau. Jetzt aber wieder jeder zusammenreißen. Der restliche Tag zur freien Verfügung. Wir sind Teil der Schüler- und Studentenkompanie.

      Seht es als großes Privileg, mitten im Krieg studieren bzw. die Schule besuchen zu können. Daher ist es unsere Pflicht, die Kampfkraft und Ausbildung auch hier in der Heimat im relativen Frieden fortzusetzen.

      Seid stets gewappnet, auch wenn Smarberg noch nicht angegriffen wurde. Der Tag X wird kommen; dann stehen wir bereit. Achtung! Vom Dienst abgetreten!“

      „Vater hatte sich immer gewünscht, der Junge solle Soldat oder sogar Offizier werden. Wenn nicht im Militär, dann zumindest bei den Parteitruppen. Aber diese versoffenen Schläger und Großmäuler haben mir nie zugesagt. Eigentlich hasse ich Politik und deren Vertreter samt ausuferndem Hofstaat, aber die Armee! Ja, die Armee war für mich immer ein Garant für den Fortbestand anständiger, mutiger Männer, die wiederum in Staat und Gesellschaft als gute Beispiele stets voran gehen. Ja, dafür lohnt es sich durchaus, ein paar Mal in der langweiligen Schule zu fehlen!“

      „Meine Mutter war natürlich wie alle Mütter skeptisch gewesen, dass der Sohnemann zu den Soldaten musste, aber das hat mich nicht gekümmert.

      Es waren harte Zeiten, und gerade für eine kränkelnde Mutter habe ich meinen Mann zu stehen und jeden Feind, der ihr an Leib und Leben wollte, abzuwehren. Sei es nun an der Flak auf den Dächern des Smarberger Zoos oder eines Tages an der Front. Ich war bereit, mein Vaterland zu verteidigen gegen Feinde von außen … “

      „… und gegen Politiker im Inneren, die das Land in den Untergang treiben.“

      „Richard, denkst du manchmal, dass die Armee eine Mitverantwortung am Krieg hat?“ Wilhelm pikste gedankenverloren mit dem Feldmesser auf der Bettkante herum.

      „Nein, ich denke, wir sind ja nur Ausführende. Die Befehlshaber müssen da schon eher darüber nachdenken.“

      „Und ein Aufruhr?“

      „Nein!“ Richard fuhr plötzlich wild durch das Zimmer. „Du darfst die Ehre der Armee nie unnötig beschmutzen. Die Armee muss sich auch bei einer Niederlage vorbildlich schlagen und darf sich nicht wieder gegen den Staat wenden wie im letzten Krieg.“

      Er grinste. „Was natürlich nicht bedeutet, dass man sich mit kleinen Hinweisen zum Kurswechsel nicht doch an die Vorgesetzten wenden darf.“ Sein Blick fiel hinaus auf den Appellplatz, in dessen Mitte der jähzornige Kasernenkommandant gerade seinen Schreibtisch vorfand.

      An diesem Tag war der noch recht unscheinbare Beginn der Feierlichkeiten, im Zuge derer man der großen Revolution und der Gründung der Republik der Freiheit gedachte.

      Zu diesem Zweck fuhr am späten Nachmittag ein festlicher Expresszug aus dem nahen Strömstädt im Hauptbahnhof ein. Mit Volldampf rauschte der doppelbespannte Staatszug in die Bahnhofshalle. Die Soldaten auf dem Flakwaggon trugen Ausgehuniformen und standen stolz auf der Wagenkante. Dahinter waren gleich zehn blumengeschmückte Wagen, denen Offiziere, Politiker und ausländische Würdenträger entstiegen.

      Die meisten der staatlichen Jugendorganisationen hatten zumindest ein kleines Grüppchen geschickt.

      So entstiegen die Mädchen aus Schloss Warton unter dem Gedröhn der Stadtmusikkapelle dem Zug, salutierten und marschierten sogleich in Richtung Innenstadt. Gerade für Maggy, schon seit dem letzten Sommer nicht mehr hier gewesen, war es ein besonderes Erlebnis.

      Das war sie, die mächtige alte Stadt mit ihren Fachwerkhäusern, den hellblauen Fassaden in der Altstadt und den vielen verwinkelten Künstler- und Geschäftsvierteln, wenn diese auch teilweise einigen Pracht- und Prunkbauten der neuen Zeit hatten weichen müssen. Über eine der Ost-West-Achsen, die die Stadt nun durchschnitten, spazierten sie in Richtung des Regierungspalastes.

      Stets auf ihre Haltung bedacht und hübsch aufgemacht, gedachten sie, den Herrschern gegenüber zu treten.

      Empfangen wurden sie aber nicht etwa vom vielbeschäftigten Großen Vorsitzenden oder seinem Kabinett. Es ging zum alten Staatspräsidenten, dem hohen Staatsoberhaupt, der eigentlich über der Regierung stand, sich aber aus deren Angelegenheiten stets raushielt. Sogar die Mädchen hatten ein wenig den Eindruck, dass der gütige alte Herr Gefangener in seinem eigenen Haus war.

      So kam der groß gewachsene alte Herr in einem dunkelblauen Zweireiher, begrüßte alle Mädchen persönlich und führte sie in sein Empfangszimmer, wo schon eine Kamera der Wochenschau wartete. Maggy durfte einige Male in die Kamera lächeln und dann einen Blumenstrauß überreichen, gegeben mit den besten Grüßen der Jugend für die Regierung. Der Präsident freute sich und gab ihr einen symbolischen Kuss auf die Wange, der Maggy glatt rot werden ließ.

      Nachdem sich der hohe Herr wieder seinen Geschäften widmete, wurden die Mädchen von einem der Sekretäre durch das Palais geführt. Es folgten ausufernde Erzählungen über die Geschichte des Hauses und seine heutige Funktion, über die Regierungsgeschäfte und darüber, wer hier warum bei der Revolution einen Vertreter des alten Königs vom Dach geworfen hatte.

      Maggy langweilte sich bei diesen endlosen Ausführungen schrecklich, obwohl Geschichte grundsätzlich ihr Fach war. Soweit es ihre Möglichkeiten zuließen, hatte sie immer die Nase in alte Zeitungen und Bücher gesteckt.

      Ihr

Скачать книгу